Adressatenbeteiligung in der Jugendhilfeplanung: Von der guten Absicht zur strukturellen Absicherung

Hendrik Reismann

1. Partizipation, ein neues altes Thema

Wenn man sich mit einem aktuellen Thema beschäftigt, lohnt manchmal der "Blick zurück". Vergessene Zusammenhänge und der Anteil des "Alten im Neuen" (s. Niemeyer 2000) werden sichtbar. Oftmals wird dann deutlich, dass das vermeintlich Neue nur in einem neuen Gewand daherkommt, alte Fragen nur unter neuen Bedingungen gestellt werden (s.a. Schrapper 1996), auch wenn viele der Orte, an denen heute Partizipation von Kindern und Jugendlichen stattfindet, "neu" sind: die Stadtplanung, die Jugendhilfeplanung, die Beteiligung an der Kommunalpolitik. Die Formen, in denen hier beteiligt wird, sind nicht ohne historische Vorläufer. In der Geschichte der Pädagogik und sozialen Arbeit finden sich eine Reihe von Beispielen, in denen Beteiligung und Mitbestimmung versucht und umgesetzt wurde. Zu erinnern ist etwa an die Kindermitbestimmung in den reformpädagogischen Heimen der 20er Jahre (s. etwa Karl Wilkers Lindenhof in Berlin-Lichterfelde oder Makarenkos Versuche in der Gorki-Kolonie) oder an Alexander S. Neills Summerhill. In den späten 60er und frühen 70er Jahren waren Begriffe wie Partizipation, Autonomie, Selbstverwaltung und Selbstorganisation Schlüsselbegriffe progressiver Sozialarbeit (s. Blandow/ Gintzel/ Hansbauer 1999). Jugendwohnkollektive, selbstverwaltete Jugendzentren, Schüler- und Kinderläden waren Ausdruck dieser "Bewegung".

Den Kindern eine Stimme zu geben, das war auch das pädagogische Programm von Janusz Korczak. Dabei war Kindermitbestimmung für ihn mehr als nur Programm, es war gelebte Praxis. In seinem Kinderheim an der Krochmalnastraße in Warschau konnten Kinder mitreden: in der Versammlung, in der der Heimalltag besprochen wurde, in der Betreuungskommission, die nur aus Kindern bestand und in der beraten wurde, wo Not bestand. Korczak richtete einen "selbstverwalteten" Kramladen im Heim ein, eine Tafel für Mitteilungen und Bekanntmachungen, einen Briefkasten, eine Hauszeitung und ein Kameradschaftsgericht. Lange vor der UN-Kinderrechtskonvention formulierte er die Magna-Charta-Libertatis als ein Grundgesetz für das Kind (s. Sengling 2000).

Für Korczak war dieses alles Ausdruck und Selbstverständlichkeit seiner pädagogischen Haltung. Er begriff und achtete die Eigenwelt des Kindes als etwas Bedeutsames, dem die Regeln im Alltag entsprechen mussten. Die Kinder sollten ein Recht darauf haben, so zu sein, wie sie sind. Der alltägliche Umgang sollte durch dialogisches Lernen geprägt sein. Er schreibt: "Ich hatte begriffen, dass Kinder eine Macht sind, die man zur Mitwirkung ermuntern und durch Geringschätzung verletzen kann, mit der man aber auf jeden Fall rechnen muß (...). Am nächsten Tag (...) sprach ich zum erstenmal nicht zu den Kindern, sondern mit ihnen und ich sprach nicht davon, wie sie nach meinem Wunsche sein sollten, sondern darüber, was sie selbst sein wollten und könnten. Vielleicht überzeugte ich mich damals zum erstenmal davon, dass man von Kindern viel lernen kann, dass auch sie ihre Forderungen und Bedingungen stellen, und dass sie das Recht haben, auch Vorbehalte anzumelden" (Korczak 1978, S. 247).

Was lässt sich aus dieser kurzen historischen Rückschau lernen? Doch zuallererst dies: Partizipation ist in erster Linie eine pädagogische Haltung, erst dann fachliches Handeln oder politisches Programm. Ohne eine pädagogische Haltung wie die von Korczak, gibt es keine Partizipation. Wer beteiligen will, muss den Kindern mit Respekt, liebevoll, beobachtend und fragend begegnen. Man muss verstehen wollen, was die Kinder und Jugendlichen zu sagen haben, ihre Fähigkeiten, Interessen und Deutungsmuster ernst nehmen.

Mit dieser Philosophie folgt Partizipation auch heute noch einem für die Pädagogik, und im weitesten Sinne auch für die Jugendhilfeplanung, gültigen Ziel: der Mitarbeit an der Verwirklichung der Utopie einer humanen Gesellschaft. Partizipation ist damit nicht Selbstzweck, sondern der Ausdruck einer Praxis, die, auch jenseits und als Voraussetzung für effektives und effizientes fachliches Handeln, das Zusammenwirken, die Zusammenarbeit, das Zusammenleben aller Beteiligten ernst nimmt und zu einem ihrer konstitutiven Elemente erhebt.

In den folgenden Kapiteln wird das Thema Partizipation und Beteiligung weiter entfaltet. Dabei wird der Fokus auf die Rahmenbedingungen für Beteiligung in der Jugendhilfeplanung gerichtet. Im zweiten Kapitel soll zunächst der Zusammenhang zwischen der Beteiligung in der Jugendhilfeplanung und in anderen gesellschaftlichen Bereichen hergestellt werden. In diesem Zusammenhang wird vor allem die bisherige Fachdiskussion in der Jugendhilfeplanung nachgezeichnet. Das Kapitel drei ist eine Beschreibung eines konkreten Beteiligungsprojektes, des Projekts "Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern an der Teilfachplanung Hilfen zur Erziehung in der Stadt Braunschweig". Im vierten Kapitel werden die Erfahrungen aus diesem Projekt zum Anlass genommen, um einige strukturelle Voraussetzungen für Planungsbeteiligungen zu beschreiben. Im letzten Kapitel (Kapitel fünf) werden die Ausführungen zusammengefasst und einige weiterführende Fragen gestellt.

2. Adressatenbeteiligung in der Jugendhilfeplanung und die neuere "Partizipationsbewegung"

Forderungen nach mehr Partizipation werden derzeit von verschiedenen Seiten erhoben. Das Leitmotiv von mehr bürgerschaftlicher Teilhabe findet sich in den Debatten um Kommunitarismus und Bürgergesellschaft ebenso wie in den Ideen von einem Ausbau der unmittelbaren Demokratie und der Herabsetzung des Wahlalters. Insbesondere in den 90er Jahren kommt es zu einem forcierten Ausbau von Teilhabemöglichkeiten in zahlreichen gesellschaftlichen Bereichen. Die Politik für Kinder, der Agenda 21-Prozess, die Bewegung der runden Tische in den neuen Ländern und neue legislative Verpflichtungen, wie etwa im Kinder- und Jugendhilfegesetz, sind nur einige Beispiele. Partizipation und Beteiligung ist zu einem vielgestaltigen und in viele Bereiche der Gesellschaft diffundierten Thema geworden. Auch wenn die Rede von einer "partizipatorischen Revolution" (Nohlen, 1998, S. 471) übertrieben scheint, so könnte man angesichts der stetig anwachsenden Fülle von Literatur und Praxisinitiativen doch immerhin von einer neuen "Beteiligungs- bzw. Partizipationsbewegung" sprechen.

Einen deutlichen Aufschwung hat die Partizipationsbewegung im Bereich der Jugendhilfe durch die Diskussionen um die Kinderrechte und um eine "Politik für Kinder" genommen. Auch wenn Kinderrechte (zunächst im wesentlichen als Schutzrechte formuliert) bereits seit über einhundert Jahren Bestandteil der nationalen Gesetzgebung und von internationalen Abkommen sind (s. Gesetz zum Verbot der Kinderarbeit, Genfer Erklärung von 1924, Erklärung der Rechte des Kindes von 1959) so ist die Verankerung weitgehenderer Rechte zur Entfaltung und Mitbestimmung von Kindern erst neueren Datums. Sie wird wesentlich markiert durch die Verabschiedung der UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 1989, welche sehr grundsätzlich und umfassend die Versorgung, den Schutz und die Partizipation von Kindern in aller Welt regelt.

Die Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen einer (vor allem kommunalen) Politik für Kinder haben in den 90er Jahren einen wahren Boom erlebt. Es entstanden eine Vielzahl von institutionalisierten oder projektorientierten Beteiligungsformen wie Kinderparlamente, Kinderforen, Kinderanwälte, Kinderanhörungen usw. (s. Bartscher 1998). Neben der hierin zum Ausdruck kommenden Bejahung des Eigenrechts von Kindern und Jugendlichen ist es das Hauptanliegen dieser Bemühungen, Kindern und Jugendlichen die Einübung in demokratische Formen der Willensbildung und Aushandlung zu ermöglichen.

In diesem breiten Zusammenhang muss auch die Konkretisierung von Kinderrechten in einer Reihe von Gesetzen gesehen werden. In das Baugesetzbuch wurden ebenso Verpflichtungen zur Adressatenbeteiligung aufgenommen wie in einige Länderverfassungen. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz sieht Regelungen vor, die eine möglichst weitgehende Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an allen sie betreffenden Angelegenheiten sichern soll. Unter der (juristischen) Figur des "einsichtsfähigen Minderjährigen" wird Kindern und Jugendlichen das Recht zugesprochen, ihre Sicht der Dinge, ihre Wünsche, Ideen und Interessen in Verfahren und laufende Hilfen einzubringen (s. vor allem die §§ 1, 5, 8, 9, 36 und 80 SGB VIII). Auch weitere Regelungen, wie etwa die zur Jugendarbeit (§ 11) und zur Beratung in Fragen der Trennung und Scheidung (§ 17) enthalten Regelungen zu einer angemessenen Beteiligung der betroffenen Kinder und Jugendlichen.

Im § 80 (1) Nr. 2 SGB VIII wurde eine Vorschrift eingeführt, die auch im Rahmen der Jugendhilfeplanung Beteiligung verbindlich vorschreibt: "Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben im Rahmen ihrer Planungsverantwortung den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen und Personensorgeberechtigten (...) zu ermitteln." Planungsbeteiligung bedeutet damit, die Wünsche, Bedürfnisse und Interessen junger Menschen und ihrer Eltern ernst zu nehmen und als Ausdruck eigenständiger Handlungssubjekte in Planungsprozesse einzuspeisen. Im Rahmen von Beteiligungen sollen die Angemessenheit der örtlichen Jugendhilfeinfrastruktur sowie die Qualität und pädagogische Wirksamkeit von Hilfen und Maßnahmen überprüft werden. Nach der Bewertung von Wiesner wird in der Differenzierung von, die nun einmal ohne eine Beteiligung der Adressaten, in welcher Form auch immer, kaum denkbar ist Bedarf und Bedürfnis die Forderung nach der politischen Aushandlung einerseits und der Betroffenenbeteiligung andererseits deutlich. Während der Bedarf als das Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses entsteht, zielt der Begriff "Bedürfnis" "auf die unmittelbare Artikulation von Wünschen und Interessen durch Kinder, Jugendliche, junge Erwachsene und Eltern. Damit wird Betroffenenbeteiligung zur gesetzlichen Verpflichtung; das allgemeine Prinzip der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an allen sie betreffenden Entscheidungen (§ 8 Abs. 1 KJHG) wird für die Jugendhilfeplanung konkretisiert." (Wiesner u.a. 1995, S. 1177) Anmerkung: Auch wenn die Beteiligungsverpflichtung nach der Auffassung von Münder und Becker (s. Münder/Becker 1998) "lediglich" ein Beteiligungsgebot darstellt, aus dem kein subjektives Recht auf Beteiligung erwächst, welches auch einklagbar wäre, unterstreicht sie doch die Verpflichtung des öffentlichen Trägers zu einer umfassenden Sachverhaltsermittlung.

Diese Vorschrift ist das Ergebnis der vor dem Inkrafttreten des KJHG in der Jugendhilfeplanung geführten Diskussionen. Bereits 1972 forderte die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter und überörtlichen Erziehungsbehörden: "Auf allen Stufen der Planung soll die weitestmögliche Beteiligung des Bürgers und der jungen Generation an den Planungsüberlegungen angestrebt werden" (zit. n. jpd vom 25.07.72). In der Folgezeit unterließ es kaum ein Interessenverband, sich positiv und bestärkend zur Adressatenbeteiligung zu äußern (vgl. Deutscher Verein 1986, KGSt 1978, VSOP 1992). Mehl formulierte 1981 in einem Buch des Deutschen Vereins: "Sozialplanung ist niemals nur eine Planung für den Bürger, sondern zuallererst eine Planung mit dem Bürger. Der Bürger ist nicht planungsbetroffenes Objekt, sondern mitwirkendes Subjekt (...) (Mehl 1981, S. 3).

Auch in der neueren Literatur zur Jugendhilfeplanung findet sich regelmäßig der Hinweis auf die Adressatenbeteiligung (vgl. Bolay/Herrmann 1995, BMJFFG 1990, Gläss/Herrmann 1994, Jordan/Schone 1992, 1998, Kriener/Petersen 1999, Lukas/Strack 1996, Merchel 1996, Nikles 1995, Stork 1995). So formulierten die Autoren des 8. Jugendberichts: "Der Beteiligung von Betroffenen und Beteiligten kommt im Rahmen der Jugendhilfeplanung besondere Bedeutung zu." (BMJFFG 1990, S. 183). Und Merchel klassifiziert Beteiligung als "...eines der zentralen fachlichen und jugendhilfepolitischen Qualitätskriterien für die Jugendhilfeplanung" (Merchel 1994, S. 97).

Eine moderne Jugendhilfeplanung, die einem offensiven Anspruch folgt und sich an der Lebenswelt der Menschen orientiert, kann heute auf die Beteiligung der Adressaten nicht mehr verzichten. Eine Analyse der Lebensbedingungen der Menschen ist ohne die Erhebung von deren Wissen und Erfahrungen kaum denkbar, sie fiele in ihrem Anspruch und in ihrer Qualität weit hinter das fachlich Wünschenswerte und Mögliche zurück. In dem Maße, in dem sich die Jugendhilfeplanung von der reinen Maßnahme- und einrichtungsbezogenen Infrastrukturplanung weg und zu einer an Zielgruppen, Sozialräumen und ganzheitlichen Perspektiven orientierten Planung hin entwickelt hat, wurde auch die Notwendigkeit der Adressatenbeteiligung dringlicher. Dies gilt umso mehr, als neuere Planungsansätze die Aushandlung aller an der Planung beteiligten, also des Jugendamtes, der freien Träger, der Kinder, Jugendlichen und Familien, der politisch Verantwortlichen und sonstigen Personen, zum konstitutiven Bestandteil gelingender Planungsprozesse machen (vgl. Merchel 1996, Jordan/Schone 1998). Bereits im 8. Jugendbericht war die Notwendigkeit zu einer möglichst breiten Beteiligung an der Planung begründet worden mit der Heterogenität, Allgemeinheit und Unbestimmtheit der Ziele der Jugendhilfe. Die Bestimmung "bestmöglicher Lebens- und Sozialisationsbedingungen" könne daher nur im Zusammenwirken der Beteiligten gelingen (BMJFFG 1990, S. 181).

Hinsichtlich der Reichweite und des Umfangs der Beteiligung bestehen allerdings unterschiedliche Auffassungen. Halten die einen als Voraussetzung für eine "gelingende Partizipation" (s. Bolay/Herrmann 1995) eine Beteiligung während des gesamten Planungsprozesses bei gleichberechtigten Mitsprache- und Entscheidungsmöglichkeiten aller Mitwirkenden für erforderlich, so machen andere Autoren die Art der Beteiligung abhängig von der konkreten Planungsaufgabe: "Die mit einem extensiven Beteiligungsansatz verbundenen Voraussetzungen - kontinuierliche Kommunikation, breite Information, Rückkoppelungs- und Verständigungsprozeduren - können allerdings nur unter einer wesentlichen Rahmenbedingung eingesetzt werden: Sie sind für größere, komplex, umfassend, abstrakter angelegte, auf längerfristige Realisierungen ausgerichtete Gesamt-, Rahmen- und Entwicklungsplanungen weniger geeignet als für konkrete, überschaubare, in der Lebenswelt der Betroffenen angesiedelte Projekte und Vorhaben" (s. Jordan/Schone 1992, S. 37).

Orientiert man sich an den von verschiedenen Autoren entwickelten Stufenmodellen zur Partizipation (s. Arnstein 1969, Vilmar 1986), wird deutlich, dass die Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen in der Planung nur in Ausnahmefällen als "echte" Partizipation zu klassifizieren ist. Diese Modelle ordnen die einzelnen Partizipationsbemühungen in der Regel auf einem Kontinuum an, welches von den Stufen Mitsprache und Mitwirkung bis zur Mitbestimmung reicht. Die Mehrzahl der Beteiligungen in der Jugendhilfeplanung verbleibt auf der Stufe der Mitsprache: Kinder, Jugendliche und ihre Eltern werden hinsichtlich ihrer Lebenssituation und ihrer Einschätzung des vorhandenen Hilfeangebots befragt und um Veränderungsvorschläge gebeten. Eine solche Form der Beteiligung ließe sich auch als "Abfragebeteiligung" kennzeichnen. Auch wenn eine weitgehendere Beteiligung durch die Gewährung von Informations-, Entscheidungs- und Überprüfungsrechten grundsätzlich denkbar und wünschenswert ist, dürfte die Abfragebeteiligung für eine Qualifizierung der Planung in vielen Fällen bereits ausreichen. In anderen Fällen kann sie als Einstieg in weitergehende Aktivitäten dienen.

Folgt man der gängigen Einteilung von Qualität hinsichtlich der Aspekte Prozess, Struktur und Ergebnis, so dürften die Aussagen der Adressaten vor allem auf der Ebene der Prozessqualität und zum Teil auch der Ergebnisqualität anzusiedeln sein. Planungsaspekte, wie etwa solche, die sich auf gesamtstädtische Infrastrukturen sowie deren Finanzierung und innerorganisatorische Ausgestaltung, also die Struktur der Jugendhilfe beziehen, dürften dagegen für viele Betroffene nur von geringem Interesse sein. Gerade aber die Tatsache, dass sich die Adressaten im Rahmen von Beteiligung zu Aspekten äußern können, die erst in letzter Zeit zunehmend zum Gegenstand von Planungsprozessen werden, macht die hohe Bedeutung deutlich, die der Adressatenbeteiligung beizumessen ist.

Angesichts der Tatsache, dass Anspruch und Wirklichkeit der Adressatenbeteiligung in der Praxis z.T. weit auseinanderfallen, sollten Beteiligungen eher pragmatischen Überlegungen folgen. Bislang ist es nicht gelungen, Adressatenbeteiligung als Planungsprinzip in der Planungspraxis fest zu verankern. Dies gilt für die kleineren und mittleren Jugendämter mehr noch als für die großstädtischen Ämter. Dies gilt für den Bereich der Hilfen zur Erziehung mehr noch als für Planungsprozesse der Jugendarbeit und im Bereich der Kindertagesstätten (s.a. Simon 1997).

Als eine der Ursachen hierfür (zu weiteren Gründen s. das Kapitel vier) lässt sich die bislang eher programmatisch orientierte Bearbeitung des Themas in der Jugendhilfeliteratur identifizieren. In der konzeptionellen Diskussion wurden wichtige - praxisorientierte - Differenzierungen zwar angedacht, die Konsequenzen hieraus jedoch nicht explizit ausgearbeitet. Dies gilt in dreifacher Hinsicht:

  1. Hinsichtlich der Differenzierung nach Altersgruppen: Zu trennen ist zwischen Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Beteiligungsmodelle bzw. -methoden müssen berücksichtigen, dass sowohl Kinder als auch Jugendliche und Erwachsene jeweils unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen haben sowie unterschiedliche kognitive Entwicklungsstände aufweisen. Erforderlich sind, je nach Zielgruppe, z.T. andere methodische Vorgehensweisen bei der Ansprache, Durchführung und Auswertung von Beteiligungsvorhaben.

  2. Bei der Erstellung von Teilfachplanungen hinsichtlich der Differenzierung nach unterschiedlichen Handlungsfeldern: Jugendarbeit, Kindertagestätten, Erzieherische Hilfen u.a. Beteiligung in der Jugendarbeit findet unter anderen Voraussetzungen statt als die Beteiligung im Bereich der Kindertagesstätten.

  3. Bei sozialräumlichen Planungen schließlich werden die zu bearbeitenden Fragen bzw. die Lebenslagen und unterschiedlichen Zielgruppen (Ausländer, Mädchen usw.) zu berücksichtigen sein.

Eine systematische Erörterung dieser Fragen, die auch eine systematische Aus- und Bewertung (Evaluation) der bisherigen Erfahrungen einschließen würde, steht bislang noch weitgehend aus.

Die angeführten Schwierigkeiten gelten insbesondere für den Bereich der Hilfen zur Erziehung, der hinsichtlich von Planungsbeteiligung weitestgehend als "Tabula Rasa" zu kennzeichnen ist. Der Grund hierfür dürfte vor allem darin liegen, dass von allen Handlungsbereichen der Jugendhilfe die Hilfen zur Erziehung für eine vorausschauende Planung und Beteiligung am schwersten zugänglich sind. Hier stehen weder zahlenmäßige gesetzliche Vorgaben, wie z.B. die Platzquote in der Kindertagesbetreuung, noch allein verbindliche politische Vorgaben wie in der Jugendarbeit zur Verfügung um den örtlichen Bedarf zu bestimmen. Wie viele und welche Hilfen zur Erziehung in einer Stadt erforderlich sind, hängt von Beurteilungen ab, die in hohem Maße individuell geprägt sind. Da aber die Hilfen zur Erziehung oftmals einen erheblichen Eingriff in die Lebenssituation der Adressaten darstellen, sollte gerade hier die Frage der Qualität der einzelnen Verfahren (Hilfeplanverfahren) und Angebote, beurteilt aus der Sicht der Adressaten, eine wichtige Rolle spielen.

Da die Beteiligung an der Planung programmatisch weitgehend unbestritten und akzeptiert ist, Jugendhilfeplanung in der Praxis aber immer noch weitgehend ohne Jugend (vgl. Stork 1995) stattfindet, kann vermutet werden, dass neben konzeptionellen Defiziten insbesondere strukturelle Hemmnisse in den Jugendämtern die weitere Verbreitung von Beteiligungsmethoden bislang verhindert haben. Nachfolgend wird deshalb untersucht, welcher Rahmenbedingungen und Voraussetzungen es bedarf, um Beteiligungsmodelle erfolgreich durchzuführen, welche Blockaden und Widerstände zu erwarten sind und wie die Ergebnisse optimal gesichert werden können.

Die Diskussion dieser Fragen erfolgt anhand eines Beteiligungsprojektes im Bereich der Hilfen zur Erziehung, welches das Institut für soziale Arbeit e.V. (ISA) von Oktober 1999 bis April 2000 in Kooperation mit dem Verein Kinder haben Rechte in der Stadt Braunschweig durchgeführt hat.

Für das ISA ist die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen, Eltern, Fachkräften, Leitungskräften, Politikern und ggf. auch der Öffentlichkeit, also aller derjenigen, die in irgendeiner Form von Untersuchungen, Planungen oder Veränderungsprozessen betroffen sind, ein elementares Arbeitsprinzip. Dies gilt für Organisationsuntersuchungen ebenso wie für die Begleitung von Jugendhilfeplanungsprozessen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des ISA verfügen dementsprechend über ein breites Repertoire an Methoden, die von der schriftlichen Befragung über Interviews bis hin zur Durchführung von Zukunftswerkstätten reichen.

3. Das Projekt "Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern an der Planung der Hilfen zur Erziehung in der Stadt Braunschweig"

Im Rahmen des Projekts wurden die folgenden Fragestellungen bearbeitet (Eine ausführliche Beschreibung des Projekts findet sich in dem Abschlußbericht, der über das ISA bezogen werden kann, s. ISA 2000):

  • Was wissen die Adressaten über das Jugendamt und das Hilfesystem im Bereich der Hilfen zur Erziehung und was für ein Bild haben sie hiervon?

  • Welche Erfahrungen haben sie in der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt, insbesondere mit dem Hilfeplanverfahren, gemacht?

  • Wie erleben Jugendliche den Prozess der Entscheidungsfindung und Hilfegewährung? Wie weit sehen sie dabei ihre Rechte gewahrt und ihre Persönlichkeit (Subjektstellung) geachtet?

  • Werden sie ausreichend informiert und wird ihre Entscheidungsfähigkeit gestärkt oder erleben sie sich eher ausgeliefert und als Objekte des Handelns professioneller Helfer?

  • Welche Einschätzungen haben sie zu der ihnen gewährten Hilfe und wie bewerten sie diese?

  • Werden ihre Rechte in den Einrichtungen und Betreuungen eingehalten und ihnen die erforderlichen Möglichkeiten zur Mitgestaltung ihrer Lebensräume eingeräumt?

  • Welche Alternativen sehen sie für sich bzw. generell für eine adressatenorientierte Gestaltung der Erziehungshilfe?

Das Projekt bestand aus zwei Beteiligungsworkshops mit Kindern und Jugendlichen und einer Elternbefragung. Zunächst wurde jeweils ein eineinhalbtägiger Workshop mit 9-13jährigen Kindern und mit 14-18jährigen Jugendlichen durchgeführt. Nach der Auswertung der Workshops wurden Eltern, deren Kind(er) aktuell im Rahmen einer Hilfe zur Erziehung betreut wird/werden, befragt. Hierzu wurden in 29 Haushalten insgesamt 36 fragebogengestützte Interviews durchgeführt.

Die beiden Workshops wurden kind- und jugendgerecht konzipiert. Anlass, Verfahren und Ziel der Workshops sollten für die Kinder und Jugendlichen verständlich sein. Sie wurden mit einem Brief des Jugendamtes angesprochen. Bei der Methodenauswahl wurde berücksichtigt, dass Kinder für sich nicht ohne weiteres bilanzieren können. Sie haben keinen Gesamtüberblick und ihre Subjektivität hat gleichsam eine narrative Struktur, die aus konkreten Erlebnissen und Gefühlen besteht. Sie können sich somit nicht strategisch beteiligen und benötigen häufig Dolmetscher, Personen, die ihnen Zeit geben, sich mitzuteilen und ihre Erfahrungen und Kommunikationsformen ernst nehmen. Unter diesen besonderen Voraussetzungen können vor allem kreative, nonverbale Methoden (Malen, Video, Modellbau usw.) sowie der ständige Wechsel zwischen Plenums- und Kleingruppenarbeit als besonders geeignete Methoden gelten. Die Kinder und Jugendlichen sollten nicht Forschungsobjekte sein, sondern als Experten für ihr Leben gesehen werden. Da die Workshops am Wochenende stattfanden, sollte das Programm auch attraktiv und interessant sein. Die Auswahl der Kinder und Jugendlichen (wie auch der Eltern) erfolgte nach dem Zufallsprinzip.

Der Fragebogen für die Elternbefragung wurde gemeinsam vom ISA und dem Jugendamt erarbeitet. Die Interviews wurden dann von fünf Jahrespraktikantinnen des Jugendamtes durchgeführt, die hierfür vorher geschult worden waren. Der Fragebogen war zudem im Rahmen von Pretests überprüft worden.

Das Projekt hat insgesamt eine Vielzahl von Hinweisen für den weiteren Planungsprozess erbracht. Nachfolgend werden zunächst einige inhaltliche Ergebnisse, die unter den Stichworten "Information und Transparenz" und "Das Hilfeplanverfahren" zusammengefasst werden, dargestellt. Im Kapitel vier werden dann weitere strukturelle Aspekte besprochen.

Unabhängig von den Ergebnissen für den Planungsprozess liegt ein zentraler Erfolg des Projektes darin, dass den beteiligten Kindern, Jugendlichen und Eltern vertiefende Informationen zum Jugendamt vermittelt werden konnten und ihnen gezeigt wurde, dass ihre Meinungen und Ideen wichtig sind. Neben dem inhaltlichen Ertrag kann das Projekt deshalb auch unter dem Gesichtspunkt einer "vertrauensbildenden Maßnahme" bewertet werden.

1. Für Information und Transparenz sorgen

  • Wie wichtig die umfassende Information und Aufklärung ist, zeigte sich beispielsweise bei der Frage an die Eltern, was für ein Gefühl sie bei ihrem ersten Kontakt mit dem Jugendamt hatten. Zwei Drittel der Befragten gaben an, ein mulmiges oder sogar ein schlechtes Gefühl gehabt zu haben. D.h., die Kontakte zum Jugendamt, und hier insbesondere der Erstkontakt, sind vielfach angstbesetzt, von Unsicherheit und sogar von Bedrohung gekennzeichnet, was sich daraus ergab, dass viele Eltern das Jugendamt immer noch als Behörde sehen, die den Eltern die Kinder "wegnimmt". Eine möglichst frühzeitige und umfassende Information über den Auftrag des Jugendamtes und weitere im Zusammenhang mit Hilfen stehende Aspekte, dürfte nicht unwesentlich dazu beitragen, derartige Ängste zu mildern und Hemmschwellen zu senken:

  • Die Aufklärungsarbeit des Jugendamtes sollte immer in einer adressatengerechten Form stattfinden. Die Kinder und Jugendlichen, aber auch viele Eltern, haben Schwierigkeiten, die Informationen und Abläufe zu verstehen und in ihrer Bedeutung richtig einzuschätzen. Eine ausführlichere Beratung und Aufklärung würde sicherlich mehr Zeit in Anspruch nehmen. Dies scheint jedoch angesichts der hohen Sensibilität der zu bearbeitenden Problemlagen angemessen. Es wurde von vielen Kindern und Jugendlichen ausdrücklich gewünscht, dass sich die Sozialarbeiter, "ihre Sozialarbeiter", wie sie es nannten, mehr Zeit für sie nehmen. Die Wahrnehmung, nicht ausreichend betreut zu werden, war bei den Kindern besonders ausgeprägt, die mit häufigen Betreuerwechseln im Jugendamt (aber vor allem in den Einrichtungen und Betreuungen) konfrontiert waren.

  • Für die Kinder ist die angemessene Information und Beteiligung offensichtlich sehr eng mit dem Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zu der fallzuständigen Fachkraft gekoppelt. Bei einer guten Beziehung schätzen sie ihre Beteiligung als besser ein, als bei einer weniger guten, auch unabhängig von der tatsächlichen Beratungsleistung. Ein solches Vertrauensverhältnis wird umgekehrt durch ausreichende Informationen gefördert. Die Kinder fühlen sich dann sicherer und ernst genommen. Sie können besser einschätzen, worauf sie sich einlassen und was auf sie zukommt. Bei den Eltern war die Koppelung zwischen einer vertrauensvollen Beziehung und einer positiven Bewertung der Beratung weniger deutlich. 70 % der befragten Eltern gaben an, dass sie ein gutes Verhältnis zu ihren Sozialarbeitern hätten und 65 % sagten, dass sie sich jederzeit bzw. wenn es sein muss, mit ihren Sorgen und Nöten an ihre Sozialarbeiter wenden könnten. Gleichzeitig ereichten die Fragen nach der Zufriedenheit mit den Beratungsleistungen des Jugendamtes nur geringere Werte.

  • Als ein weiteres Problem stellte sich das Fehlen einheitlicher Standards für Beratung, Aufklärung und Beteiligung heraus. Die Form und vor allem die Intensität und Qualität dieser Leistungen hängen immer noch wesentlich von der einzelnen Fachkraft ab. Eine Angleichung der unterschiedlichen Niveaus ist aber im Sinne einer Gleichbehandlung der Klienten erforderlich. Adressatengerechte Infomaterialien und -broschüren könnten hierbei möglicherweise einen Teil der erforderlichen Aufklärung und Beratung übernehmen.

  • Eine weitere Möglichkeit um die Transparenz im Verfahren zu erhöhen ist es, den Eltern Kopien wichtiger Schreiben, etwa an freie Träger, zukommen zu lassen. Beinahe alle Eltern äußerten, dass dies bislang nicht oder so gut wie nicht der Fall sei und beinahe die gleiche Anzahl von Eltern wünschte sich dies.

  • Auch hinsichtlich der konkreten Betreuungen, in denen sich die Kinder befinden, wurde ein Qualifizierungs- bzw. Aufklärungsbedarf sichtbar. Dieser bezieht sich in erster Linie auf die Regeln in den (teil-)stationären Einrichtungen, Regeln für das gemeinsame Essen, für den Umgang mit Geld, für den Umgang miteinander, fürs Fernsehgucken usw. Diese Regeln sind für viele Kinder unklar, d.h. sie verstehen ihren Sinn z.T. nicht und empfinden sie deshalb als willkürlich. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass es in den verschiedenen Einrichtungen unterschiedliche, sich z.T. widersprechende Regeln gibt. Im Zusammenhang mit Regelverstößen, aber auch ganz grundsätzlich, vermissten die Kinder und Jugendlichen eine Instanz, bei der sie sich beschweren können. Dies könnte sowohl eine Person in der Einrichtung als auch im Jugendamt sein. Die Eltern fallen in der Regel aufgrund der schwierigen Familiensituation als Beschwerdeinstanz aus. Aus Sicht der Eltern, aber auch nach dem Wunsch einiger Kinder, sollte zudem die Elternarbeit in den Einrichtungen ausgebaut werden.

Die Ergebnisse deuten auf eine, das Verhältnis zwischen Sozialarbeiter und Adressat ganz generell bestimmende Schwierigkeit hin: Dieses Verhältnis ist in der Regel durch ein deutliches Ungleichgewicht hinsichtlich der verfügbaren Ressourcen gekennzeichnet. Auf der einen Seite stehen die Familien, die sich zumeist in prekären "unsortierten" Lebenssituationen befinden, die in einem hohen Maße durch Unsicherheit und z.T. durch Hilflosigkeit geprägt sind. Auf der anderen Seite steht ein bürokratisch organisiertes und "wohlsortiertes" Hilfesystem, welches aufgrund von rechtlichen Vorgaben und nach organisationsspezifisch geordneten Regeln und Routinen tätig wird. Auch wenn eine Hilfe zur Erziehung, als eine Form einer personenbezogenen sozialen Dienstleistung, nur durch die gemeinsame Anstrengung von Sozialarbeiter und Klient zustande kommt (Koproduktion), kann doch dieses deutliche Gefälle nicht übersehen werden. Hinsichtlich der Möglichkeit der Problemwahrnehmung und -beschreibung verfügen die Beteiligten über unterschiedliche Erfahrungen. Während die Klienten auf ihr Alltagswissen angewiesen sind, können die Professionellen auf vielfältige abgesicherte Wissensbestände zurückgreifen. Hinzu kommt die unterschiedlich ausgeprägte Fähigkeit, Sachverhalte auch artikulieren zu können. Bezüglich der Auswahl und dem wünschenswerten Umfang einer geeigneten Hilfe verfügen die Sozialarbeiter über einen deutlichen Informationsvorsprung. Schließlich haben sie nicht unerhebliche Macht- und Sanktionsmöglichkeiten. Man denke nur daran, dass sie über Termine und deren Dauer, einzubeziehende Dritte und schließlich die Hilfe selber entscheiden bzw. ohne ihre Zustimmung keine Hilfe bewilligt wird. Die Sozialarbeiter sind dafür verantwortlich, dass dieses Ungleichgewicht durch breite Information, transparente Verfahrensstrukturen und ein aushandlungsorientiertes Setting tendenziell abgefedert wird.

Diese Abfederung gelingt in Braunschweig an manchen Stellen noch nicht in dem wünschenswerten und erforderlichen Umfang. Ein nicht unerheblicher Anteil der Kinder, Jugendlichen und Eltern fühlt sich nicht gut informiert. Dies bezieht sich auf die Aufgaben und Strukturen des Jugendamtes, die zur Verfügung stehenden Hilfen, verfahrensrechtliche Aspekte (Hilfeplanverfahren) und auch auf die Regeln in den Einrichtungen.

2. Das Hilfeplanverfahren adressatenfreundlich gestalten

Die Aspekte von Information und Transparenz beziehen sich, wie bereits angedeutet, ganz wesentlich auf das Hilfeplanverfahren. Anders als die Eltern und die Jugendlichen konnten die 9-13-jährigen Kinder mit den Begriffen Hilfeplanverfahren und Hilfeplangespräch nichts anfangen. Ihnen war nicht klar, dass die Treffen im Jugendamt in irgendeinem Zusammenhang standen:

  • In der Regel werden die Familien zwar über das Hilfeplanverfahren aufgeklärt. Man muss jedoch berücksichtigen, dass sich die Eltern, vor allem aber die Kinder und Jugendlichen, vieles nicht so schnell merken können bzw. sich nicht trauen zu sagen, dass sie etwas nicht verstanden haben. Wie schwierig die Aufklärung mitunter ist, zeigt die Aussage eines Mädchens, welches auf die Frage, ob sie gewusst habe, was in der Betreuung auf sie zukomme, antwortete: "Nein, er (der Mann vom Jugendamt) hat mich dann gefragt, ob ich noch Fragen habe, aber ich wusste doch gar nicht, was ich fragen sollte."

  • Viele der Kinder, Jugendlichen und Eltern gaben an, dass es für sie eine große Hemmschwelle gäbe, sich in den einzelnen Gesprächen zu beteiligen und persönliche Dinge zu erzählen. Das Setting des Hilfeplangesprächs irritiert und ängstigt viele Kinder und Jugendliche, aber auch einige Eltern. Manche Kinder berichteten, dass sie zunächst auf dem Flur warten müssten. Dies empfanden sie als "demütigend" und verunsichernd ("Ich weiß ja, dass die da drinnen über mich reden"). Außerdem nähmen zu viele Erwachsene an den Hilfeplangesprächen teil, was die Kinder und deren Eltern zusätzlich hemmt. Es wurde deutlich, dass die Atmosphäre im Hilfeplangespräch ganz wesentlich darüber mitentscheidet, ob sich die einzelnen Familienmitglieder beteiligen und beteiligt fühlen.

  • Weitere neuralgische Punkte sind die Beteiligung bei der Auswahl und Durchführung der Hilfe. Eine Hilfe ist offensichtlich dann erfolgreich, bzw. wird von den Betroffenen als erfolgreich eingeschätzt, wenn sich diese bei der Auswahl und Durchführung der Hilfen beteiligt fühlen. Beteiligungsinstrumente und -verfahren sind damit Steuerungsinstrumente für die Wirksamkeit von Hilfen. Zudem gilt, dass nur gut informierte Klienten auch ihr Wunsch- und Wahlrecht ausüben können. Die Aufgabe, die Adressaten ausreichend zu beteiligen, kann insgesamt nur begrenzt über formale Regelungen gelöst werden. Vielmehr muss diese Aufgabe konsequent durch die Beachtung der Perspektive und Bedürfnisse der einzelnen Adressaten bearbeitet werden.

  • Hierzu beitragen kann die Möglichkeit, dass die Kinder die Einrichtungen (bzw. eine Reihe der in Frage kommenden Einrichtungen) vorher kennen lernen. Dies meint nicht nur den Besuch einer Einrichtung, um die Betreuer und die anderen Kinder kennen zu lernen. Es muss auch die Frage geklärt werden, was denn in diesen Hilfen eigentlich passiert, bzw. passieren soll (Zielbezug). Hierbei muss auch über den Zeitbezug einer Hilfe gesprochen werden. Vor allem die kleineren Kinder wussten nicht, wie lange sie eigentlich betreut werden sollten, bzw. was sie selbst ggf. dazu beitragen könnten, damit eine Hilfe beendet wird.

  • Eine weitere Möglichkeit, die Akzeptanz von Hilfen zu verbessern, wäre es schließlich, die Hilfeplangespräche öfter stattfinden zu lassen, was der ausdrückliche Wunsch vieler Jugendlicher war und diese Gespräche, was im Rahmen von laufenden Betreuungen z.T. auch passiert, intensiv vor- und nachzubereiten.

Nach der Darstellung einiger inhaltlicher Ergebnisse erfolgt im nächsten Kapitel eine Auswertung des Projektes hinsichtlich seiner strukturellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen.

4. Strukturelle Hemmnisse und Voraussetzungen für Adressatenbeteiligung

Bei der Konzeption des Projektes konnten die Beteiligten auf Erfahrungen zurückgreifen, die sie in anderen Jugendämtern gemacht haben. Die Beteiligung von Kindern, Jugendlichen und Eltern an der Teilfachplanung der Hilfen zur Erziehung stellt aber- wie bereits im zweiten Kapitel beschrieben - noch weitgehend Neuland dar.

Es ist deshalb ratsam, derartige Prozesse behutsam anzugehen und nicht mit zu vielen Erwartungen zu überfrachten. Dies gilt für den Jugendhilfeausschuss und die Amtsleitung, welche einen solchen Prozess einleiten und die nötigen Mittel bereitstellen. Dies gilt aber auch für die mit der Planung und Durchführung betrauten Fachkräfte. Auch von den beteiligten Mädchen und Jungen und deren Eltern sollte nicht zu viel erwartet werden. Sie sind es nicht gewohnt, dem Jugendamt gegenüber Einschätzungen, Kritik und Ideen zu äußern, die nicht nur ihre persönlichen Betreuungsgeschichten betreffen, sondern auch infrastrukturelle und organisatorische Fragen des Jugendhilfeangebotes vor Ort berühren.

Bei der Konzeption und Durchführung von Beteiligungsprojekten spielen insbesondere folgende strukturelle Fragen eine Rolle:

  1. Ist im Jugendamt und bei den beteiligten freien Trägern eine Beteiligungsphilosophie verankert?

  2. Stehen ausreichende sächliche und personelle Ressourcen zur Verfügung?

  3. Ist die Beteiligung institutionell über Verfügungen, Willensbeschlüsse und Gremien abgesichert?

  4. Sind methodisch-konzeptionelle Erfahrungen mit Beteiligungen vorhanden?

Zu 1.: Verankerung einer Beteiligungsphilosophie

Die grundsätzlichen Ausführungen zur Beteiligungsphilosophie im ersten Kapitel gelten uneingeschränkt auch für die Jugendhilfeplanung. Adressatenbeteiligung ist in erster Linie eine Frage der pädagogischen Haltung. Eine wesentliche Aufgabe bei der Einführung von Beteiligungsansätzen in Planungsprozessen besteht deshalb darin, erst einmal ganz grundsätzlich für mehr Beteiligung zu werben, bei den Fachkräften im Jugendamt, bei den freien Trägern und bei den Adressaten. Die Mitarbeiter des Jugendamtes und der freien Träger müssen für das Thema Beteiligung sensibilisiert werden und Beteiligung als eine ihrer Aufgaben akzeptieren.

Dies ist oftmals ein mühevoller Prozess. Beteiligung wird von vielen Sozialarbeitern als schwierig, zeitraubend und wenig ertragreich beurteilt. Angesichts hoher Arbeitsbelastungen erscheint sie als zusätzliche Kür, für die nicht die notwendigen Ressourcen zur Verfügung stünden.

Bei den freien Trägern kommen u.U. Abwehrhaltungen hinzu, ihre Arbeit den Blicken des Jugendamtes zu öffnen. Da im Rahmen von Beteiligungsprozessen in der Regel auch einrichtungsinterne Regeln und Abläufe, ja mitunter sogar sehr persönliche Details aus den Beziehungen zwischen einzelnen Betreuern und Kindern zur Sprache kommen, ist der Aufbau von Vertrauen zwischen dem Jugendamt und den freien Trägern von ganz entscheidender Bedeutung. Dies gilt vor allem für den Umgang mit den Ergebnissen, die so anonymisiert und verallgemeinert veröffentlicht werden müssen, dass ein Rückschluss auf die einzelne Einrichtung nur noch für ausgewählte Mitarbeiter des Jugendamtes, nicht aber mehr für die breite Öffentlichkeit, möglich ist.

Die institutionellen Implementationsbarrieren dürfen insgesamt nicht unterschätzt werden. Das lokale Akteursgefüge aus Politik, Jugendamt und freien Trägern hat in der Regel den Charakter eines gewachsenen und sensiblen Netzes von eingespielten und austarierten Interessen. Der Ausbau von Adressatenbeteiligung wirkt in diesem Geflecht zunächst einmal als Störung, gegen die mit Widerständen zu rechnen ist (vgl. Jordan/Schone 1992).

Im Vorfeld eines Beteiligungsprojektes sollten deshalb die Chancen und Schwierigkeiten offen diskutiert werden. Das oftmals angeführte Argument, Beteiligung sei ein mühevoller Weg, der zusätzliche Risiken für die Alltagsabläufe beinhalte, dürfte die vorhandenen Widerstände eher fördern als abbauen. Um die Akzeptanz zu erhöhen, sollte Adressatenbeteiligung vielmehr als ein notwendiger und lohnenswerter Teil der eigenen Arbeit gesehen werden. Positive Beispiele aus anderen Kommunen können diese Argumentation unterstützen.

Organisationen, die bereits durch partizipative Elemente für die Mitarbeiterschaft geprägt sind, werden es leichter haben, Beteiligung auch für die Adressaten "zuzulassen", als solche, in denen streng-hierarchische Orientierungen den offenen Austausch und die Mitbestimmung erschweren.

Die Vertrauensbildung im Vorfeld hat sich in Braunschweig auch noch aus einem anderen Grund als äußerst lohnenswert erwiesen. Bei der Auswahl und Ansprache der Kinder, bei der Organisation der Anfahrt zur Seminarstätte und bei der Klärung von Fragen der Kinder und Jugendlichen ist das Jugendamt auf die Kooperation mit den freien Trägern angewiesen. Diese entscheiden als Aufsichtspersonen mit darüber, ob ein Kind an einer solchen Veranstaltung teilnehmen kann. Auch bei der Motivation der Kinder erfüllen sie eine wichtige Funktion. In Braunschweig hat sich gezeigt, dass eine einmalige schriftliche Ansprache der Kinder, Jugendlichen und Eltern in der Regel nicht ausreicht um eine genügend große Gruppe von Interessierten zusammenzubekommen. Es musste z.T. mehrmals telefonisch bzw. über die Betreuer nachgehakt werden, ob die Kinder und Jugendlichen nun teilnehmen werden.

Aus den vorstehenden Äußerungen wird deutlich, dass Beteiligungsprojekte immer als Kooperationsprojekte organisiert werden sollten. Neben dem Jugendhilfeausschuss und der Amtsleitung, die die nötigen Ressourcen bereitstellen und den inhaltlichen Zielkorridor festlegen und dem Jugendhilfeplaner/ der Jugendhilfeplanerin, sollten die Fachkräfte aus den betroffenen Abteilungen (in diesem Fall des ASD) sowie die Fachkräfte der freien Träger einbezogen werden. Anderenfalls werden die Mitarbeiter der Jugendhilfeplanung zeitlich extrem stark belastet, Widerstände mitunter unüberwindbar und die Ergebnisvermittlung unnötig erschwert. Insbesondere dem letzten Punkt sollte eine hohe Aufmerksamkeit gewidmet werden. Die Ergebnisse werden nur dann folgenreich sein, wenn sie von der Mehrheit der Planungsbeteiligten akzeptiert werden. Eine möglichst frühzeitige und umfassende Kooperation wird diese Akzeptanz ganz entscheidend befördern.

Der Einstieg in ein Beteiligungsprojekt könnte durch die Beantwortung von "Prüffragen" erfolgen. Nachfolgend sind einige von Blandow (zit. n. Gintzel 2000) formulierte Prüffragen aufgeführt:

  • Weshalb wollen wir Kinder und Jugendliche empowern? Wollen wir es wirklich, oder wollen wir nur ein gut verkaufbares Projekt machen? Wollen es alle von uns oder nur einige?

  • Weshalb haben wir Kinder und Jugendliche nicht zuvor schon besser beteiligt? Worin bestanden die Hindernisse und weshalb bestehen sie nun nicht mehr?

  • Was haben die Kids davon, wenn sie beteiligt werden? Worin liegt für sie der individuelle Gewinn? Ist Partizipation vielleicht nur ein von Erwachsenen ersonnenes Programm um sie "sinnvoll" zu beschäftigen?

  • Werden wir Transparenz darüber herstellen, was die Kinder und Jugendlichen von dem Experiment erwarten können wo die Grenzen der Mitbestimmung liegen, worüber entschieden werden darf, worüber nicht? Wer setzt die entscheidenden Themen auf die Tagesordnung?

  • Sind wir bereit zu akzeptieren, dass Partizipationsbedürfnisse stark variieren? Zu akzeptieren, dass Kinder in ihrem Interesse oft schwankend sind?

  • Sind wir bereit die Ressourcen aufzubringen, die ein solcher Prozess erfordert? Bereit Macht abzugeben? Bereit das Risiko in Kauf zu nehmen, dass der Start eines Projektes vielleicht weniger gut läuft, als es möglich wäre, wenn nur Erwachsene beteiligt wären?

  • Sind wir uns im Klaren darüber, dass Partizipation Verbindlichkeiten über einen längeren Zeitraum erfordert, zu akzeptieren, dass man nicht alsbald zu den Routinen zurückkehren darf? Bereit Veränderungen zu institutionalisieren?

Zu 2.: Sächliche und personelle Ressourcen

In der Regel sind Beteiligungsprojekte "nicht einkalkuliert", d.h., sie sind nicht Bestandteil der Aufgabenbeschreibungen und Stellenbeschreibungen und in den Haushaltsstellen bzw. Budgets des Jugendamtes sind keine Mittel für sie vorgesehen. Es ist von daher kaum verwunderlich, dass Projekte unter diesen Bedingungen nicht zustande kommen. Nur wenn es zukünftig gelingt, Beteiligung als "Pflichtaufgabe" der Jugendhilfeplanung zu etablieren und die Kommunen hierfür die entsprechenden personellen und sächlichen Ressourcen bereitstellen, wird sich die Adressatenbeteiligung durchsetzen können. Dies gilt vor allem dann, wenn man Beteiligung institutionalisieren, also auf Dauer einrichten will. Dann reicht eine "nur" projektbezogene Finanzierung nicht mehr aus.

Die Bereitstellung eines Budgets für Beteiligung bzw. eines Anteils von Mitteln für Beteiligung im entsprechenden Budget, kann zudem dazu beitragen, Beteiligungsprojekte möglichst flexibel und kreativ zu planen, was angesichts fehlender Modelle "von der Stange" auch erforderlich ist. Stehen keine frei verfügbaren Mittel zur Verfügung, wird es spätestens dann zu Problemen kommen, wenn Ausgaben getätigt werden müssen, die nur schwer bestimmten Haushaltsstellen zugeordnet werden können oder die nicht ohnehin im Rahmen der normalen Verwaltungskosten abgedeckt sind (Briefe, Telefonate, Büromaterial). Einige Beispiele für derartige Ausgaben sind die Kosten für ein Tagungshaus, für Ausflüge am Abend, für Honorarkräfte, Buntstifte, Farben, Malkarton, Getränke, Süßigkeiten, Busfahrten, EDV-gestützte Auswertungen usw. Die Finanzierung aus einem festen Budget erleichtert die Abrechnung solcher Projekte nicht unerheblich.

Wie viel Geld bzw. Personal in einer Kommune für Beteiligungsprojekte zur Verfügung stehen sollte, kann nicht allgemein beantwortet werden. Die Höhe dieses Betrages hängt nicht zuletzt auch davon ab, ob externe Fachkräfte, wie dies etwa in Braunschweig der Fall war, beteiligt sind.

Zu 3.: Institutionelle Verankerung

Da die Jugendhilfeplanung eine Daueraufgabe darstellt, sollten auch Formen der Adressatenbeteiligung auf Dauer implementiert werden. Dies erfordert die Schaffung gewisser Strukturen im Jugendamt. Um den hohen Stellenwert der Beteiligung zu dokumentieren und ihr den größtmöglichen Rückhalt zu sichern, sollte der Jugendhilfeausschuss zunächst einen Initiativbeschluss fassen. Dies kann zusammen mit dem Planungsauftrag, aber auch noch später geschehen. Diese Willensbekundung ist gewissermaßen das Startzeichen für alle weiteren Aktivitäten. Gleichzeitig mit diesem Beschluss sollten auch die notwendigen, ggf. außerplanmäßigen, Mittel bereit gestellt werden. Der Ausschuss signalisiert mit dem Beschluss der Öffentlichkeit, den freien Trägern und den Mitarbeitern des Amtes, welche hohe Bedeutung er der Adressatenbeteiligung beimisst.

Um die im ersten Abschnitt beschriebene Kooperation zwischen den Planungsbeteiligten zu sichern, ist es sinnvoll, für die Dauer des Projektes oder auf Dauer eine Arbeitsgruppe einzurichten, in der sämtliche, im Zusammenhang mit der Beteiligung stehenden Fragen, diskutiert und entschieden werden können. Soweit für die Planungen einzelne Planungsgruppen bestehen, können diese die Aufgabe übernehmen. Entscheidend ist, dass es einen Ort gibt, an dem Fachleute Verantwortung für die Beteiligung übernehmen.

Eine zusätzliche Absicherung kann über die Erarbeitung eines Beteiligungskonzeptes und den Erlass bestimmter Verwaltungsverfügungen erfolgen. Ein Beteiligungskonzept dient nicht nur der strategischen Planung und ggf. bereits der weiteren operativen Schritte. Es kann auch eine wichtige Hilfe zur Verankerung der Beteiligungsphilosophie sein, da es die Funktion eines Leitbildes (für die Jugendhilfeplanung oder aber das gesamte Amt) hat. Im Rahmen einer Verfügung könnte beispielsweise die Absicherung der Beteiligung als Querschnittsaufgabe und die Verpflichtung der einzelnen Fachkräfte, sich hieran zu beteiligen, erfolgen.

Zu der Frage der institutionellen Verankerung zählt schließlich auch die Form der Verbreitung und Veröffentlichung der Ergebnisse. Grundsätzlich erscheint ein offensiver Umgang mit den Ergebnissen ratsam, da das Gelingen von Beteiligung wesentlich von einer großen Transparenz und einer vertrauensvollen Zusammenarbeit abhängt. Da es sich bei den Ergebnissen in der Regel um eine Schwachstellenanalyse handelt, die in Teilen u.U. eine gewisse Brisanz aufweist, sollte mit ihnen aber besonders behutsam umgegangen werden. Dabei ist immer der Vertrauensschutz gegenüber den Fachkräften und den beteiligten Kindern, Jugendlichen und Familien zu wahren. Es ist selbstverständlich, dass die Ergebnisse so anonymisiert werden, dass einzelne Aussagen nicht mehr auf die beteiligten Personen zurückgeführt werden können. Je nachdem ob die Ergebnisse der breiten (Fach-)Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden, oder ob sie im internen Bereich verbleiben, muss eine andere Darstellung gewählt werden. Nicht vergessen sollte man, dass alle beteiligten Kinder und Eltern eine Kopie des Berichtes, ein Protokoll oder eine andere Form der Dokumentation erhalten.

Einen besonderen Stellenwert bei der Implementation von Beteiligung (auch bereits bei einzelnen Projekten) hat der Faktor Zeit. Allein die Verankerung der Beteiligungsphilosophie in der Organisationskultur, was einen Einstellungs- und Wertewandel voraussetzt, nimmt oftmals eine längere Zeit in Anspruch. Aber auch die Durchführung eines Projektes sollte nicht zu knapp kalkuliert werden. In Braunschweig etwa hat die Ansprache der Kinder und Jugendlichen mehr Zeit in Anspruch genommen als erwartet. Der erste Workshop musste zunächst aufgrund einer schleppenden Anmeldung verschoben werden.

Zu 4.: Methodisch-konzeptionelle Erfahrungen

Die Durchführung von Beteiligungsprojekten erfordert ein gewisses Maß an methodisch-konzeptionellen Kenntnissen und Erfahrungen. Die in einem solchen Projekt zum Einsatz kommenden Methoden müssen handlungsfeld- und problembezogen ausgerichtet sein und schicht-, geschlechts-, alters- und nationalitätenspezifische Aspekte berücksichtigen. Bei der Konzeption kann zum einen auf die in der Literatur mittlerweile umfassend dokumentierten Beteiligungsverfahren im Rahmen der Politik für Kinder (s. Bartscher 1998) oder aber auf die Erfahrungen anderer Jugendämter zurückgegriffen werden. Da letztere aber weitgehend unveröffentlicht sind, werden diese Erfahrungen in der Regel nur über informelle Kontakte abzurufen sein.

Um die Durchsetzung der Planungsbeteiligung voranzubringen, sollten die Jugendämter sich aber auch nicht scheuen, durch eigene Experimente Entwicklungsarbeit zu leisten. Über die bekannten Beteiligungsformen hinaus, sind noch zahlreiche weitere Formen denkbar, so etwa das Aufstellen eines Computers, an dem die Jugendlichen ihre Wünsche einbringen können, ein Ideenwettbewerb mit Preisverleihung, die Einrichtung eines Vertrauensmannes oder einer Beschwerdestelle, um nur einige zu nennen.

In der Regel lassen sich im Jugendamt oder bei den freien Trägern Mitarbeiter finden, die bereits in anderen Zusammenhängen Erfahrungen mit Beteiligungen gesammelt haben oder aber zumindest die Erfahrungen aus ihrer alltäglichen Betreuungsarbeit einbringen können. Man kann also prinzipiell davon ausgehen, das sich im "Dunstkreis" eines Jugendamtes immer Leute finden lassen, die in der Lage sind, die an ein solches Projekt gestellten Anforderungen zu erfüllen. Sollte dies nicht der Fall sein, bzw. solche Leute aus anderen Gründen nicht zur Verfügung stehen, ist auch eine Kooperation mit den örtlichen Kinderbeauftragten/Kinderanwälten denkbar. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, sich eine externe Unterstützung durch beratende Vereine und Institute zu organisieren.

Wenn die vorgenannten Aspekte zu den Themen "Beteiligungsphilosophie", "Sächliche und personelle Ausstattung", "Institutionalisierung" und "Methoden und Konzepte" vor Ort zufriedenstellend lösbar sind, dann wird einer erfolgreichen und gewinnbringende Adressatenbeteiligung nichts mehr im Wege stehen.

5. Zum Schluss

Die Ausführungen in diesem Beitrag sollten eines ganz deutlich machen: Ohne den Mut, die Geduld und die Lernbereitschaft der Fachkräfte, welche mit den erforderlichen sachlichen und personellen Ressourcen verbunden sein müssen, wird die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit in der Adressatenbeteiligung kaum geschlossen werden können. Adressatenbeteiligung in der Jugendhilfeplanung ist kein leichtes aber ein lohnenswertes Unterfangen, dem zukünftig mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden sollte.

Neben einer besseren strukturellen Absicherung vor Ort besteht Handlungsbedarf vor allem in zweifacher Hinsicht:

  • Eine stärkere rechtliche Verpflichtung zur Beteiligung wäre zwar noch keine hinreichende, möglicherweise aber eine notwendige Bedingung für den weiteren Ausbau. Eine größere rechtliche Verbindlichkeit könnte in Form eines "sanften Zwangs" weitgehendere Beteiligungsaktivitäten anregen. Es wäre zu überlegen, ob nicht durch den Gesetzgeber gewisse Mindeststandards vorgegeben werden könnten (s.a. Bolay/Herrmann 1995). Zwar führen gesetzliche Regelungen, selbst wenn sie in der Form von Verpflichtungen formuliert sind, nicht unweigerlich zu einer veränderten Praxis, hierfür ließen sich eine ganze Reihe von Belegen anführen. Ein Gesetz hat jedoch immer auch eine anregende Funktion und könnte durch eine erweiterte Vorschrift die Aufmerksamkeit für das Beteiligungsthema möglicherweise weiter erhöhen.

  • Die Jugendhilfeforschung müsste sich intensiver als bislang mit dem Thema beschäftigen. Es bedarf weiterer konzeptioneller Differenzierungen und vor allem einer evaluativen Bewertung der bisherigen Erfahrungen, die im übrigen auch die Bewertungen der Adressaten einschließen muss.

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Autor

Der Autor, Hendrik Reismann, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Institut für soziale Arbeit e.V., Studtstr. 20, 48149 Münster. E-Mail: isa.reismann@muenster.de. Homepage: www.isa-muenster.de

Hinweis

Eingestellt am 05.02.2002, überprüft im März 2015