§ 9 Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen

Peter-Christian Kunkel

§ 9 Grundrichtung der Erziehung, Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen

Bei der Ausgestaltung der Leistungen und der Erfüllung der Aufgaben sind

die von den Personensorgeberechtigten bestimmte Grundrichtung der Erziehung sowie die Rechte der Personensorgeberechtigten oder des Kindes oder des Jugendlichen bei der Bestimmung der religiösen Erziehung zu beachten,

die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes oder des Jugendlichen zu selbstständigem, verantwortungsbewusstem Handeln sowie die jeweiligen besonderen sozialen und kulturellen Bedürfnisse und Eigenarten junger Menschen und ihrer Familien zu berücksichtigen,

die unterschiedlichen Lebenslagen von Mädchen und Jungen zu berücksichtigen, Benachteiligungen abzubauen und die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen zu fördern.

Zu Nr. 1

Wegen des sich aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ergebenden Elternrechts ist die Grundrichtung der Erziehung zu beachten. Dies setzt voraus, dass Eltern solche eine Grundrichtung überhaupt vorgeben. Dem Mitarbeiter des Jugendamtes wird es daher häufig schwer fallen, eine solche Grundrichtung zu ermitteln.

Dagegen ist die religiöse Erziehung durch eine erfolgte oder nicht erfolgte Taufe eher nach außen ersichtlich. Mit Eintreten der Religionsmündigkeit des Kindes (also mit dem 14. Lebensjahr) geht die Entscheidung des Kindes der der Eltern vor.

Zu Nr. 2

Die Regelung entspricht der des § 1626 Abs. 2 BGB im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern. Für die Praxis des Jugendamts besteht infolgedessen eine ständige Beobachtungs- und Kommunikationspflicht, um im sozialen und kulturellen Bereich die individuellen Neigungen wahrnehmen und entsprechende Angebote machen zu können. Diese Berücksichtigung wird mit dem Begriff der "Lebensweltorientierung" umschrieben.

Zu Nr. 3

Die Vorgabe aus Nr. 3 wird in der Jugendarbeit nach § 11 SGB VIII umgesetzt mit Angeboten speziell der Mädchenarbeit und der Jungenarbeit. Außerdem ist eine spezifische Förderung möglich, z.B. durch Erhöhung des Frauenanteils in der Praxis der Mitarbeiter, gezielte Subventionen für gleichstellungsorientierte Projekte und durch Vernetzung der Tätigkeit mit den kommunalen Gleichstellungsbeauftragten. Über § 9 Nr. 3 SGB VIII hält Gender-Mainstreaming Einzug in die Jugendhilfe.

Da Normadressat des § 9 SGB VIII nur die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind, besteht kein Rechtsanspruch von Eltern oder Kindern auf Einhaltung dieser Norm.

Literatur

Brenner: Materialien zur Mädchen- und Jungenarbeit. Deutsche Jugend 1997, 226.

Ditzan/Deigler/Hilke/Rosenfeld: Jugendhilfeplanung im Interesse von Mädchen. Jugendhilfe 1995, 150.

Heiliger: Mädchenpolitische Umsetzungslinien des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. ZfJ 1992, 176.

Autor

Prof. em. Peter-Christian Kunkel
Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
Kinzigallee 1
77694 Kehl
Tel.: 07851/894112
Fax: 07851/894120
Email: kunkel@hs-kehl.de

Hinweis

Veröffentlicht am 13.03.2002, überprüft und aktualisiert im April 2015