Familienunterstützende Dienste

Günther Koch

 

Im Bereich familienunterstützender Dienste machen seit Beginn der Neunzigerjahre neue Hilfekonzepte in Deutschland auf sich aufmerksam. Es handelt sich um kurzzeitige Kriseninterventionsprogramme wie "Familie im Mittelpunkt" (FIM) und "Familienaktivierungsmanagement" (FAM). Für einen Teil dieser Hilfeangebote wurde durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine unabhängige Begleitforschung der Implementierungsphase finanziert. Die Ergebnisse liegen mittlerweile vor (Koch und Lambach 2000). Welche Implikationen für familienunterstützende Dienste generell resultieren aus diesen Forschungsergebnissen?

Zur Begründung ihrer Ansätze betonen die untersuchten Kriseninterventionsprogramme sehr stark eine familienerhaltende Grundorientierung: Versprochen wird, durch kurzzeitige und intensive Hilfen Familien zu stabilisieren, Eltern in ihrer Erziehungskompetenz zu stärken und in erheblichem Ausmaß Fremdplatzierung unnötig zu machen. Dieser Anspruch basiert auf dem Argument, das Aufwachsen von Kindern erfolge grundsätzlich in der eigenen Familie am besten, deshalb sollte alles dafür getan werden, dies zu ermöglichen. Sowohl Familienpolitiker wie Experten der Sozialen Arbeit können diesem Argument zustimmen. Die stark auf Erhaltung der Familie zielende Unterstützung ist daher auch in Familienkontexten tätig, in denen andere Hilfeanbieter, die sich vornehmlich am Wohl des Kindes und den Kinderschutz orientieren, bereits Fremdplatzierung realisieren würden. Hilfen zur Erziehung, die insbesondere auf labile und dynamische Familiensituationen gerichtet sind, sind grundsätzlich in dem Spannungsfeld zwischen Kinderschutz und Familienerhaltung tätig und müssen hierzu auf konzeptioneller Ebene wie im Einzelfall eine sorgfältig reflektierte Position beziehen.

Markanter aber als bisher im Bereich familienunterstützender Dienste wird unterstellt, dass die neuen, intensiven, aber kurzzeitigen Hilfen Fremdplatzierungen vermeiden, also die Grundannahme bestätigen würden, dass Kinder am besten in der eigenen Familie aufgehoben und deshalb vorrangig ambulante Hilfeformen in den Familien anzusetzen seien. Darüber hinaus werde mit den neuen Hilfeformen eine Kostenreduzierung im Bereich der erzieherischen Hilfen möglich. Sowohl unter fiskalischen als auch unter sozialpolitischen und sozialarbeiterischen Gesichtspunkten sei also der Einsatz dieser Hilfen dringend anzuraten. Leisten sie aber tatsächlich, was von ihnen erwartet wird? Um diese Frage zu beantworten, müssen Ausgangsbedingungen und Einflussgrößen sehr differenziert betrachtet werden. Von Vermeidung von Fremdplatzierung etwa kann nur in den Fällen gesprochen werden, wo vor Beginn der Hilfe mit einem relativ verlässlichen Kriterium eine hohe Notwendigkeit für eine Fremdplatzierung festgestellt wurde. Es stellt sich auch die Frage, ob nicht auch eine andere oder sogar keine Unterstützung eine stationäre Hilfe überflüssig gemacht hätte. Das Argument der Kostenreduktion durch FIM oder FAM zählt also nur, wenn es durch klar definierte Parameter und detaillierte Vergleichsstudien unterfüttert werden kann. In Einzelfällen ist nachvollziehbar, dass der vorgezeichnete Weg einer stationären Unterbringung durch die Intervention in Richtung anderer Hilfen verlassen werden konnte. Eine strukturell bedeutsame Verschiebung von stationären zu ambulanten oder teilstationären Hilfen ist aufgrund der bisherigen Fallzahlen und Untersuchungszeiträume jedoch nicht nachzuweisen. Mittlerweile hat bei den Initiatoren der Kriseninterventionsprogramme hinsichtlich des programmatischen Anspruches eine Akzentverschiebung stattgefunden: Gegenüber dem Ziel, Fremdplatzierung zu vermeiden, tritt allmählich die Arbeit an einer von allen Familienmitgliedern getragenen Entscheidung für eine weitere Hilfe zur Erziehung gleich welcher Art in den Vordergrund.

Im Gegensatz zu manch anderen innovativen Hilfeansätzen haben Kriseninterventionsprogramme bereits bei ihrer regionalen Implementierung mit einem relativ durchartikulierten Konzept begonnen, das operational und im Detail auf Handlungsorientierung angelegt ist. Von den Eltern wird dies als besonders positives Merkmal gegenüber anderen Familienhilfen betont, durch die sie vor der Krisenintervention oder auch nachher betreut wurden. Auch belegende Jugendämter heben diese Charakteristik der Hilfe positiv hervor. In einer Zeit, in der eindeutig definierte und überprüfbare Leistungen sowie ein darauf bezogenes Entgelt die Arbeitswelt mehr und mehr bestimmen, liegen die Kriseninterventionsprogramme in ihrer klaren Definiertheit durchaus im Trend.

Jedoch muss im Rahmen der familienunterstützenden Dienste insgesamt die Frage gestellt werden, welchen Beitrag sie alle - nicht nur die Kriseninterventionsprogramme - zur Verbesserung der Situation von Familien leisten und ob im Ergebnis bestimmte Hilfekonzepte besser abschneiden als andere, zum Beispiel was das Ziel "Stabilisierung der familiären Lage" oder andere Aufträge angeht. Die neuen, kurzfristig angelegten, intensiven Hilfen werden sich also an alternativen Möglichkeiten der Hilfe messen lassen müssen, oder anders formuliert: das gesamte Feld der erzieherischen Hilfen von ambulanten bis stationären Leistungen befindet sich unter einem wachsenden Druck nach Evaluation.

Derzeit noch nicht einzuschätzen ist, ob sich die Kriseninterventionsprogramme in hohem Ausmaß als definierte Angebote für bestimmte Familiensituationen etablieren werden oder ob nicht ihr konzeptioneller Einfluss auf andere Familienhilfen für die Jugendhilfelandschaft von höherer Bedeutung ist. Es zeigt sich nämlich bereits heute, dass andere familienorientierte Hilfen deutlich Elemente der Kriseninterventionsprogramme assimiliert beziehungsweise auch schon vorweggenommen haben: Betont werden zunehmend gezielte methodische Vorgehensweisen und klare zeitliche Vorgaben für die Hilfe, ebenso finden sich immer deutlicher Hinweise auf Möglichkeiten der Intensivierung der Unterstützung von Familien in Krisensituationen und weitere Merkmale.

Insgesamt gesehen befinden sich die familienorientierten Hilfen mit den neuen Partnern FIM, FAM und ähnlichen Programmen auf dem Weg einer weiteren Professionalisierung. Eine zentrale Frage auf diesem Weg wird sein, welche fachlichen Kompetenzen speziell für diesen Aufgabenbereich nötig sind und welche Rahmenbedingungen gewährleisten, dass diese Kompetenzen entwickelt und eingesetzt werden können. Mit Rahmenbedingungen sind sowohl Ausbildungsgänge und -konzepte wie auch die organisatorischen und strukturellen Voraussetzungen der Anbieter selbst gemeint.

Darüber hinaus braucht man auf diesem Weg der Professionalisierung detailliertes Wissen darüber, welche familienunterstützenden Dienste für welche Familien- und Problemkonstellationen geeignet und hilfreich sind. Diese Frage kann nur beantwortet werden, wenn unabhängige Vergleichsstudien zu verschiedenen Formen der Familienunterstützung erstellt und ausgewertet werden.

Literatur

Koch, Günther & Lambach, Rolf (2000). Familienerhaltung als Programm. Münster: Votum.

Autor

Günter Koch
Planungsgruppe Petra e.V.
Jacobsgärten 2
36381 Schlüchtern
Tel.: 06661/962714
Fax: 06661/962730
Internet: http://www.projekt-petra.de
E-Mail: g.koch@projekt-petra.de

Quelle

Aus: SOS-Dialog, Fachmagazin des SOS-Kinderdorf e.V., Heft 2001, Jung und chancenlos?, S. 55. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Sozialpädagogischen Instituts im SOS-Kinderdorf e.V. (Herausgeber). Eingestellt am 19.11.2001, überprüft im März 2015