Vereinbarungen über Leistungsangebote, Entgelte und Qualitätsentwicklung (§§ 78 a-g SGB VIII)

Ingo Gottschalk und Uta Riegel

 

1.Grundlage

 

Mit der Einführung der §§ 78a ff. SGB VIII hat seit 1999 rechtstechnisch die Steuerung von Angeboten unter Kostenaspekten auch den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe erfasst.

 

Eingang bei der gesetzlichen Ausgestaltung sollten das Wunsch- und Wahlrecht der Leistungsberechtigten, die Organisations- und Gestaltungsmöglichkeiten freier Träger, der effiziente und effektive Umgang mit öffentlichen Mitteln und die Einführung von Elementen für einen Wettbewerb finden.

 

Die Orientierung hinsichtlich einer Entscheidung zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen leitet sich ausschließlich aus der Befähigung und dem Leistungspotenzial eines Trägers, einem bedarfsentsprechenden Angebot sowie dessen Verhältnis zum beschriebenen Preis ab. In diesem Rahmen können neben den frei gemeinnützigen Trägern auch gewerbliche Träger Aktivitäten zum Abschluss entsprechender Vereinbarungen entwickeln.

 

2.Inhalt

 

In den §§ 78a ff. werden Aspekte der Zusammenarbeit zwischen dem öffentlichen und den freien Trägern der Jugendhilfe oder gewerblichen Trägern für den Fall geregelt, dass diese Aufgaben der Jugendhilfe für den öffentlichen Träger (Subsidiaritätsprinzip) übernehmen.

 

Der Anwendungsbereich des § 78a ist für Leistungen nach §§ 13, 19, 21, 27, 32, 34, 35, 35a sowie teilweise nach §§ 39 und 41 definiert. Landesrecht kann diesen Anwendungsbereich ausdehnen.

 

Es ist für die freien Träger erforderlich, für jede ihrer Leistungen drei verschiedene Vereinbarungen abzuschließen, um ihren Anspruch auf die Übernahme ihrer Entgelte zu erlangen: die Leistungsvereinbarung, die Qualitätsentwicklungsvereinbarung sowie die Entgeltvereinbarung (§ 78b).

 

Der Gestaltungsrahmen des § 78c präzisiert Inhalte der Leistungs- sowie der Entgeltvereinbarung (u.a. Art der Leistung, Ziel, Adressaten, personelle und sächliche Ausstattung). Auf die Qualitätsentwicklungsvereinbarung wird nicht weiter eingegangen.

 

Der Zeitraum der Vereinbarungen (§ 78d) ist stets auf die Zukunft hin gerichtet; rückwirkende Vereinbarungen sind nicht statthaft (Offensichtlich wird die Praxis auf die früher übliche rückwärts gerichtete Ausgleichzahlung des öffentlichen an die freien Träger ausgeschlossen).

 

Für den Abschluss der Vereinbarungen ist der jeweilige örtliche Träger zuständig (§ 78e), d.h. das Jugendamt, in dessen Einzugsgebiet der Träger seine Einrichtungen betreibt.

 

Der Gesetzgeber hat mit § 78f auch übergeordnete Rahmenverträge eingeführt, die zwischen den Spitzenverbänden abgeschlossen werden, um allgemeingültige Bestandteile der Vereinbarungen für alle festzuhalten.

 

Der letzte Abschnitt dieses Paragrafen (§ 78g) schließlich regelt den Einsatz von Schiedsstellen für den Konfliktfall zwischen den Parteien.

 

Mit §§ 78a ff. werden die drei Aspekte fachliche Leistung, Finanzen und qualitative Weiterentwicklung mit einander in Beziehung gesetzt. Das äußere Zeichen dreier verschiedener Vereinbarungen lässt sich verstehen als gleichrangige Bedeutung dieser drei.

 

Die daraus erwachsende Transparenz und Herstellung der Vergleichbarkeit bedeuten einen modernen Umgang mit Herausforderungen und den zur Verfügung stehenden Ressourcen.

 

Mit den gesetzlichen Regelungen der §§ 78a ff. werden nicht nur die Beteiligten auf Vereinbarungen hin verpflichtet, diese Vereinbarungen müssen einem Mindeststandard genügen und schaffen für die Beteiligten Verlässlichkeit hinsichtlich der einvernehmlichen Entwicklung der Leistungsprofile. Die öffentlichen Träger erhalten damit Gewissheit, welche Leistungen mit welchen finanziellen Ressourcen und Wirkungen erbracht werden. Die Träger erlangen mit dem Abschluss der Vereinbarungen Anspruch auf die Vergütung ihrer Leistungen.

 

Ein Effekt ist auch, dass diese Vereinbarungen gleichberechtigt getroffen werden müssen. Daraus folgt die Notwendigkeit eines Diskurses zu fachlichen Standards etc.

 

3.Kooperation der öffentlichen, freien sowie gewerblichen Träger

 

  • § 78a ff. sind die einzigen Paragrafen im SGB VIII, der die Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und freien bzw. gewerblichen Trägern thematisiert. Bei der Ausgestaltung der Kooperation gilt es, die wechselseitige Abhängigkeit zu bedenken: Jugendämter sind zur Bewältigung ihrer Aufgaben ebenso auf die durchführenden Angebote freier oder gewerblicher Träger angewiesen, wie diese auf ihre Anerkennung als Träger und die Übernahme der Entgelte durch die Jugendämter.

 

Die Beteiligten müssen sich diese Ausgangsvoraussetzungen vergegenwärtigen, um als gleichberechtigte Partner "auf Augenhöhe" agieren zu können.

 

Die Ausgestaltung der Vereinbarungen erlaubt Flexibilität und Individualisierung für alle Beteiligten.

 

4.Umsetzung

 

Die Umsetzung der gesetzlichen Anforderungen ist bis heute schwierig.

 

Entsprechend der Struktursystematik der Gesetzgebung ergeben sich u.a. folgende Hinweise:

 

  • Die öffentlichen Träger der Jugendhilfe befinden sich bezüglich der Struktursystematik der §§ 78a ff. in einem Zielkonflikt: Als Kostenträger (sie begleichen die Entgelte) legen sie Wert auf wirtschaftliches Handeln, als Belegende (Sozialer Dienst) auf qualifizierte Maßnahmen und Angebote; als Kostenträger wünschen sie einen hohen Auslastungsgrad, als Belegende kurzfristig freie Plätze. Dieser Zielvielfalt ist durch Reflektion der Rollen und Vorgehensweisen Rechnung zu tragen - in der Zusammenarbeit und im Aushandlungsprozess mit den Leistungen erbringenden Trägern muss sie verbalisiert werden.
  • Die Qualitätsentwicklungsvereinbarung wird im Gesetz, im Gegensatz zur Leistungs- und Entgelt-Vereinbarung, nicht weiter ausdifferenziert; einzig der Bezug zur Entgeltvereinbarung als Grundlage (§ 78c Abs. 2: "... sind die in der Leistungs- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung festgelegten Leistungs- und Qualitätsmerkmale") wird hergestellt und legt den Rückschluss auf zu vereinbarende Qualitätsmerkmale nahe. Offen bleibt, welche Priorität der Gesetzgeber dieser Vereinbarung einräumt. Es zeigt sich, dass Vereinbarungen zur Qualitätsentwicklung für viele Jugendämter noch längst nicht Praxis sind.
  • Prospektive Abschlüsse bringen immer auch die Frage mit sich, welche Kalkulationsgrundlagen zugrunde gelegt werden (die sich ja in der Regel auf Erfahrungen, also die Vergangenheit, beziehen). Dieses Problem greifen etliche Rahmenvereinbarungen auf, indem dort Beispielrechnungen, Kalkulationen und Ähnliches vorgehalten werden. In die Zukunft gerichtete Entgelte belassen das Risiko beim anbietenden Träger der Leistungen.
  • Die örtliche Zuständigkeit der Jugendämter bringt zwar die in einer Region für die Jugendhilfe Tätigen gemeinsam an den Verhandlungstisch, bewegt sie zur Auseinandersetzung und zum Abgleich von Prioritäten und Haltungen, doch bedeutet sie eben auch, dass diese Zuständigkeit unabhängig von der hausinternen Belegungspraxis gilt. Jugendämter verhandeln Leistungen, Maßnahmen zur Qualitätsentwicklung und Entgelte mit Trägern, die sie nicht belegen (wollen). Wie viel Kraft werden sie dann in die Ausgestaltung der Vereinbarungen einbringen (wollen)?

 

Die örtliche Zuständigkeit impliziert einerseits die Verbindlichkeit von Vereinbarungen, die mit Abschluss bundesweit Gültigkeit haben, d.h. die Jugendämter, die Vereinbarungen mit Trägern schließen, diese aber aus fachlichen Gründen nicht belegen, müssen sich bei der Ausgestaltung dieser Vereinbarungen darüber im Klaren sein, dass sie quasi stellvertretend für andere Jugendämter (ver-) handeln, die ihrerseits an diese Vereinbarungen gebunden sind. Andererseits müssen natürlich die Jugendämter, die außerhalb unterbringen, sich an die dort abgeschlossenen Vereinbarungen binden.

 

Da die öffentlichen Träger nicht die Möglichkeit haben, Träger oder einzurichtende Maßnahmen abzulehnen, besteht ihre Steuerungsmöglichkeit nur durch das eigene Belegungsverhalten.

 

Nicht klar geregelt ist darüber hinaus die örtliche Zuständigkeit bei Einrichtungen mit sehr kleinen Einheiten, die sich in unterschiedlichen Städten und Landkreisen befinden. Hier gehen die Meinungen auseinander, ab wann eine Einrichtung als Einrichtung bewertet wird und damit, welches Jugendamt die Initiative und Verantwortung hat. Wer prüft, wie und ob die vom Gesetzgeber beabsichtigten Ziele erreicht werden? Eine Prüfung der gesetzlichen Anforderungen bezogen auf die bisherige Verwaltungspraxis steht aus.

 

Autorin/Autor

 

Uta Riegel, Dr. Ingo Gottschalk
Verein für Sozialplanung
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Fax: 06232/629492
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Hinweis

 

Veröffentlicht am 05.06.2015