Hintergründe und Notwendigkeit von Maßnahmen des erzieherischen Jugendschutzes im Bereich der Glücksspielsuchtprävention

Daniel Ensslen

 

1. Hintergrund

Mit zunehmender Verbreitung des Glücksspiels sowie der Erschließung neuer Zugangswege (z.B. über das Internet) erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein signifikanter Anteil von Minderjährigen trotz gesetzlicher Verbote am Glücksspiel teilnimmt. Bezogen auf Deutschland weist die Mehrheit aller Jugendlichen Erfahrungen mit kommerziellen oder selbstorganisierten Formen des Glücksspiels auf (vgl. Hayer 2014).

Zugleich besteht gerade im Jugendalter die Gefahr, zumindest zeitweise die Kontrolle über das Spielverhalten zu verlieren und glücksspielbezogene Probleme unterschiedlicher (d.h. finanzieller oder psychosozialer) Art zu entwickeln.

Empirische Befunde aus Deutschland auf der Grundlage von repräsentativ angelegten Bevölkerungsumfragen zeigen in diesem Zusammenhang in konsistenter Weise, welche Personengruppen sich als besonders gefährdet für die Entwicklung bzw. Manifestation von glücksspielbezogenen Problemen erweisen. Zu diesen Risikogruppen zählen nicht zuletzt Heranwachsende, obwohl der Gesetzgeber aus Gründen des Jugendschutzes eine Teilnahme am kommerziellen Glücksspiel unter 18 Jahren nahezu vollständig untersagt. Im Allgemeinen lässt sich daher festhalten, dass diverse Formen des Glücksspiels zur Lebenswirklichkeit Jugendlicher gehören und sich ein signifikanter Anteil - zumindest zeitlich begrenzt - "verzockt" bzw. temporär die Kontrolle über das Spielverhalten verliert (vgl. hierzu ausführlich Hayer 2012).

Unterschiedliche aktuelle Entwicklungstrends verdeutlichen, dass der Themenkomplex "Jugendliche und Glücksspiele" vielfältige Facetten mit sich bringt, die aus gesundheitswissenschaftlicher Perspektive einer Beobachtung und kritischen Reflexion bedürfen.

2. Attraktive und gefährdende Glücksspiele für Jugendliche und Heranwachsende

Am häufigsten war im Jahr 2013 die Teilnahme Jugendlicher an Sofortlotterien, gefolgt von privaten Glücksspielen, Sportwetten und Geldspielautomaten. Jungen spielten wesentlich mehr als Mädchen. Das mittlere Lebensalter beim erstgenannten Glücksspiel liegt bei etwa 13 Jahren (BZgA 2014).

Folgende Spielarten sind für Jugendliche besonders relevant bzw. gefährdend (vgl. Hayer 2012):

  • Sportwetten, an denen Jugendliche zunehmend teilnehmen, begünstigt durch ein regulatorisches "Vakuum"
  • Glücksspiele im Internet, bei denen der Jugendschutz besonders leicht umgangen werden kann und die, zusätzlich begünstigt durch mobile Endgeräte, immer und überall zur Verfügung stehen
  • Geldspielautomaten in Spielhallen und gastronomischen Betrieben, welche einen Großteil der problematischen und pathologischen Spieler generieren

Es scheinen sich die Glücksspielaktivitäten gerade bei jüngeren Alterskohorten zunehmend ins Internet zu verlagern. Zudem weist Glücksspiel-Werbung für diese Altersgruppe einen hohen Aufforderungscharakter auf, fördert positiv gefärbte Glücksspiel-Assoziationen und ruft bei einem Teil der Rezipienten sogar das Bedürfnis einer nachfolgenden Spielteilnahme hervor. Aufgrund dessen verwundern erste Forschungsbefunde aus den USA kaum, nach denen der Erstkontakt mit Glücksspielen im Entwicklungsverlauf immer früher erfolgt.

Ebenso sollte ein besonderes Augenmerk auf "Glücksspielen" ohne Geldeinsatz, z.B. Pokern auf Übungsseiten oder in sozialen Netzwerken, kostenfreie virtuelle Casinos und Glücksspiele im Rahmen von Computerspielen gelegt werden. Hierbei werden Kinder und Jugendliche auf Glücksspiele neugierig gemacht und teils auch systematisch herangeführt.

In verschiedenen Studien berichten Jugendliche, dass sie aus folgenden Motiven Glücksspiele spielen:

  • Hoffnung auf Geldgewinne
  • Neugier
  • Freunde bzw. Freundinnen spielen
  • Langeweile
  • Glücksspielverhalten der Familie
  • Werbung
  • Frustration

3. Problematisches Glücksspielen

In der Regel werden Glücksspieler nach klinischen Kriterien (z.B. DSM-IV oder ICD-10) bei der Erfüllung einer gewissen Anzahl zutreffender Aussagen als problematisch oder als pathologische Glücksspieler klassifiziert. Laut der PAGE-Studie erfüllen 1,5% der 14- bis 17-Jährigen die Kriterien für pathologisches Glücksspielen, und 1,1% erfüllen diese für problematisches Glücksspielen (Meyer et al. 2011). Diese Werte übersteigen die von problematischem und pathologischem Glücksspiel betroffenen Erwachsenen deutlich.

Nicht zuletzt wegen der berechtigten Frage, was denn mit diesen pathologischen jugendlichen Glücksspielern passiert, wenn sie über 18 Jahre alt werden, aber vor allem um die Heranwachsenden, die unter Umständen nur eine vorübergehende exzessive Glücksspielnutzung zeigen, nicht unangemessen zu stigmatisieren, ist es durchaus sinnvoll, bei Jugendlichen die Kategorie "Pathologisches Glücksspiel" nicht anzuwenden. Diesem Standpunkt vertreten auch die Autoren des Abschlussberichtes "Konsum von Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen" der Johannes Gutenberg-Universität Mainz: "Die Prävalenz für problematisches Glücksspielen beträgt 1,7%, weitere 3,5% erweisen sich als gefährdet Nutzende... Berücksichtigt man lediglich den Anteil der Jugendlichen, die im letzten Jahr an Glücksspielen teilgenommen haben, bzw. jene, die regelmäßig Glücksspiele nutzen, so erhöht sich die Prävalenz entsprechend auf 3,9% für problematisches Glücksspielen und 7,5% für gefährdete Nutzende (Müller et al.)."

Diese Studie bekräftigt auch, dass sich unter den problematisch Spielenden mehr männliche Betroffene mit höherem Lebensalter finden und diese im Vergleich zu unproblematisch Spielenden deutlich erhöhte psychosoziale Belastungswerte aufzeigen, wobei das Spielen an Automaten sowie die Nutzung internetbasierter Glücksspielangebote sich als Glücksspielformen erweisen, die überzufällig mit einer problematischen Nutzung in Zusammenhang stehen.

4. Eine Aufgabe für den erzieherischen Jugendschutz

Die vorliegenden Forschungsbefunde verweisen auf den dringlichen Bedarf an jugendgerechten Maßnahmen der Prävention, d.h. einer möglichst frühzeitigen Gegensteuerung durch Ausarbeitung und Implementierung zielgruppenspezifischer Präventionsprogramme. Die Datenlage zeigt die Notwendigkeit auf, neben dem ordnungsrechtlich-kontrollierenden Jugendschutz dem erzieherischen Jugendschutz einen hohen Stellenwert einzuräumen. Präventiver Jugendschutz muss dabei sowohl verhältnis- wie verhaltenspräventive Strategien umfassen (vgl. Hallmann et al. 2013).

Hierbei sind die Maßnahmen, welche laut § 14 SGB VIII zum erzieherischen Kinder- und Jugendschutz als Angebote den jungen Menschen und Erziehungsberechtigten gemacht werden sollen, beschrieben: Sie sollen junge Menschen befähigen, sich vor gefährdenden Einflüssen zu schützen, und sie zu Kritikfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit sowie zur Verantwortung gegenüber ihren Mitmenschen führen, und sie sollen Eltern und andere Erziehungsberechtigte besser befähigen, Kinder und Jugendliche vor gefährdenden Einflüssen zu schützen.

4.1 Maßnahmen aus dem Bereich der universellen Suchtprävention

Um Jugendlichen für die Gefahren von Glücksspielen und glücksspielähnlichen Spielen zu sensibilisieren und somit ein eigenverantwortliches Handeln zu ermöglichen, müssen sowohl Eltern als auch pädagogische Fachkräfte in der Arbeit mit Jugendlichen ein Bewusstsein für die Problematik entwickeln und Methoden für eine effektive Bearbeitung des Themas kennen. Hierbei sollten im Sinne eines universellen Suchtpräventionsansatzes breite Teile der Bevölkerung angesprochen werden. Lehrkräfte beispielsweise schätzen den Umgang der Schülerschaft mit Glücksspielen als problematisch und zugleich deren Informiertheit über die Gefahren als eher gering ein (Baumgärtner 2009).

Es ist nötig, dass Jugendliche - bereits bevor eine manifeste Gefährdung besteht - über das Suchtpotential von Glücksspielen informiert werden und sich mit den möglichen negativen Konsequenzen einer (illegalen) Spielteilnahme auseinandersetzen. Auch die Mechanismen und die Reize von Glücksspielen und ähnlichen Spielen ohne Geldeinsatz (z.B. Poker-Übungsseiten im Internet oder auch Spielelemente in der stetig wachsenden Grauzone zwischen gaming und gambling) sowie von der auch für Heranwachsende stets präsenten Werbung werden am besten vermittelt und verstanden, bevor eine starke Bindung zu Glücksspielen besteht. Mit den Versprechen und Verlockungen einer hocheffizienten Branche konfrontiert, haben Minderjährige einen Anspruch darauf, sowohl faktisch als auch im ethischen und wertebildenden Sinne unterrichtet zu werden und sich selbstständig und im Kontakt mit Erwachsenen über diese Aspekte klar zu werden, um somit (eigen-) verantwortliche Entscheidungen treffen zu können. Das Thema Glücksspiele kann sowohl dezidiert Inhalt einer suchtpräventiven Maßnahme als auch ein Teilaspekt übergeordneter Themen (Sucht, Medien) sein.

Natürlich können und sollen auch Angebote direkt an Jugendliche adressiert sein. Beispiele hierfür sind das interaktive Browsergame "Spielfieber" (www.spielfieber.net) oder die jugendgerechten Web-Seiten www.check-dein-spiel.de der BZgA und www.faules-spiel.de der Berliner Fachstelle Suchtprävention.

4.2 Maßnahmen aus dem Bereich der selektiven Suchtprävention

Es gilt auch besonders gefährdete Jugendliche noch besser zu erreichen. Heranwachsende sollen dabei lebensweltnah und niedrigschwellig, also auch ihren Neigungen und Interessen gemäß angesprochen werden. Es bietet sich an, gefährdete Gruppen über bestehende Strukturen zu erreichen und institutionalisierte Zugänge zu nutzen, beispielsweise migrationsspezifische Einrichtungen und Projekte, denn Menschen mit Migrationshintergrund haben empirisch betrachtet ein erhöhtes Risiko, mit glücksspielassoziierten Problemen belastet zu sein (vgl. Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 2012), oder Jugendschuldnerberatungen, für deren Klientel Glücksspiele oft eine große Rolle bei dem "Erwerb" der Schulden spielen. Auch die Mitgliedschaft in einem Sportverein erhöht das Risiko für unter 18-Jährige signifikant, an Glücksspielen teilzunehmen und ein problematisches Glücksspielverhalten aufzuweisen (Meyer et al. 2013).

Literatur

Baumgärtner, T.: Jugendliche und Glücksspiel. Erste Ergebnisse der SCHULBUS-Sondererhebung. Hamburg 2009

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse aus drei repräsentativen Bevölkerungsbefragungen 2007, 2009 und 2011. Köln 2012

Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse des Surveys 2013 und Trends. Köln 2014

Hallmann, H.-J. et al./DHS-Fachausschuss Prävention: Suchtprävention in Deutschland. Stark für die Zukunft. Hamm 2013

Hayer, T.: Jugendliche und glücksspielbezogene Probleme. Risikobedingungen, Entwicklungsmodelle und Implikationen für präventive Handlungsstrategien. Frankfurt/Main 2012

Hayer, T. et al.: Endbericht Evaluation des Browsergames "Spielfieber": Akzeptanz, Effekte und Potential. Bremen 2014

Hoff, T./Klein, M. /Experten- u. Expertinnengruppe "Kölner Klausurwoche": Memorandum Evidenzbasierung in der Suchtprävention - Möglichkeiten und Grenzen. Köln 2014

Kroher, M. et al.: Pathologische Glücksspieler in Einrichtungen der ambulanten Suchthilfe in Bayern: Bayerische Versorgungsstudie. Kurzbericht. München 2010

Meyer, C. et al.: PAGE-Studie "Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie: Entstehung, Komorbidität, Remission und Behandlung". Universitäten Greifswald und Lübeck 2011

Meyer, C. et al.: Verbreitung von Sportwetten und glücksspielbezogenem Suchtverhalten in Sportvereinen: Eine Pilotstudie. Praxis Klinische Verhaltensmedizin und Rehabilitation 2013, 92, S. 189-196

Müller, K.W. et al.: Abschlussbericht zur Studie Konsum von Glücksspielen bei Kindern und Jugendlichen: Verbreitung und Prävention im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen. Mainz o.J.

Autor

Der Autor diese Beitrags, Dipl.-Sozialpädagoge Daniel Ensslen, ist Referent für Prävention gegen Glücksspielsucht bei der Aktion Jugendschutz Landesarbeitsstelle Bayern e.V.

Seit 2008 ist das Referat für Prävention gegen Glücksspielsucht, finanziert durch die Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern, unter den Aspekten des erzieherischen Jugendschutzes in der Konzeptionierung, Implementierung und Umsetzung präventiver Maßnahmen gegen Glücksspielsucht aktiv. Auch weiterhin sollen als wesentliche Schwerpunkte sowohl die Entwicklung von Fortbildungsangeboten für Multiplikatoren/innen als auch die Erstellung von Materialien durch aktuelle Erkenntnisse aus Forschung und den Bedarf der Praxis geleitet werden. Auf diesem Wege wird Jugendlichen erfolgreich der Zugang zu bedarfsgerechten und passgenauen Angeboten ermöglicht.

Weitere Publikationen, Fortbildungsangebote oder Materialien für die Arbeit mit Jugendlichen finden Sie unter: www.bayern.jugendschutz.de.