Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten (§ 50 SGB VIII)

Wolfgang Braun

 

Die Mitwirkung in Verfahren vor dem Familiengericht nach § 50 SGB VIII gehört nach § 2 Abs. 3 u. 6 SGB VIII zu den "Anderen Aufgaben" (Drittes Kapitel des SGB VIII) der Kinder- und Jugendhilfe und wird hier unter "Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren" (Dritter Abschnitt) aufgeführt. Hier wird das Jugendamt als fachliche Behörde und in Verantwortungsgemeinschaft mit dem Familiengericht tätig. Fürsorge-, Schutz- und Überwachungsfunktion stehen dabei im Vordergrund.

 

Das Jugendamt wirkt in familiengerichtlichen Verfahren somit in ganz unterschiedlichen Funktionen mit. Bedarf es beispielsweise zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung einer verbindlichen Einflussnahme auf die elterliche Erziehungsverantwortung, so ist das Jugendamt auf die Mitwirkung des Familiengerichts bei der Realisierung eines notwendigen Schutzkonzepts angewiesen.

 

Wenn also Eltern ihrer erzieherischen Verantwortung nicht nachkommen wollen oder können und damit in grob fahrlässiger Form erhebliches erzieherisches Fehlverhalten offenbar wird, muss die staatliche Gemeinschaft ihr sogenanntes Wächteramt wahrnehmen. Mit der Erörterung der Kindeswohlgefährdung nach § 157 FamFG soll einer möglichen Gefährdung des Kindeswohls unabhängig von Maßnahmen nach §§ 1666, 1666 a BGB begegnet werden. Das Jugendamt wird demzufolge von Gesetz wegen tätig, unabhängig davon ob die Betroffenen dies wollen oder nicht.

 

Die Erörterung der Kindeswohlgefährdung spiegelt die Anrufungspflicht des Jugendamts für das Familiengericht (FamG). Mit den Beteiligten sollen die notwendigen Schritte und Maßnahmen zur Klärung der Gefährdung sowie zur Sicherstellung des Schutzes des Kindes besprochen werden. Dabei kann das Jugendamt seine fachliche Einschätzung zur weiteren Inanspruchnahme von geeigneten Hilfen nach §§ 27 ff. SGB VIII einbringen.

 

Im Verfahren nach § 1666 BGB findet ein Erörterungstermin statt, der insbesondere mit dem frühen Termin im Sinne von § 155 Abs. 2 FamFG verbunden werden kann (vgl. § 157 FamFG) Das Familiengericht hat als Muss-Vorschrift die Sachlage mit dem am Verfahren beteiligten Jugendamt in einem sogenannten Erörterungstermin zu besprechen. In diesem Termin soll das Gericht einerseits auf die Eltern einwirken, um einer etwaigen Kindeswohlgefährdung zu begegnen. Andererseits erhält das Gericht die Gelegenheit, die Eltern auf mögliche rechtliche Konsequenzen für ihr Sorgerecht hinzuweisen und auf eine Kooperation mit dem Jugendamt hinzuwirken.

 

Der Erörterungstermin hat als Muss-Vorschrift binnen eines Monats stattzufinden und gilt für alle Kindschaftssachen. Es geht dabei nicht darum, eine schnellstmögliche Entscheidung zu treffen, sondern es soll vielmehr strukturell eine erste Sondierung und Sortierung erfolgen. Beispielsweise soll geprüft werden, ob nach § 156 FamFG eine einvernehmliche Regelung erzielt und/oder ob die öffentliche Jugendhilfe (Jugendamt) in Anspruch genommen werden kann. Mit der frühen Terminierung wird insbesondere den Kindesinteressen und dem kindlichen Zeitempfinden am besten Rechnung getragen.

 

Im Rahmen seiner Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren hat sich das Jugendamt stets an den gesetzlich vorgegebenen Zielen und Handlungsmaximen des SGB VIII auszurichten. Besonders zu beachten sind Verfahrensvorschriften für den Umgang mit Hinweisen auf Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII), vorläufige Maßnahmen zum Schutz von Kindern und Jugendlichen wie Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII) oder Beistandschaft, Pflegschaft und Vormundschaft für Kinder und Jugendliche (§§ 53-58a SGB VIII) und insbesondere die Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren (§§ 50-52 SGB VIII).

 

Die in § 50 Abs. 1 und 2 SGB VIII normierten Unterstützungs- und Mitwirkungspflichten in der Verantwortungsgemeinschaft mit dem Familiengericht ergänzen die parallelen Beratungs- und Leistungsverpflichtungen gegenüber den Familien, beispielsweise laut §§ 8, 8a, 17, 18, 28 SGB VIII. Sie stehen damit in einem besonders engen Zusammenhang mit dem Leistungsbereich. Dabei kommt insbesondere der sozialanwaltschaftliche Handlungsauftrag der Jugendhilfe auch im Rahmen der Mitwirkungspflicht zum Tragen. Unter Beachtung der datenschutzrechtlichen Regelungen (§§ 61 ff. SGB VIII) kann das Jugendamt die Erkenntnisse aus der vorausgegangenen Beratung für einen kindeswohldienlichen, sachgerechten Entscheidungsvorschlag für das Gericht nutzen.

 

Die Anhörung des Jugendamts in Kindschaftssachen ist also als Ausdruck der Veranwortungsgemeinschaft zwischen Jugendamt und Familiengericht zur Sicherung des Kindeswohls zu sehen. Während das Jugendamt in seiner Funktion als Leistungserbringer die Hilfeprozesse verantwortet, begleitet das Familiengericht den Verfahrensablauf punktuell mit seinen Möglichkeiten der Sachverhaltsklärung und verbindlichen Strukturen.

 

Zum Wohle des Kindes gilt es, vorrangig auf eine einvernehmliche Regelung elterlicher Konflikte im Sinne von § 156 FamFG hinzuarbeiten. Wird aus einem Familienkonflikt eine gerichtliche Streitigkeit, hat das Familiengericht die Pflicht zum Hinwirken auf Einvernehmen. Das Gebot zum Hinwirken auf Einvernehmen gilt nicht nur für den frühen Termin, sondern in jeder Lage des Verfahrens. Die Wahrung des Kindesinteresses muss dabei im Blickfeld bleiben. Des Weiteren soll das Familiengericht auf die Möglichkeit der Beratung hinweisen. Die einschlägigen Beratungsangebote des Jugendamts basieren auf §§ 17, 18 und 28 SGB VIII.

 

Von der Mitwirkung nach § 50 SGB VIII zu unterscheiden sind die Aufgaben des Jugendamts als Vormund bzw. Pfleger im Sinne der §§ 55 SGB VIII, 1791b, c, 1909, 1915 BGB sowie die Beistandschaft nach §§ 1712 ff. BGB in Abstammungs- und Unterhaltssachen. Als gesetzlicher Vertreter des Kindes (Mündel) nimmt das Jugendamt an den Terminen und Anhörungen bei Gericht teil und ist befugt, entsprechende Anträge und Rechtsbehelfe einzulegen.

 

Im ersten Absatz von § 50 SGB VIII wird dem Jugendamt eine Unterstützungspflicht zugeordnet und zwar bei allen Maßnahmen, die die Sorge für die Person von Kindern und Jugendlichen betreffen. § 162 FamFG weist explizit auf die Mitwirkung des Jugendamtes hin:

 

  1. Das Gericht hat in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, das Jugendamt anzuhören. Unterbleibt die Anhörung wegen Gefahr im Verzug, ist sie unverzüglich nachzuholen.
  2. In Verfahren nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs ist das Jugendamt zu beteiligen. Im Übrigen ist das Jugendamt auf seinen Antrag am Verfahren zu beteiligen.
  3. In Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, ist das Jugendamt von Terminen zu benachrichtigen und ihm sind alle Entscheidungen des Gerichts bekannt zu machen. Gegen den Beschluss steht dem Jugendamt die Beschwerde zu.

Die Pflicht des Jugendamtes zur Mitwirkung ist deckungsgleich mit der Pflicht des Gerichts, das Jugendamt gemäß § 162 FamFG anzuhören.

 

Der Inhalt der Mitwirkungspflicht ergibt sich aus der Bezugnahme in § 50 Abs. 1 SGB VIII. Darin heißt es:

  1. Kindschaftssachen (§ 162 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit),
  2. Abstammungssachen (§ 176 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit),
  3. Adoptionssachen (§ 188 Absatz 2, §§ 189, 194, 195 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit),
  4. Ehewohnungssachen (§ 204 Absatz 2, § 205 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) und
  5. Gewaltschutzsachen (§§ 212, 213 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit).

Die Mitwirkung des Jugendamts ist also für diese fünf Verfahrensarten vorgesehen und erfasst alle Verfahren, die die Person des Kindes betreffen. Dabei normieren §§ 155 ff. FamFG ausdrücklich ein Vorrang und Beschleunigungsgebot für Kindschaftssachen, die den Aufenthalt des Kindes, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie für Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls.

 

Inhaltlich hat das Jugendamt im Rahmen seiner Mitwirkungsaufgabe insbesondere über angebotene und erbrachte Leistungen zu unterrichten, erzieherische und soziale Gesichtspunkte zur Entwicklung des Kindes bzw. Jugendlichen einzubringen und auf weitere Möglichkeiten der Hilfe hinzuweisen. Im frühen Termin nach § 155 Abs. 2 hat es demnach umfänglich über den Stand des Beratungsprozesses zu berichten. Die Mitwirkungsaufgabe ist untrennbar verbunden mit der beraterischen Aufgabe des Jugendamts. Dabei wird das Jugendamt auch als eigenverantwortliche sozialpädagogische Fachbehörde zugunsten junger Menschen und ihrer Familien tätig.

 

Im Sinne der Verantwortungsgemeinschaft bleibt der Zusammenhang zum gerichtlichen Verfahren unberührt erhalten und normiert die Notwendigkeit einer gesetzlich geregelten Kooperation mit funktional unterschiedlichem Blickwinkel und strukturell unterschiedlicher Aufgabenstellung.

 

Das Familiengericht ist auf die dem FamFG zugrundeliegenden Bestimmungen und Sicherungen des privaten Rechtsverhältnisses ausgerichtet, während das Jugendamt als "fachliche Hilfe-Institution" sowohl Leistungen als auch andere Aufgaben zugunsten junger Menschen und Familien gewährt.

 

Die in §§ 151 ff. FamFG als Kindschaftssachen bezeichnete Verfahren umfassen alle Prozesse, die das Kindeswohl und die elterliche Erziehungsverantwortung betreffen Im Einzelnen und im Aufgabenwirkungskreis des Jugendamts handelt es sich nach § 151 FamFG um folgende Verfahren:

 

  1. die elterliche Sorge,
  2. das Umgangsrecht und das Recht auf Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes,
  3. die Kindesherausgabe,
  4. die Vormundschaft,
  5. die Pflegschaft oder die gerichtliche Bestellung eines sonstigen Vertreters für einen Minderjährigen oder für eine Leibesfrucht,
  6. die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen (§§ 1631b, 1800 und 1915 des Bürgerlichen Gesetzbuchs),
  7. die Anordnung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Minderjährigen nach den Landesgesetzen über die Unterbringung psychisch Kranker oder
  8. die Aufgaben nach dem Jugendgerichtsgesetz

Verfahrensrechtliche Stellung des Jugendamts

 

Trotz der Mitwirkungs- und Anhörungsverpflichtung ist das Jugendamt nicht per se nach § 7 Abs. 6 FamFG Beteiligter. Den Jugendämtern bleibt es vorbehalten, ob sie mit einer erweiterten Rechtsstellung am Verfahren mitwirken. Nach dem FamFG wird demnach das Jugendamt auf Antrag zum (förmlichen) Verfahrensbeteiligten (§ 162 Abs. 2 FamFG). Ungeachtet einer solchen förmlichen Beteiligungsstellung ist im Hinblick auf das Kindeswohl die Anhörung des Jugendamts stets erforderlich. Die Anhörung ist verfahrensrechtlich eine Stoffsammlung im Rahmen der richterlichen Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG). Mit der Anhörungspflicht verbunden ergibt sich auch ein Anwesenheitsrecht des Jugendamts, allerdings nicht die Verpflichtung zur Anwesenheit; das Jugendamt entscheidet selbst darüber. Die Pflicht zur Anhörung ist zu verstehen als Pflicht, dem Jugendamt Gelegenheit zur Mitwirkung zu geben. Diese ist nachträglich einzuräumen, wenn sie zuvor wegen Gefahr in Verzug nicht gewährt werden konnte. Macht das Jugendamt hiervon keinen Gebrauch, so stellt dies noch keinen Verfahrensfehler dar.

 

An die vom Jugendamt erbrachten Interventionsvorschläge zur psychosozialen Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ist das Gericht grundsätzlich nicht gebunden. Darüber, wie konkret, ausführlich und Entscheidungsvorschläge vorprägend die Stellungnahme des Jugendamts gegenüber dem Gericht ausfällt, entscheidet es in eigener Verantwortung als sozialpädagogische Fachbehörde. Die Fachkräfte des Jugendamts sind ungeachtet ihrer fachlichen gutachterlichen Stellungnahmen keine Sachverständigen im Sinne der gerichtlichen Verfahrensvorschriften, da die Zuständigkeit der Jugendämter gesetzlich geregelt ist. Für die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter zur Mitwirkung im gerichtlichen Verfahren gelten gemäß § 87b Abs. 1 SGB VIII die Regelungen des § 86 Abs. 1-4 SGB VIII entsprechend.

 

Ausblick

 

Welche Fachkräfte mit der Aufgabenerfüllung nach § 50 SGB VIII betreut werden, obliegt der Personal- und Organisationshoheit des kommunalen Leistungsträgers Jugendamt. Die mit diesem Aufgabenbereich verbundenen Anforderungen können nur von besonders qualifizierten Fachkräften (§ 72 SGB VIII) erfüllt werden. Fundierte Rechtskenntnisse und beraterische Kommunikationsfähigkeiten gehören zu den bereichsspezifischen Anforderungen. Um der stets wachsenden und komplexer werdenden Aufgabenvielfalt der Mitwirkungspflicht nach § 50 SGB VIII professionell und kompetent begegnen zu können, haben viele Jugendämter dafür vorgesehene "Fachdienste" in ihrer Organisationsstruktur geschaffen.

 

Literatur

 

Arbeitsgemeinschaft für Kinder und Jugendhilfe AGJ : Sozialgesetzbuch VIII, Berlin: Selbstverlag, 23. Aufl. 2014

 

BGB Bürgerliches Gesetzbuch. München: Beck, 73. Aufl. 2014

 

Dettenborn, H./Walter, E.: Familienrechtspsychologie. München, Basel: Ernst Reinhardt Verlag, 2. Aufl. 2015

 

Kunkel, P.: Sozialgesetzbuch VIII. Kinder und Jugendhilfe. Lehr und Praxiskommentar. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 5. Aufl. 2014

 

Meysen, T./Balloff, R./Finke, F./Kindermann, E./Niepmann, B./Rakete-Dombek, I./Stötzel, M.: Das Familienverfahrensrecht - FamFG. Praxiskommentar. Köln: Bundesanzeiger Verlag 2009

 

Marx, A.: Familienrecht für soziale Berufe. Ein Leitfaden mit Beispielfällen, Mustern und Übersichten. Köln: Bundesanzeiger Verlag 2011

 

Münder, J./Meysen, T./ Trenczek, T.: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, 7. Aufl. 2013

 

Prenzlow, R.: Handbuch Elterliche Sorge und Umgang. Pädagogische, psychologische und rechtliche Aspekte. Köln: Bundesanzeiger Verlag 2013

 

Wiesner, R.: SGB VIII Kinder - und Jugendhilfe. Kommentar. München: Verlag C.H. Beck, 4. Aufl. 2011

 

Autor

 

Wolfgang Braun ist Diplom-Sozialpädagoge (FH), Verfahrensbeistand/Anwalt des Kindes (BVEB), Systemischer Familientherapeut (DGSF) und Mediator (Hochschule Wismar). Neben langjährigen Tätigkeiten in den Jugendämter Bad Tölz-Wolfratshausen und Weilheim Schongau ist er freiberuflich als Verfahrensbeistand/Anwalt des Kindes, Referent für Bildung und Erziehung, Familientherapeut und Familienmediator tätig.

 

Adresse

 

Wolfgang Braun
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Hinweis

 

Veröffentlicht am 11.07.2015