Erzieherischer Kinder- und Jugendschutz

Bruno W. Nikles

 

Der Erzieherische Kinder- und Jugendschutz fand in einschlägigen Handbüchern und Nachschlagewerken bislang keine eigenständige Berücksichtigung, obgleich er zum unverzichtbaren Kern des Jugendschutzes gehört. Der folgende lexikalische Beitrag versucht, diese Lücke zu schließen.

Begriff

Der Erzieherische Kinder- und Jugendschutz umfasst Informations-, Aufklärungs-, Beratungs- und Schulungsangebote öffentlicher und privater Träger des Erziehungssektors, insbesondere der Jugendhilfe und Schule, an junge Menschen, Eltern und Erziehungsberechtigte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor Gefährdungen und Beeinträchtigungen ihres Entwicklungsprozesses. Die abwehrende Perspektive richtet sich insbesondere auf Tatbestände wie gesundheitsgefährdende Stoffe (u.a. Alkohol, Tabak, Drogen), auf Medieninhalte (u.a. Gewaltdarstellungen, sozialethische Desorientierung, ideologische Gefährdungen), auf konfliktträchtiges soziales Verhalten (u.a. Gewalt, Mobbing) oder sonstige Verletzungen von Persönlichkeitsrechten. Wirkungsorientiert soll erreicht werden, dass einerseits Eltern und Erziehungspersonen ihrem Schutzauftrag gegenüber jungen Menschen gerecht werden und andererseits die Kinder und Jugendlichen lernen, Einflüsse abzuwehren oder sich mit ihnen reflektiert auseinanderzusetzen.

Der Erzieherische Kinder- und Jugendschutz ist rechtlich in § 14 Sozialgesetzbuch, Achtes Buch: Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) als eigenständiger Bereich der Jugendhilfe geregelt.

Die Aufgabe, den Erziehungsaspekt mit dem Schutzparadigma zu verbinden, ist Teil "gesamterzieherischen Bemühens" (Carlhoff 1993, S. 96). Sie konstituiert deshalb kein eigenständiges Handlungsfeld mit organisatorischen und räumlichen Bezügen, sondern stellt eine "Querschnittsaufgabe" dar. Diese bezieht sich auf junge Menschen und Erziehungspersonen und kann sinnvollerweise nicht auf den institutionellen Rahmen der Jugendhilfe beschränkt bleiben. Insoweit sind auch wichtige Kooperationspartner der Jugendhilfe, die in § 81 SGB VIII genannt werden, beispielsweise Schule und Schulverwaltung, der Öffentliche Gesundheitsdienst oder die Polizei- und Ordnungsbehörden einzubinden (Darstellung der Breite des Kinder- und Jugendschutzes in: Bienemann/ Hasebrink/ Nikles 1995).

Abgrenzungen und Bezüge zum weiteren Kinder- und Jugendschutz

Der Kinder- und Jugendschutz gründet in der "regulativen" Grundüberlegung, dass das Gelingen des Aufwachsens junger Menschen nicht nur von der personalen Zuwendung, von Hilfe und Unterstützung sowie von der Förderung von Lebenskompetenzen abhängig ist. Schutzregelungen sollen dazu beitragen, dass die Entwicklungsprozesse nicht nachhaltig durch äußere Einflüsse beeinträchtigt werden.

Die Entfaltung dieser Grundüberlegung ist gesellschafts- und kulturspezifisch unterschiedlich ausgeprägt, weshalb die Jugendschutzregelungen bereits innerhalb der europäischen Staaten schwer vergleichbar sind. Selbst zunächst identisch erscheinende rechtliche Vorschriften müssen im jeweils spezifischen sozial-kulturellen Kontext interpretiert werden. Zudem sind die Aufmerksamkeitsmuster auf Gefährdungen sowie die Handlungskontexte der Maßnahmen dem gesellschaftlichen Wandel, gelegentlich auch aktuellen Übertreibungen oder gar spezifischen thematischen "Konjunkturen" ausgesetzt. Für Deutschland lassen sich drei Formenkreise unterscheiden (Überblick: Nikles et al. Jugendschutzrecht, 3. Aufl. 2011, S. 1-37).

Erstens werden zum sogenannten gesetzlichen Jugendschutz strafrechtliche und ordnungsrechtliche gesetzliche Regelungen gezählt. Eine zentrale Rolle spielt hier das Jugendschutzgesetz (JuSchG). Es regelt den Jugendschutz im öffentlichen Raum unter anderem mit Beschränkungen der Abgabe von Alkohol und Tabakwaren an junge Menschen und dem Verbot der Zulassung des Aufenthalts an gefährdenden Orten (z.B. Spielhallen), sorgt für ein System von Altersfreigaben (Druckerzeugnisse, Filme, CD-ROMs, DVDs u.a.m.), legt Sendezeitengrenzen im Fernsehen und Vertriebsbeschränkungen bei jugendgefährdenden Trägermedien fest. Die straf- und ordnungsrechtlich bewehrten Vorschriften richten sich an Gewerbetreibende, Unternehmen und Erziehungspersonen. Das Verhalten von Kindern und Jugendlichen selbst wird rechtlich nicht sanktioniert, unterliegt jedoch folgerichtig den regulierenden Maßnahmen, was auf deren Handlungsebene auch zu Konflikten führen kann. Dabei sind diese Konflikte durchaus vielfach Ausdruck der Versuche junger Menschen, die ihnen gesetzten Grenzen zu testen und Erfahrungen zu sammeln. Der staatliche Föderalismus bringt es mit sich, dass für die Telemedien (Rundfunk und Internet) die Bundesländer zuständig sind. Im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) haben diese untereinander gesetzlich geregelt, wie die jugendschutzbezogene Regulierung dieser Medien zu handhaben ist.

Zweitens hat sich neben den kontrollierend-ordnenden Regulierungen mit dem hier behandelten Erzieherischen Kinder- und Jugendschutz ein Bereich von Maßnahmen entwickelt, der auf die aktive Mitwirkung der Erziehungspersonen und jungen Menschen und deren Kompetenz setzt, Gefährdungen erkennen und diesen durch eigene Verhaltenssteuerung begegnen zu können.

Drittens beinhaltet das SGB VIII in § 1 die programmatische Aussage, "Kinder- und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl" zu schützen und dazu beizutragen, "positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen." Hierin sieht der Kinder- und Jugendschutz die gesetzliche Verankerung eines "strukturellen Jugendschutzes", indem ohne Regulierungen oder Interventionen Bedingungen geschaffen werden, die Gefährdungen mindern oder ausschließen. Eine solche Handlungsperspektive vermeidet auch die "präventive Überlastung" unserer Gesellschaft durch allgegenwärtige Präventionsprogramme, die vielfach mehr versprechen als sie einhalten können. In den letzten Jahren ist der Kinderschutz als Bezeichnung für Maßnahmen der Jugendhilfe in die öffentliche und fachliche Aufmerksamkeit gerückt, die dazu beitragen können, frühzeitig Vernachlässigungen und Misshandlungen in Familie, sozialem Nahraum und in Institutionen der Erziehungshilfe vorzubeugen und zu unterbinden. Zwar unterliegen diese Maßnahmen dem Schutzgedanken, doch sind diese eher dem Bereich der Hilfen zur Erziehung und deren organisatorischer und institutioneller Absicherung zuzurechnen, als dem "klassischen" Jugendschutz.

Die genannten Formenkreise werden mit ihrer jeweils eigenen Aufmerksamkeits- und Handlungslogik vielfach voneinander getrennt oder gar gegeneinander abgeschottet betrachtet. Die damit verbundenen Abgrenzungen kann man durchaus kritisch sehen, wenn beispielsweise gesellschaftliche Gewaltpotentiale, deren mediale Darstellung und die Rezeption nicht nur durch junge Menschen betrachtet werden. Der Nachweis von direkten Wirkungen, etwa von medialen Einflüssen, mag im Einzelfall möglich sein, ist generell jedoch wissenschaftlich nur schwer zu führen. Vielfach muss unter Bedingungen des Nichtwissens über Wirkungszusammenhänge mit Gefährdungsvermutungen operiert werden. Von großer Bedeutung ist deshalb ein übergreifender Diskurs darüber, welchem Menschenbild und welchen Verhaltensnormen eine Gesellschaft sich verpflichtet sieht. In dieser Perspektive werden die einzelnen oben genannten Formenkreise des Kinder- und Jugendschutzes durch gemeinsame Aufmerksamkeitsfiguren miteinander verbunden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass fast alle Jugendschutzregelungen - in gewisser Weise auch die straf- und ordnungsrechtlichen - einen präventiven Charakter tragen.

Historische Entwicklung

Während der Jugendarbeitsschutz seit dem Preußischen Regulativ aus dem Jahre 1839 über die Jahrzehnte hinweg eine deutliche Entfaltung erfahren und sich in den Grundzügen weitgehend etabliert hatte, war die Weimarer Republik mit dem Reichslichtspielgesetz (1920) und mit dem Gesetz zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften (1926) eine Zeit heftigster Auseinandersetzungen um die damaligen "neuen Medien", verbunden mit innenpolitischen Debatten über Medienfreiheit und Zensur. Der Erzieherische Kinder- und Jugendschutz beginnt parallel zu diesen ersten gesetzlichen Regelungen. Quasi in deren Windschatten gab es beispielsweise Initiativen von Jugendverbänden, des Schulsystems und auch einzelner Verlage, jugendgeeignete Literatur zu fördern und eine Art von literarischer Erziehung zu etablieren. In historischer Sichtweise handelte es sich um Versuche, den Modernisierungsprozess der Gesellschaft im Sinne pluraler Wertorientierungen, individueller Entscheidungsfreiheit und freier Medienproduktion zu begleiten und im moralischen Diskurs zu verarbeiten.

Eine weitere solche Phase erlebte die junge Bundesrepublik Deutschland in den 1950er Jahren im Zusammenhang der Jugendschutzgesetze (Gesetz über jugendgefährdende Schriften, GjS; Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit, JÖSchG). Die derzeitige Epoche ist erneut durch einen enormen Bedeutungszuwachs der Medien und vor allem dadurch gekennzeichnet, dass Medieninhalte nahezu grenzenlos und auf verschiedenen konvergenten technischen Plattformen Verbreitung finden. Sie durchdringen das Alltagsleben in einer vormals noch nie erlebten Intensität. Dies verstärkt zum einen die Notwendigkeit der Selbstregulierung durch die Anbieter medialer Inhalte und verlangt zum anderen, durch Kommunikation und über ein erzieherisches Wirken Prozesse der Eigenregulierung und Reflexion der Rezipienten zu erreichen. In diesem Sinne steht auch der Erzieherische Kinder- und Jugendschutz vor qualitativ neuen Herausforderungen.

Die wohl zentrale neue Herausforderung besteht in der "ubiquitären" Qualität medialer Inhalte. Das heißt, über Lebens-, Sozial- und Kulturräume hinweg sind diese Inhalte "allgegenwärtig", überall verbreitetet und einer zunehmenden Zahl von Menschen zugänglich. Ein möglicherweise noch viel tiefgreifenderer Sachverhalt liegt in der Veränderung des Verhältnisses von "Öffentlichem" und "Privatem". Und dies nicht nur im Bereich der Medien, wo selbstgenerierte private Themen und Lebensinhalte öffentlich verbreitet werden und damit auch der kommerziellen und sozialen Nutzung zur Verfügung stehen. Man kann diese Entwicklung als Bereicherung des Lebens sehen. Zugleich aber sind als Gefährdungsmomente auch Ausbeutung, Fehlleitung psycho-sozialen Verhaltens oder Verletzungen von Persönlichkeitsrechten kritisch zu verfolgen. Machtverhältnisse, Privilegierungen und Deprivilegierungen werden in der sich entwickelnden neuen Kultur nicht nur aufgebrochen, sondern auch neu konstituiert.

Rechtliche Einordnung

Der Erzieherische Kinder- und Jugendschutz ist als § 14 Teil des ersten Abschnittes "Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz" des SGB VIII, wobei bereits in der Überschrift des Abschnitts auffällt, dass der Erziehungsaspekt adjektivisch dem Kinder- und Jugendschutz hinzugefügt ist und nicht (am Wortanfang groß geschrieben) einen feststehenden Fachbegriff bildet.

Fachlich zutreffend kommentiert finden wir den Erzieherischen Kinder- und Jugendschutz bei Struck in Wiesner (2006, § 14 Rz. 1). Dort wird der Erzieherische Kinder- und Jugendschutz als "eigenständiger Bereich der KJHilfe" charakterisiert, der "in enger Verbindung zu anderen Teilbereichen - vor allem der JArbeit und Familienbildung" steht und diese Arbeitsfelder ergänzt. Dessen Paradigma ist der "Begriff der Prävention". "Damit sind", so Struck, "alle jene Anstrengungen gemeint, die darauf abzielen, Gefährdungen und Schädigungen frühzeitig zu erkennen und zu verhindern." Mit Bezug auf die Regierungsbegründung zum Gesetzentwurf weist der Kommentator darauf hin, dass den Herausforderungen der Jugendgefährdung nicht "repressiv, sondern offensiv durch Information und Aufklärung der gefährdeten Personen begegnet werden [soll], um dadurch Verhaltensänderungen herbeizuführen." In der weiteren Kommentierung wird unter Verweis auf § 1 Abs. 3 Nr. 3 SGB VIII verdeutlicht, dass der "Kinder- und Jugendschutz ein durchgängiges Prinzip der JHilfe" ist (Rz. 3).

Zum Handlungsrahmen des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes wird von Schäfer in Münder (2009, § 4, Rz. 5) ausgeführt: Die im Gesetz genannten Zielgruppen (Eltern, Erziehungsberechtigte, Kinder und Jugendliche) "lassen keine Beschränkung des erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes auf die Jugendarbeit und Jugendsozialarbeit zu. Über diese Bereiche hinaus wendet er sich zugleich an andere Institutionen der Erziehung und Bildung und ihre Fachkräfte." Er weist zudem richtigerweise darauf hin, dass sich die Aufgaben des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes in den letzten Jahren ausgeweitet haben, insbesondere im Blick auf die Veränderungen und Herausforderungen der Erziehung durch die Entwicklung der sogenannten neuen Medien (Rz. 7). In letzterem Zusammenhang sind auch der Blick auf den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und die Bemühungen wichtig, das Jugendschutz-Paradigma auch in den Angebotsbereichen der Telemedien stärker zu verankern.

Die im zweiten Kapitel "Leistungen der Jugendhilfe" und dessen erstem Abschnitt "Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, erzieherischer Kinder- und Jugendschutz" des SGB VIII festgelegten Aufgaben des öffentlichen Trägers der Jugendhilfe unterliegen einem Landesrechtsvorbehalt (§ 15). Die sich aus der Verfassung, dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG), ergebende Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe ("Fürsorge" und "Bildung", so die Sprache des GG) eröffnet auch im Bereich des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes den Ländern einen Raum für Konkretisierungen und weitere Ausgestaltungen. Diese werden, in unterschiedlicher Breite, von den meisten Bundesländern genutzt. So findet das Erfordernis erzieherischer Aufgabenerfüllung im Kinder- und Jugendschutz seinen politischen Niederschlag in den Kinder- und Jugendförderplänen, die als Teil der Haushaltsplanung gesetzlich geregelt werden und Intention und Umfang des Engagements des Bundeslandes markieren (vgl. Schäfer in Münder 2009, § 15, Rz. 1 ff.). In den meisten Bundesländern existieren Arbeitsgemeinschaften, die zugleich als Fachstellen und als "Dach"-Organisationen tätig sind. Die eigentliche Angebots- und Handlungsverantwortung für den Erzieherischen Kinder- und Jugendschutz liegt allerdings bei den örtlichen öffentlichen Trägern der Jugendhilfe, d.h. bei den Kreisen und Städten.

Konzeptionelle Zuordnungsfragen

Der Erzieherische Kinder- und Jugendschutz beinhaltet bereits begrifflich eine gewisse Spannung. Mit dem Begriff Jugendschutz umrissene gesellschaftliche Vorkehrungen gehen davon aus, dass es Einflüsse, Gelegenheiten und Bedingungen gibt, die dem Aufwachsen junger Menschen abträglich sind und die deshalb von ihnen ferngehalten werden sollen. Im Prozess der Sozialisation, das heißt dem Hineinwachsen in die Erwachsenenwelt, werden Kinder und Jugendliche geradezu zwangsläufig diesen Einflüssen ausgesetzt und müssen sich auch mit ihnen auseinandersetzen. Die Erziehung als eine intentional gelenkte und normativ bestimmte Einflussnahme auf den Sozialisationsprozess sucht Wege, die Entwicklung des jungen Menschen zu einer selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Persönlichkeit zu fördern.

Die Kunst der Verknüpfung des Schutz- und des Förderungsparadigmas besteht darin, darauf zu achten, dass Kinder und Jugendliche größtmögliche Chancen der Entfaltung erhalten, ihre Entwicklungsressourcen auch aktiv nutzen können, und dass dabei zugleich der Belastungsgrad möglicher Gefährdungen auf ein Maß begrenzt wird, bei dem die jungen Menschen entsprechend ihrem Entwicklungsstand keinen Schaden nehmen können. In diesem Sinne könnte man den derzeit intensiv in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften diskutierten "Capability-Approach" mit dem Ziel verbinden, "Resilienz" als Fähigkeit zu fördern, Belastungen aushalten und meistern zu können.

Damit ließen sich auch Ängstlichkeiten und Diskussionssperren überwinden, die das Verhältnis der Sozialpädagogik zum Jugendschutz über Jahrzehnte kennzeichneten und nicht zuletzt dazu führten, dass in einschlägigen Handbüchern der Sozialarbeit und Sozialpädagogik eine Thematisierung des Kinder- und Jugendschutzes weitestgehend unterblieb (vgl. Otto/ Thiersch 2011 u. Voraufl.). Dies mag unter anderem darin begründet sein, dass eine auf die Förderung der Individualität gerichtete Erziehung verständlicherweise Schwierigkeiten hat, kollektiven Gefährdungsvorstellungen zu folgen. In der Tat kann die gesellschaftspolitische Regulierungsaufgabe nur von generellen Sichtweisen ausgehen und muss die Beurteilung der individuellen Entwicklungsprozesse denjenigen überlassen, die für die Erziehungskontexte Verantwortung tragen. Der Kinder- und Jugendschutz zeigt seinerseits Defizite in der politisch-rechtlichen Umsetzung von Erkenntnissen über die Aneignungsprozesse junger Menschen und steht damit auch unter Veränderungsdruck.

Der Vorwurf, der Jugendschutz würde "bewahrpädagogischen Mustern" folgen, geriet allerdings in den letzten Jahrzehnten zunehmend zu einer ideologischen Figur. Generell stellt sich nämlich immer die Frage, in welchem Verhältnis Schutz auf der einen und Befähigung auf der anderen Seite stehen soll. Die politische Forderung nach einer Stärkung der Kinderrechte eröffnet zusätzlich die Debatte darüber, wie die Anstrengungen um ein gelingendes und geschütztes Aufwachsen unter besserer Einbeziehung der Beteiligung junger Menschen sicherzustellen ist - insbesondere wenn man die Bedingungen von Kindheit und Jugend im globalen Kontext betrachtet.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse erfordern aus mehreren Gründen eine verstärkte Förderung des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes und eine weitere Aktivierung der Handlungsprogramme. Zum einen ist die Begrenzung des Zugangs zu Gefährdungspotentialen in öffentlichen Räumen schwieriger geworden. Zudem trägt die Globalisierung unter anderem zu einer Pluralisierung von Kultur- und Wertmustern bei, die es erforderlich erscheinen lässt, im Erziehungsprozess Kommunikation zu verstärken und Orientierung zu geben.

Handlungsformen

Die (präventive) Grundausrichtung des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes kommt am sinnvollsten zur Geltung, wenn er nicht vorschnell auf bereits gefährdete junge Menschen gerichtet ist (sekundäre bzw. selektive Prävention). Dadurch wird der kontrollierende und repressive Aspekt des Jugendschutzes nicht über Gebühr so betont, dass die Angebote und Aktivitäten eher kontraproduktiv wirken könnten. Primär sollte es im Erzieherischen Kinder- und Jugendschutz um eine Stärkung der jungen Menschen im Umgang mit angebotenen Denk- und Handlungsoptionen gehen. So wird es in der Medien- und Konsumpädagogik praktiziert. Dazu gehört vor allem die Vermittlung von technischen Kompetenzen, die Schaffung von Transparenz über die Angebote und die mit ihnen verbundenen Interessen sowie die Förderung der Bereitschaft zur Kommunikation innerhalb des erzieherischen Settings, etwa zwischen Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen einerseits und den Kindern und Jugendlichen andererseits.

Zu den konkreten Handlungsformen gehören, beispielhaft aufgezeigt, unter anderem im Rahmen der Jugendarbeit medienpädagogische Angebote in Freizeiteinrichtungen, im Kontext von Schule die sachgerechte Information über Gefährdungskontexte, in der Familien- und Elternbildung die Stärkung der Erziehungskompetenz und die Kommunikationsfähigkeit, Kinder zu einem reflektierten Verhalten in Gefährdungssituationen anzuhalten. Je nach Alter, Entwicklungsstand und Lebenssituation junger Menschen bestehen unterschiedliche Schutzbedürfnisse, denen auch alters-, geschlechts- und sozialgruppenspezifisch entsprochen werden muss. Die Angebote und Handlungsformen des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes sind mithin darauf abzustimmen.

Systematisch gliedern lassen sich die Angebote im Wesentlichen in folgende Bereiche: unmittelbare pädagogische Angebote, Informations- und Beratungsangebote, Fortbildungsangebote, Kooperations- und Vernetzungsaktivitäten und Öffentlichkeitsarbeit (vgl. Kriterien 1992).

Es steht außer Zweifel, dass auch öffentliche Kampagnen oder Filmclips, die die Aufmerksamkeit der Erwachsenen auf Gefährdungen lenken, denen Kinder beispielsweise beim Surfen im Internet ausgesetzt sein können, einen Beitrag zum Erzieherischen Kinder- und Jugendschutz leisten. Zur Verfügung steht eine Vielzahl von Informationsschriften, die von Institutionen und Organisationen des Kinder- und Jugendschutzes herausgegeben, vertrieben und in der Regel auch zum Herunterladen von deren Webseiten angeboten werden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass speziell auf Kinder zugeschnittene Internetportale existieren, die eine altersgerechte Nutzung von Medieninhalten ermöglichen.

Im Sinne eines "technischen Jugendschutzes" sind Jugendschutzfilter und Jugendschutzprogramme Hilfsmittel des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes. Erstere werden als Software auf Computern/ Servern installiert und geben den Kindern und Jugendlichen zum Beispiel nur einen bestimmten Raum an Internetquellen frei und protokollieren die Nutzung. Letztere werden von Unternehmen (Anbietern von Medieninhalten) zur Regelung von Zeitbegrenzungen und Zugriffsbeschränkungen genutzt. Der technische Jugendschutz entlastet letztlich nicht von der erforderlichen Begleitung der jungen Menschen bei ihrem Medienkonsum. Eltern und Erziehungspersonen bleiben in ihrer Verantwortung.

Zuständigkeiten

Das SGB VIII weist den Erzieherischen Kinder- und Jugendschutz als Aufgabe dem öffentlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe zu. Zuständig sind also auf der örtlichen Ebene die Kreise und Kreisfreien Städte sowie nach jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen gegebenenfalls auch kreisangehörige Städte. Die örtlichen Träger nehmen diese Fachaufgabe in ihren Jugendämtern und Einrichtungen wahr. Es gibt keinen Rechtsanspruch auf Leistungen; allerdings hat der öffentliche Träger die Aufgabe des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes grundsätzlich zu gewährleisten. In der Ausgestaltung ist er ansonsten frei und hat einen weiten Spielraum. Sinnvollerweise und dem Charakter des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes als Querschnittsaufgabe entsprechend wird er die freien Träger der Jugendhilfe und die oben bereits genannten Institutionen und Organisationen mit Bezug zur Lebenswelt der jungen Menschen in die Förderung und Ausgestaltung der Aufgabe einbeziehen. Die überörtliche Zuständigkeit liegt bei den Landesjugendämtern.

Die Personalausstattung, insbesondere bei kleineren Jugendämtern, ist in vielen Fällen sehr begrenzt und häufig auf wenige Prozentanteile des Stellenvolumens der zuständigen Fachkraft bemessen. Fachlich tragfähig ist gegebenenfalls eine Kombination mit den Aufgaben der Jugendarbeit, ist doch diese ein wichtiges Handlungsfeld, in dem die Querschnittsbetrachtung des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes sich konkretisiert. Als nicht unproblematisch muss dagegen eine Kombination des Erzieherischen Kinder- und Jugendschutzes mit ordnungsbehördlichen Aufgaben gelten, allein schon, um die präventive und erzieherische Arbeit nicht durch Symbole und Handlungen repressiver Art zu belasten.

Wie oben bereits erwähnt, tragen die örtlichen öffentlichen Träger der Jugendhilfe, d.h. die Kreise und Städte mit ihren Jugendämtern, für die Angebote und Aktivitäten im Erzieherischen Kinder- und Jugendschutz die Verantwortung. Sie werden in den meisten Bundesländern, zum Teil seit Beginn der jugendschutzrechtlichen Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg, durch Landesarbeitsgemeinschaften Kinder- und Jugendschutz unterstützt. Diese Unterstützungsleistungen in Form von Informations-, Beratungs- und Fortbildungsmaßnahmen können die zum Teil personell schwach ausgestatteten örtlichen Strukturen jedoch nicht ersetzen.

Die Landesarbeitsgemeinschaften nehmen, je nach Bundesland in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, Vernetzungsaufgaben hin zur Kriminalprävention, zu medienpädagogischen Aufgabenfeldern, zur Suchtprävention und zum schulischen Sektor wahr. Auf Bundesebene existiert die Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, in der die Landesarbeitsgemeinschaften, die Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege und verschiedene weitere Fachinstitutionen zusammenarbeiten (www.bag-jugendschutz.de).

Politik

Aufgrund des Umstandes, dass vielfältige Schutzregelungen und auf das Alter von Kindern und Jugendlichen bezogene Rechtsnormen in unterschiedlichen Rechtsgebieten zu finden sind (Nikles et al., Jugendschutzrecht 2011, Teil V), erscheinen auch die politischen und administrativen Zuständigkeiten als stark fragmentiert. Die fachliche Einflussnahme auf das politische Geschehen ist keineswegs einfach und erfordert erhebliche Anstrengungen von den wenigen vorhandenen, meist gemeinnützig arbeitenden Akteuren.

Der 14. Kinder- und Jugendbericht (2013) hat sich als erster Bericht ausführlicher mit dem Kinder- und Jugendschutz befasst. Da Kinder- und Jugendschutz-Aspekte aber nur zu einem Teil im Kompetenzbereich der verfassten Kinder- und Jugendhilfe liegen, bleibt die Gesamtbetrachtung ein durchaus ernstes und noch einzulösendes Desiderat. Eine Reaktivierung des "Einmischungsanspruchs" der Kinder- und Jugendhilfe in korrespondierende Handlungsfelder des Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystems bleibt ebenso weiterhin auf der Agenda wie die Forderung nach Verstärkungen der Rechte und der Partizipation junger Menschen.

Informationen

Informationen zum Kinder- und Jugendschutz lassen sich heute in vielfältiger Weise über die Angebote im Internet erschließen (www.jugendschutz.de; www.handbuch-jugendschutz.de; www.jugendschutz.net; www.klicksafe.de). Hilfestellungen geben die örtlichen öffentlichen Träger der Jugendhilfe (Jugendämter) sowie Fachinstitutionen, die über spezielle Gefährdungskontexte informieren (z.B. die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung). Spezielle Fachzeitschriften (Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis, Berlin; AJSForum, Köln; ajs-informationen, Stuttgart; proJugend, München; Thema Jugend, Münster) thematisieren darüber hinaus das breite Spektrum der Jugendschutzthemen.

Literatur

Bienemann, Georg/Hasebrink, Marianne/Nikles, Bruno W. (Hrsg.) (1995): Handbuch des Kinder- und Jugendschutzes. Grundlagen, Kontexte, Arbeitsfelder. Münster: Votum

Carlhoff, Hans-Werner (1993): Erzieherischer Kinder- und Jugendschutz. In: Gernert, Wolfgang (Hrsg.), Das Kinder- und Jugendhilfegesetz 1993. Stuttgart u.a.O.: Boorberg, S. 94-98

Kriterien (1992): Kriterien für den Erlaß von Ausführungsbestimmungen der Länder zur Ausgestaltung von § 14 KJHG (erzieherischer Kinder- und Jugendschutz) aufgrund § 15 KJHG. Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, 22.09.1992. In: Jugendschutz. Rechtsgrundlagen in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart u.a.O.: Boorberg 1993, S. 14-19

Münder, Johannes (Hrsg.) (2009): Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe. Baden-Baden: Nomos, 6. vollst. überarb. Aufl.

Nikles, Bruno W. et al. (2011): Jugendschutzrecht. Kommentar zum Jugendschutzgesetz (JuSchG) und zum Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV), mit auszugsweiser Kommentierung des Strafgesetzbuches (StGB) sowie weiterer Bestimmungen zum Jugendschutz. Köln: Luchterhand, 3., neu gestaltete u. überarb. Aufl.

Otto, Hans-Uwe/Thiersch, Hans (Hrsg.) (2011): Handbuch Soziale Arbeit. München, Basel: Reinhardt, 4. völlig neu bearb. Aufl.

Wiesner, Reinhard (Hrsg.) (2011): Sozialgesetzbuch VIII: Kinder- und Jugendhilfe. Kommentar. München: Beck, 4. überarb. Aufl.

  1. Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Bestrebungen der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Bundestags-Drucksache 17/12200 vom 30.01.2013

Autor

Prof. Dr. Bruno W. Nikles
Prof. em. Dr. rer.soc., Universität Duisburg-Essen
Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz, Berlin

Quelle

Kinder- und Jugendschutz in Wissenschaft und Praxis (KJug) 2015, 60 (2), S. 35-40. Der Beitrag ist Teil des entsprechenden Themenschwerpunktes der Ausgabe 2-2015 "Der erzieherische Kinder- und Jugendschutz - § 14 SGB VIII (siehe auch www.kjug-zeitschrift.de). Eingestellt am 23.08.2015