Verfahrenspflegschaft und Jugendhilfe

Astrid Fricke

 

I. Einführung

1. Offene Fragen

Seit Inkrafttreten der Kindschaftsrechtsreform 1998 hat man sich bemüht, die Figur des Verfahrenpflegers in das klassische Koordinatensystem bestehend aus den Akteuren Kind/Familie, Jugendamt und Gericht einzuordnen. Diese Aufgabe wurde dadurch erschwert, dass der Gesetzgeber es unterließ, die Rolle des neu hinzutretenden Verfahrenspflegers zu regeln. So verwundert es nicht, dass bis heute Unsicherheiten und Widersprüche über die Notwendigkeit der Verfahrenspflegschaft und deren Stellung im Hilfesystem und im Gerichtsverfahren bestehen.

Wiederholt wurden einzelne Aspekte des Problems erörtert: Brauchen wir überhaupt einen Verfahrenspfleger, darf auch ein Mitarbeiter des Jugendamts zum Verfahrenspfleger bestellt werden, und können die Aufgaben der Verfahrenspflegschaft nicht ebenso gut oder besser durch das Jugendamt als "Garant" für das Kindeswohl wahrgenommen werden? Ist das Auftreten eines Verfahrenspflegers im etablierten System nicht sogar deshalb schädlich, weil nun ein weiterer "Experte" auftritt, der sich anmaßt, anstelle des Gerichts zu ermitteln und das Kindeswohl zu definieren? Drängt die Aktivität des Verfahrenspflegers das Jugendamt in die Passivität, so dass dieses nicht einmal mehr seiner Aufgabe gerecht wird, kindeswohlgefährdende Aspekte von Amts wegen in das familiengerichtliche Verfahren einzubringen, sonders dies dem Verfahrenspfleger überlässt? Hier offenbart sich ein Misstrauen gegenüber dem neuen Rechtsvertreter des Kindes, welches leider dazu führen kann, dass notwendige Pflegerbestellungen immer noch unterlassen werden oder zu spät erfolgen.

Weitere Fragen wurden bis heute wissenschaftlich gar nicht oder erst ansatzweise diskutiert: Hierher gehören beispielsweise die Frage der Abgrenzung, Aufgabenverteilung und Übergang von Aufgaben zwischen verschiedenen Rechtsvertretern, zwischen Verfahrenspfleger und Ergänzungspfleger (auch Umgangspfleger), zwischen Verfahrenspfleger und Vormund des Kindes (denken Sie an die Möglichkeit eines Interessengegensatzes zwischen Kind und Vormund und daran, dass auch Sorgerechtsmaßnahmen gem. §§ 1666, 1666 a BGB gegen den Vormund zulässig sind, § 1837 Abs. 4 BGB), zwischen Verfahrenspfleger und Beistand gem. § 1712 ff. BGB und schließlich zwischen Verfahrenspfleger und Betreuer gem. § 1908 a BGB.

Auch die Tätigkeit des Verfahrenspflegers im Jugendhilfebereich ist umstritten: Während die Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrenspflegschaft zum Beispiel geradezu selbstverständlich davon ausgehen, dass es die Interessenvertretung des Kindes vor dem Gericht dem Verfahrenspfleger erlaubt, im Verfahren der Jugendhilfegewährung vor dem Jugendamt mitzuwirken, mussten einzelne Verfahrenspfleger doch die Erfahrung machen, dass eine problemlose Kooperation mit dem Jugendamt zum Nutzen aller nicht immer möglich ist. Eine fehlende Unterstützung des Verfahrenspflegers durch andere am Gerichtsverfahren Beteiligte ist eine mögliche weitere Fehlerquelle.

Dennoch ist heute nicht zu übersehen, dass sich der Verfahrenspfleger zunehmend bewährt und in der Praxis durchsetzt. Die Tätigkeit der BAG Verfahrenspflegschaft, Interessenvertretungen von Verfahrenspflegern auf Landesebene, eine zunehmende Anzahl von Veröffentlichungen zum Thema, das professionelle Engagement vieler Interessierter aus verschiedenen Bereichen, die wohlwollende Begleitung des Rechtsinstituts "Verfahrenspflegschaft" durch das Bundesverfassungsgericht und verschiedene Obergerichte führen zu einer positiven Neubewertung und machen den Verfahrenspfleger allmählich "salonfähig".

In meinem Beitrag möchte ich mich weniger um Einzelfragen kümmern, vielmehr den Versuch einer vorläufigen allgemeinen Standortbestimmung von Verfahrenspflegschaft und Jugendhilfe unternehmen. Auf das Thema: "Verfahrenspflegschaft in der Jugendhilfe" gehe ich dabei nicht ein; hier ist eventuell der Gesetzgeber gefordert.

2. Der "gute und tüchtige Verfahrenspfleger"

Erlauben Sie mir, zunächst einmal von der Kunstfigur des "guten und tüchtigen" Verfahrenspflegers auszugehen. Dieser Verfahrenspfleger ist für mich das Leitbild. Nur ihm wird es gelingen, sich selbstbewusst und stark in dem bestehenden System zu etablieren. Dabei besteht wegen der heterogenen Anforderungen an Können und Wissen des Verfahrenspflegers die Gefahr, dass dieser in einem Teilgebiet Lücken aufweist und aufgrund dessen die Interessenvertretung des Kindes nicht mehr adäquat betreiben kann. Auf diesen Punkt möchte ich später noch eingehen.

Der "gute und tüchtige" Verfahrenspfleger hat zugleich verschiedene Rollen einzunehmen, für die er in unterschiedlichen Teilbereichen trotz Weiterbildung keine oder nur eine unzureichende Qualifikation aufweist. Er ist nämlich in einer Person

  • Rechtsanwalt mit Spezialkenntnissen z.B. des Familienrechts (BGB), des Familienverfahrensrechts (FGG, ZPO);
  • Psychologe (Entwicklungspsychologie, Kommunikationspsychologie, "PA-Syndrom" etc.);
  • Psychiater (Freiheitsentziehung psychisch kranker Jugendlicher gem. §§ 1631 b BGB, 70 ff. FGG);
  • Sozialarbeiter/Sozialpädagoge (Kenntnis über erzieherische Hilfen für "Benachteiligte" [Kinder] gem. SGB VIII, Kenntnisse über Netzwerke, "System Familie", Sozialdatenschutzrecht, SGB I, SGB VIII, SGB X).

Es liegt somit auf der Hand, dass auch bei Vorliegen einer speziellen Fortbildung der Verfahrenspfleger in juristischer, psychologischer/ psychosozialer oder psychiatrischer Hinsicht handwerkliche Fehler macht, die dazu führen können, dass ein an sich erfolgversprechendes Rechtsmittel nicht eingelegt wird, eine einstweilige oder vorläufige Anordnung im Namen des Kindes nicht beantragt wird, die Kommunikation mit dem Kind nicht gelingt, die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren unterbleibt, oder aber, das ist der umgekehrte Fall, geradezu verbissen auch dort angestrebt wird, wo ein "konsensualer Erfolg" aufgrund der besonderen Stellung des Verfahrenspflegers im streitigen Gerichtsverfahren nicht zu erreichen ist. Eine schlimmere Folge jedoch wäre für mich die, dass der Verfahrenspfleger sich lähmende Vorwürfe macht, weil er seiner Meinung nach den verschiedenen Rollen, die ich oben aufgeführt habe, nicht gerecht wird.

Gibt es einen Ausweg aus dem Dilemma? Ich sehe ihn nur darin, dass sich der Verfahrenspfleger zwar an dem aufgezeigten Leitbild orientiert und dennoch jenseits aller Spezialkenntnisse auf seine eigentliche Aufgabe konzentriert. Diese besteht darin, ausgehend von der Person des Kindes in seinem Umfeld, dessen Interessen zu ermitteln und in das Verfahren einzubringen. Je schwieriger der Fall, desto mehr muss sich Verfahrenspfleger darauf konzentrieren, im Beziehungsgeflecht und Paragraphendschungel nicht unterzugehen, sondern das Kind in den Mittelpunkt zu stellen.

Anspruch und Wirklichkeit klaffen somit auch hier auseinander. Die Erfahrungsberichte erfolgreicher Verfahrenspfleger zeigen, dass diese sich um Theoriedebatten im konkreten Fall wenig kümmern. Stattdessen reflektieren sie im Gespräch untereinander ihr Handeln, entwickeln und rechtfertigen ihre eigenen Standards und zwingen damit die Vertreter etablierter Berufe, sich mit neuen Sichtweisen auseinander zu setzen.

II. Standortbestimmung: Unterschiedliche Ziele und Aufgaben

1. Jugendhilfe

Die Ziele der Jugendhilfe sind in § 1 SGB VIII beschrieben. Hervorzuheben sind die Entwicklung jedes jungen Menschen und das Recht auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.

Das SGB VIII ist somit als Teil des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) ein Erziehungsgesetz. Die subsidiäre Erziehung (familienergänzend, familienunterstützend) soll von den Trägern der Jugendhilfe (vorrangig von Trägern der freien Jugendhilfe) geleistet werden. Eine Aufgabe der Jugendhilfe ist gem. § 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII, Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen (Kinderschutzgedanke). Außerdem sind die Erziehungsaufgaben unter Beachtung des § 9 SGB VIII wahrzunehmen: Die von den Personensorgeberechtigten vorgegebene Grundrichtung der Erziehung und die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sind zu berücksichtigen. Das durch Gesetz eingeführte Gewaltverbot in der Kindererziehung hat Eingang in das SGB VIII gefunden. Es heißt jetzt in § 16 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII, dass durch Leistungen der allgemeinen Förderung der Erziehung Wege aufgezeigt werden sollen, wie Konfliktsituationen in der Familie gewaltfrei gelöst werden können. Es zeigt sich somit, dass sich öffentliche Erziehung im Zusammenhang mit der Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe auch inhaltlich stark an die privatrechtliche Erziehung durch Eltern anlehnt.

Gleichgültig ob die Jugendhilfe von privaten oder öffentlichen Trägern gewährt wird, geht es stets darum, Erziehungsmängel auszugleichen, wobei die Akteure auf Seiten der Anbieter (Jugendamt, freier Träger) in der Regel Sozialarbeiter/ Sozialpädagogen sind mit entsprechender Hochschulausbildung. Sie bieten erzieherische Leistungen an, auf die teilweise ein Rechtsanspruch besteht, und gewähren diese selbst oder organisieren die Durchführung durch Private (Heim, Pflegestelle).

Die Rechtsvertretung des Kindes vor dem Familiengericht oder Vormundschaftsgericht ist gewöhnlich nicht Aufgabe der Jugendhilfe. Bei den Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe sind nicht nur Eltern und andere Personensorgeberechtigte oder Erziehungsberechtigte, sondern auch Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Entwicklungsstand zu beteiligen. Sie sind in geeigneter Weise auf ihre Rechte auch vor dem Familiengericht und dem Vormundschaftsgericht hinzuweisen (§ 8 Abs. 1 SGB VIII). Denkbar ist, dass dann, wenn dem Kind ein Verfahrenspfleger bestellt wurde, Jugendamtsmitarbeiter die Hinweispflicht des § 8 SGB VIII in Zusammenarbeit mit dem Verfahrenspfleger wahrnehmen bzw. sich vor einer eigenen Belehrung des Kindes davon überzeugen, inwieweit das Kind vom Verfahrenspfleger aufgeklärt wurde. In der Scheidungs- und Trennungsberatung gem. § 17 Abs. 2 SGB VIII ist die Beteiligung des Kindes in angemessener Weise vorgesehen. Bei Entscheidungen über Hilfe zur Erziehung und über die Ausgestaltung des Hilfeplans (§§ 27, 36 SGB VIII) hat das Kind mitzuwirken. Auch die Standards der Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrenspflegschaft und die vorläufigen deutschen Standards zur Umgangsbegleitung stellen in vorbildlicher Weise ebenfalls das Kind in den Mittelpunkt.

2. Verfahrenspflegschaft

Im Unterschied zu den Hilfen für das Kind und seine Familie (Gewährung von Leistungen und Wahrnehmung anderer Aufgaben) gem. SGB VIII ist die Verfahrenspflegschaft gem. § 50 FGG eine reine Rechtsvertretung. Bei dieser hat der Verfahrenspfleger "die Interessen" des Kindes wahrzunehmen. Um diese Interessen festzustellen, muss er eigene Ermittlungen anstellen. Das "Ermittlungsverbot", das in einigen Gerichtsentscheidungen zum Ausdruck kommt, halte ich heute für weitgehend überholt.

Die Verfahrenspflegschaft läuft paradoxerweise auf den ersten Blick auf der Erwachsenenebene ohne gesetzlich vorgeschriebene Kindesbeteiligung ab, die - wie ausgeführt - im Jugendhilfeverfahren gefordert wird. Lediglich die Kindesanhörung durch den Juristen (Richter) ist gem. § 50 b FGG regelmäßig in Sorgerechtsverfahren vorgeschrieben. Sofern es die Wahrnehmung von Kindesinteressen erfordert, die das Kind selbst in der richterlichen Anhörung oft entweder gar nicht, oder aber nur missverständlich oder unsicher formulieren kann, kommt es zur Pflegerbestellung für das gerichtliche Verfahren. Die Rechtskontrolle darüber, ob der Verfahrenspfleger wirklich - wie es die Standards vorschreiben - den persönlichen Kontakt mit dem Kind hergestellt hat, fehlt. Hier ist m.E. das Jugendamt gefordert, eine solche Praxis einer unzureichenden Kindesvertretung auch vor Gericht anzuprangern und gegebenenfalls die Abberufung eines unqualifizierten Verfahrenspflegers und Neubestellung einer geeigneten Person vorzuschlagen, obwohl das SGB VIII dies in Bezug auf Verfahrenspfleger gem. FGG nicht zwingend vorschreibt.

Es geht im gerichtlichen Verfahren nicht um Jugendhilfeleistungen, sondern um elterliche Sorge, Umgang, Freiheitsentzug, Herausnahme aus einer Pflegestelle usw. Ebenso wie ein Betreuer für Volljährige, der auch reiner Rechtsvertreter ist, ist der Verfahrenspfleger für das gerichtliche Verfahren bestellt. Im Jugendhilfeverfahren hat er zunächst einmal nichts zu suchen. Die Antragsteller (Eltern), welche letztlich die Kosten des Verfahrenspflegers zu übernehmen haben (vgl. z.B. OLG Köln, B. v. 31.8.2001 Kind-Prax 2001, 196 f.), dürfen nicht zusätzlich mit Kosten belastet werden, die eine übertriebene und überflüssige Ausweitung der Aufgaben mit sich brächte. Theoretisch könnten die Personensorgeberechtigten den Verfahrenspfleger bevollmächtigen, die Kindesinteressen auch im parallel laufenden Jugendhilfeverfahren zu vertreten, aber warum? Die Notwendigkeit ist doch nur dann gegeben, wenn unterstellt wird, dass der Verfahrenspfleger besser als die Fachkraft im Jugendamt - die regelmäßig auch im Gerichtsverfahren anzuhören ist - geeignet ist, die erzieherische Mängellage und die zu ihrer Beseitigung geeigneten, aber auch notwendigen Maßnahmen der Jugendhilfe zu beurteilen. Für eine derartige Auffassung sehe ich keine Anhaltspunkte.

Damit ist nichts gegen die Standards gesagt, welche dem Verfahrenspfleger aufgeben, sich einen Überblick über parallel laufende Verfahren über die Gewährung von Jugendhilfeleistungen vor dem Jugendamt zu verschaffen und, soweit tunlich, auf diese Verfahren einzuwirken. Es ist auch nicht zu verkennen, dass sich gutachtliche Stellungnahmen des Jugendamts, Hilfepläne usw. in Gerichtsakten befinden und damit Gegenstand des Gerichtsverfahrens geworden sind. Dem Verfahrenspfleger ist unbenommen, zwecks angemessener Rechtsverfolgung die Tätigkeit der Jugendhilfe zu würdigen und Informationen einzuholen. Auf der anderen Seite ist - darauf wurde bereits hingewiesen - das Jugendamt berechtigt, zwecks der Erbringung von Leistungen mit dem Verfahrenspfleger zusammenzuarbeiten, ihn unter Wahrung des Sozialdatenschutzes zu informieren und - wie es in der Praxis gelegentlich geschieht - ihn im Einverständnis aller Beteiligten zum Hilfeplangespräch einzuladen.

Setzt sich der Verfahrenspfleger jedoch selbst das Ziel, für die geeignete erzieherische Hilfe für das Kind sorgen zu wollen, begibt er sich leicht in eine ihn hoffnungslos überfordernde Situation. Rollenkonfusion führt in die Sackgasse. Die Aufgabe des Verfahrenspflegers ist, das Kind im Verfahren zu begleiten und einen für das Kind "erfolgreichen" Abschluss dieses Gerichtsverfahrens anzustreben. Er muss sich darum kümmern, dass das Verfahren nicht zur Unzeit beendet wird, ohne dass eine tragfähige Zukunftsperspektive für das Kind gefunden wurde (soweit dies überhaupt im Gerichtsverfahren möglich ist). Transparenz der Aufgabe im Vorfeld, klare Abgrenzung der jeweiligen Aufgaben und vertrauensvolles Miteinander unter Wahrung des Sozialdatenschutzes auf Seiten des Jugendamts sollten dazu führen, dass das Jugendamt es als selbstverständlich betrachtet, dem Verfahrenspfleger bei der Erfüllung seiner Aufgabe zu helfen. Unnötige Konkurrenz muss vermieden werden. Stößt der Verfahrenspfleger jedoch auf Tatsachen, die eine erhebliche und andauernde Kindeswohlgefährdung erkennen lassen, sollte er - möglichst in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt - nicht zögern, diese notfalls selbst ins Gerichtsverfahren einzubringen, damit das Gericht von Amts wegen tätig werden kann.

Häufig wird der Verfahrenspfleger die Erfahrung machen, dass er aufgrund von wiederholten Kontaktaufnahmen mit dem Kind, Hausbesuchen und Gesprächen mehr über das Kind weiß als der zuständige Jugendamtsmitarbeiter. Mit dieser "überlegenen Kenntnis" sollte der Verfahrenspfleger einerseits offensiv zugunsten des Kindes im Gerichtsverfahren, andererseits aber mit der gebotenen Sensibilität und Zurückhaltung gegenüber dem Jugendamt verantwortungsvoll umgehen.

Noch ein Wort zum "Kindeswohl", da es hier sehr viele Missverständnisse und Vorbehalte gibt. Bekanntlich handelt es sich hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff, nicht um eine Tatsache. In Bezug auf das psychologische Sachverständigengutachten im Familienrechtsstreit spielt dies bei der Formulierung der Beweisfrage, die sich auf Tatsachen zu beziehen hat, eine erhebliche Rolle (Cuvenhaus, Kind-Prax 2002, S. 182 ff.). Weder Sachverständiger noch Jugendamtsmitarbeiter noch Verfahrenspfleger haben letztlich über diesen Rechtsbegriff zu entscheiden. Sie können sich darauf beschränken, Tatsachen anzuführen, aus denen Rückschlüsse auf das Kindeswohl gezogen werden können. Dabei bleibt es ihnen unbenommen, auch als Sozialarbeiter/ Sozialpädagogen im Grundberuf diese Tatsachen fachlich zu würdigen und damit "gutachterliche Stellungnahmen" abzugeben (siehe auch Oberloskamp u.a.: Gutachtliche Stellungnahmen in der Sozialen Arbeit, 6. Aufl. 2001). Es ist die Aufgabe des Gerichts, gem. § 1697 a BGB in jeder Lage des Verfahrens das Kindeswohl zu berücksichtigen und die Entscheidungen danach auszurichten.

Beispiele für eine Nahtstelle zwischen Verfahrenspflegschaft und Jugendhilfe sind: Sorgerechtsentzug zwecks Unterbringung, Herausnahme aus der Dauerpflegestelle und Wahrnehmung von Umgangsrechten. Die Problematik liegt auch hier zwischen einem "Zuviel" und einem "Zuwenig" an Einmischung durch den Verfahrenspfleger.

Geht man von der beschriebenen Grundkonstellation aus - strikte Trennung zwischen den Aufgaben der Verfahrenspflegschaft und den Aufgaben der Jugendhilfe - so ergeben sich doch insbesondere in den zuletzt genannten Bereichen Berührungspunkte, bei denen der Verfahrenspfleger nicht umhin kommt, Jugendhilfemaßnahmen zu beurteilen und selbst vorzuschlagen. Wenn es z.B. darum geht, dem Personensorgeberechtigten das Recht zu entziehen, einen Antrag auf eine mit Unterbringung verbundene Jugendhilfeleistung zu stellen (vgl. zuletzt BVerwG Urt. v. 21.6.2001, ZfJ 2002, 30 ff. [32]), so könnte sich der Verfahrenspfleger zum Streitgegenstand äußern bis hin zur Auswahl eines geeigneten Ergänzungspflegers durch das Familiengericht. Geht es um die Ausübung von Umgangsrechten, könnte sich der Verfahrenspfleger durch entsprechende Anträge dafür einsetzen, dass dem Kind zu seinem Recht auf Umgang verholfen wird. Einzelne Gerichtsentscheidungen billigen dem Kind ein eigenes gerichtlich durchsetzbares und vollstreckbares Recht auf Umgang mit dem anderen Elternteil zu (OLG Köln B. v. 15.1.2001, FamRZ 2001, 1023= ZfJ 2002, 35). Da Kinder und Jugendliche ein elementares Interesse daran haben, nicht durch einen Elternstreit, durch den "ewigen Fluch" einer streitigen Scheidung belastet zu werden, könnte der Verfahrenspfleger in geeigneten Fällen ferner anregen, die "Wohlverhaltenspflicht" des § 1684 Abs. 2 BGB durch gerichtliche, vollstreckbare Anordnung der Kontaktaufnahme zu einer Beratungsstelle, §§ 1684 Abs. 3 BGB, 33 FGG, ja sogar durch Annahme einer "Therapiepflicht" durchzusetzen (vgl. Motzer, Das Umgangsrecht in der gerichtlichen Praxis seit der Reform des Kindschaftsrechts, FamRZ 2000, 925 ff. ; OLG BS FamRZ 1999, 185 f.).

Zu fordern ist, dass qualifizierte und motivierte Verfahrenspfleger in Feldern der Jugendhilfe präsent und bekannt sein sollten, damit Kinder und Jugendliche gegebenenfalls selbst dem Familiengericht den Verfahrenspfleger ihrer Wahl, der ihr Vertrauen genießt, vorschlagen können.

III. Fazit: Interdisziplinäres Rollenbild mit spezifischer Problematik

 

Zusammenstellung der Probleme:

 

  • Ein neuer Helfer im familiären "Nahbereich" mit neuen notwendigerweise (noch) unpräzise definierten Aufgaben
  • Rollentransparenz, Rollenüberschneidung, Rollenkonfusion
  • Problem der Kommunikation mit Kindern in der Familie (Intimsphäre, Vertrauen - Chaos! - Weisbrodt bezeichnet in seinem Beitrag: Wie kann der Familienrichter das Verfahren gestalten, um mit Umgangskonflikten umgehen zu können, Kind-Prax 2000, 9 ff. [10] den Kindeswillen als "Risikofaktor" im Umgangskonflikt)
  • Problem der "überlegenen Kenntnis"
  • Problem der Überforderung und Frustration des Verfahrenspflegers
  • Supervision durch Richter?
  • Kindeswohl als unbestimmter Rechtsbegriff; für das Kindeswohl relevante Tatsachen
  • Schriftsätze und gutachterliche Stellungnahmen als notwendige Mittel legitimer Einflussnahme auf die Gerichtsentscheidung
  • Arbeit im Netzwerk außerhalb des Gerichts: Einzelkämpfertum versus Teamarbeit
  • "Gerichtsnahe Fallarbeit": Keine Teamarbeit, keine Teambesprechung, kein Rückmeldung (Lob, Tadel), "neue Spielregeln"
  • In der mündlichen Verhandlung: Deeskalation, Vermittlung versus Durchsetzungsvermögen
  • Zeitfaktor
  • Kostenfaktor

Anmerkung

 

Es handelt sich hier um einen Vortrag, gehalten am 17.2.2002 auf der Fachtagung der Evangelischen Akademie Bad Boll in Verbindung mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Verfahrenspflegschaft für Kinder und Jugendliche e.V. (http://www.verfahrenspflegschaft-bag.de). Eine Veröffentlichung im Tagungsband "Anwalt des Kindes" 2002 der Evangelischen Akademie ist vorgesehen; die Internetpräsentation erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Evangelischen Akademie (siehe auch http://www.ev-akademie-boll.de).

 

Autorin

Astrid Fricke, Professorin für Jugendrecht, Kinder- und Jugendhilferecht und Familienrecht an der FH Braunschweig/Wolfenbüttel, verstarb im Jahr 2011.

Hinweis

Veröffentlicht am 14.03.2002, überprüft im März 2015