Elternarbeit in Kindertageseinrichtungen

Martin R. Textor

Selbst in einer Zeit, in der immer mehr Mütter (voll-) erwerbstätig sind und die Arbeitszeiten (auch der Väter) immer länger werden, bleibt die Familie die wichtigste Bildungs- und Sozialisationsinstanz für Kleinkinder (vgl. Tietze/ Rossbach/ Grenner 2005). Viele Eltern versuchen, die berufsbedingten Abwesenheiten dadurch zu kompensieren, dass sie die verbleibende Zeit mit dem Kind besonders intensiv nutzen - mitbedingt durch die hohen Erwartungen an die Familienerziehung und an eine möglichst frühzeitige Förderung der kindlichen Entwicklung. So verlaufen in einem Großteil der Familien die Eltern-Kind-Interaktionen auf einem qualitativ höheren Niveau als früher. Allerdings gibt es auch viele Fälle, in denen die Sozialisationsbedingungen zu wünschen übrig lassen: Kleinkinder werden vernachlässigt, stundenlang vor den Fernseher gesetzt, kaum kognitiv stimuliert, sprachlich zu wenig gefördert, nicht an das Einhalten von Regeln gewöhnt usw.

Da Kleinkinder immer früher und immer länger fremdbetreut werden, nimmt die Bedeutung von Kindertageseinrichtungen als Sozialisationsinstanz zu. In den letzten Jahren wird - mitbedingt durch das schlechte Abschneiden deutscher Schüler/innen bei internationalen Vergleichsuntersuchungen (z.B. PISA, IGLU) - auch der Bildungsauftrag von Kindertagesstätten forciert. Einerseits wurden in allen Bundesländern Bildungspläne seitens der zuständigen Ministerien veröffentlicht, an denen sich Erzieher/innen orientieren sollen. Andererseits erwarten immer mehr Eltern, dass Kindertageseinrichtungen die kognitive Entwicklung ihrer Kinder stärker fördern und sie so gut auf die Grundschule vorbereiten, dass sie dort von Anfang an "erfolgreich" sind.Wenn sowohl die Familien als auch die Kindertageseinrichtungen in hohem Maße die kindliche Entwicklung prägen, ist die Forderung nahe liegend, dass sie eng zusammenarbeiten sollten. Deshalb wird im SGB VIII, in den Kita-Gesetzen der Länder und in allen Bildungsplänen, die auf dieses Thema eingehen, eine intensive Kooperation zwischen Eltern und Erzieher/innen gefordert. So heißt es z.B. in § 22a SGB VIII Abs. 2: "Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen sicherstellen, dass die Fachkräfte in ihren Einrichtungen zusammenarbeiten


1. mit den Erziehungsberechtigten und Tagespflegepersonen zum Wohl der Kinder und zur Sicherung der Kontinuität des Erziehungsprozesses,...
Die Erziehungsberechtigten sind an den Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Erziehung, Bildung und Betreuung zu beteiligen".

Traditionell werden die sich aus diesen (gesetzlichen) Vorgaben ergebenden Aufgaben und Tätigkeiten von Erzieher/innen als "Elternarbeit" bezeichnet. Immer häufiger wird aber auch von einer "Erziehungs- und Bildungspartnerschaft" gesprochen, um die kooperativen Elemente in der Beziehung zwischen Eltern und sozialpädagogischen Fachkräften stärker herauszustellen sowie um die Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung beider Seiten zu betonen.

Im vorliegenden Artikel soll die Zusammenarbeit von Erzieher/innen und Eltern von Seiten der Kindertageseinrichtung aus analysiert werden. Eine ausführlichere Darstellung bietet das Buch "Elternarbeit im Kindergarten" (Textor 2013).

Ziele, Planung, Qualitätssicherung

Prinzipiell soll das Angebot einer Kindertageseinrichtung pädagogisch und organisatorisch den Bedürfnissen der Familien entsprechen (vgl. § 22a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII). Das bedeutet, dass Erzieher/innen zunächst die Lebenslagen der Eltern und Kinder erfassen und deren Wünsche ermitteln sollten (Situations- und Bedarfsanalyse). Es gilt, "die Welt mit den Augen des anderen zu sehen und aus den Erkenntnissen heraus entsprechende Konsequenzen für die jeweils eigene Arbeit zu ziehen" (Jansen 1995, S. 314). Dann können z.B. Öffnungszeiten, pädagogische Arbeit, kompensatorische Maßnahmen und Elternveranstaltungen entsprechend geplant werden.

Erwartungen an die Elternarbeit (z.B. die gewünschten Formen und die bevorzugten Zeiten) können im Gespräch und bei Elternveranstaltungen ermittelt werden, aber auch per Fragebogen. Letzteres ist eine sehr effektive und effiziente Methode, insbesondere wenn die Antworten vorformuliert sind und nur noch angekreuzt werden müssen (erleichtert Auswertung). Zu beachten ist allerdings, dass es allgemeine Erwartungen gibt, die nicht abgefragt werden können - z.B. dass Erzieher/innen den Eltern gegenüber freundlich und zuvorkommend sind, sie persönlich ansprechen, auf Probleme sofort reagieren, angemessen gekleidet sind und für eine gute Atmosphäre in der Einrichtung sorgen.

Wurden die Wünsche der Eltern erfasst, kann das Team - möglichst zusammen mit der Elternvertretung - geeignete Formen der Elternarbeit aussuchen. Dabei kann zwischen Dutzenden von Alternativen gewählt werden, wie nachfolgende Tabelle verdeutlicht (aus Textor/ Blank 2004, S. 13 f.).

Tabelle 1: Formen der Elternarbeit

Nr.

Kategorie

Formen der Elternarbeit

1

Angebote vor Aufnahme des Kindes

erster Kontakt zu Eltern

Anmeldegespräch

Vorbesuche in der Gruppe

regelmäßige Besuchsnachmittage

Einführungselternabend

Elterncafé zu Beginn des Kindergartenjahres

Hausbesuche oder Telefonanrufe vor Beginn des Kindergartenjahres

2

Angebote unter Beteiligung von Eltern und Erzieherinnen

Elternabende

Gruppenelternabende

Elterngruppen (mit/ohne Kinderbetreuung)

themenspezifische Gesprächskreise

Treffpunkt für Alleinerziehende

Vätergruppe

Treffpunkt für Migrant/innen

Gartenarbeit

Kochen für Kinder

Spielplatzgestaltung

Renovieren/ Reparieren

Büroarbeit, Buchhaltung

Elternbefragung

3

Angebote unter Beteiligung von Familien und Erzieherinnen

Feste und Feiern

Bazare, Märkte, Verkauf von Second-Hand-Kleidung

Freizeitangebote für Familien (z.B. Wanderungen, Ausflüge)

Bastelnachmittage

Spielnachmittage

Kurse (z.B. Töpfern)

Familiengottesdienste

Vater-Kind-Gruppe/ -angebote

Familienfreizeiten

4

Eltern als Miterzieher

Mitwirkung von Eltern bei Gruppenaktivitäten, Beschäftigungen und Spielen

Begleitung der Gruppe bei Außenkontakten

Einbeziehung in die Entwicklung von Jahres- und Rahmenplänen, die Planung von Veranstaltungen und besonderen Aktivitäten, die Gestaltung von Spielecken usw.

Kita-Projekte unter Einbeziehung der Eltern (z.B. Besuche am Arbeitsplatz, Vorführung besonderer Fertigkeiten)

Kurse für Kinder oder Teilgruppen (z.B. Sprachunterricht, Schwimmkurs, Töpferkurs)

Einspringen von Eltern bei Abwesenheit von Fachkräften (z.B. wegen Erkrankung, Fortbildung)

5

Angebote nur für Eltern

Elternstammtisch

Elternsitzecke (auch im Garten)

Elterncafé

Treffpunktmöglichkeiten am Abend oder am Wochenende

Elterngruppe/-arbeitskreis (allgemein, themen-/ aktivitätenorientiert, Hobbygruppe)

Väter-/Müttergruppen

Angebote von Eltern für Eltern

Elternselbsthilfe (z.B. wechselseitige Kinderbetreuung)

6

Einzelkontakte

Tür- und Angelgespräche

Termingespräche

Telefonkontakte (regelmäßig oder nur bei Bedarf)

Mitgabe/ Übersendung von Notizen über besondere Ereignisse

Tagebücher für jedes einzelne Kind

Beratungsgespräche (mit Mutter, Eltern, Familie; unter Einbeziehung von Dritten), Vermittlung von Hilfsangeboten

Hospitation

Hausbesuche

7

Informative Angebote

schriftliche Konzeption der Kindertageseinrichtung

Elternbriefe/ -zeitschrift

schwarzes Brett

Rahmenplanaushang

Tagesberichte

Fotowand

Buch- und Spielausstellung

Ausleihmöglichkeit (Spiele, Bücher, Artikel, Musikkassetten)

Beratungsführer für Eltern

Auslegen von Informationsbroschüren

8

Elternvertretung

Einbeziehung in die Konzeptionsentwicklung

Besprechung der Ziele und Methoden der pädagogischen Arbeit

Einbindung in Organisation und Verwaltungsaufgaben

gemeinsames Erstellen der Jahres- und Projektpläne

Einbeziehung in die Planung, Vorbereitung und Gestaltung besonderer Aktivitäten und Veranstaltungen

9

Kommunalpolitisches Engagement

Eltern als Fürsprecher der Kindertageseinrichtung

Eltern als Interessensvertreter für Kinder

Zusammenarbeit mit Elternvereinigungen, Initiativgruppen, Verbänden und Einrichtungen der Familienselbsthilfe

 

Bei der Auswahl von Formen der Elternarbeit ist zu beachten, dass möglichst alle Eltern erreicht werden sollten - sowohl solche, die sich z.B. mehr für Fachthemen interessieren (Erziehungsfragen diskutieren, das pädagogische Konzept kennen lernen), als auch solche, die lieber etwas Praktisches machen (mit Kindern spielen, Feste vorbereiten, etwas organisieren), sowohl solche, die eher vor- bzw. nachmittags Zeit haben, als auch solche, die nur am Abend oder am Wochenende kommen können (etc.). Das bedeutet einerseits, dass in der Regel immer nur ein Teil der Eltern ein bestimmtes Angebot nutzen wird. Die Erzieher/innen sollten dann nicht enttäuscht sein, weil sie mit ihm nicht alle Eltern erreicht haben - dies ist nur durch die Gesamtheit der in der Kindertageseinrichtung praktizierten (ganz unterschiedlichen) Formen der Elternarbeit möglich. Andererseits sollten Eltern nicht abqualifiziert werden, weil sie bestimmte Angebote nicht nutzen - jede Form der Beteiligung von Eltern sollte akzeptiert, begrüßt und anerkannt werden: "...das Lesen unseres Elternbriefes ist Mitwirkung; das Mitbringen von Stoffresten ist Mitwirkung; das Gespräch mit einem anderen Elternteil über das auffällige Verhalten eines Kindes ist Mitwirkung; die Bitte um Unterstützung durch das Personal in Zeiten der Belastung ist Mitwirkung" (Workman/ Gage 1997, S. 13).

Die Auswahl bestimmter Formen der Elternarbeit beruht also zumeist auf einem Kompromiss: "Die Erzieherinnen haben die vielfältigen, manchmal widersprüchlichen Ziele und Vorstellungen der Eltern aufgenommen und untereinander abgestimmt. Es gibt ein tragfähiges Ergebnis, in dem eine Balance zwischen den Bedürfnissen der einzelnen Familienmitglieder, den Erzieherinnen und dem pädagogischen Konzept enthalten ist. ... Das Team der Mitarbeiterinnen hat sich ein Gesamtbild der Anforderungen verschafft, die an die Einrichtung gestellt werden, und seine Handlungskonzepte daraufhin überprüft und ergänzt" (Stürmer 2003, S. 17).

In der Regel müssen also recht unterschiedliche Formen der Elternarbeit angeboten werden, um den Bedürfnissen, Erwartungen und Wünschen der Eltern zu entsprechen. Dabei sollte aber immer auch das auf Seiten der Eltern und auf Seiten der Erzieher/innen zur Verfügung stehende Zeitbudget berücksichtigt werden: Es sollten also nicht zu viele Angebote gemacht werden, da sonst die Nutzerzahlen zurückgehen würden bzw. die Fachkräfte Abstriche bei der pädagogischen Arbeit mit den Kindern machen müssten. Durch eine Jahresplanung kann außerdem sichergestellt werden, dass sich Angebote nicht zu bestimmten Zeiten im Verlauf des Kita-Jahres ballen.

Wenn sich eine Kindertageseinrichtung für ein bestimmtes Angebot für Eltern entschieden hat, ist es oftmals sinnvoll, Qualitätsstandards für die ausgewählten Formen der Elternarbeit zu entwickeln - und diese dann auch in der praktischen Arbeit zu berücksichtigen. Zumindest sollten aber die in relevanten Publikationen (z.B. Tietze/ Viernickel 2003) genannten, eher allgemeinen Standards für die Elternarbeit beachtet werden.

Besonders wichtig ist, dass immer wieder überprüft wird (z.B. durch Elternbefragungen), ob die Kindertageseinrichtung wirklich die Bedürfnisse und Erwartungen der Eltern erfüllt und den Qualitätsstandards entspricht. Sind nicht alle Eltern zufrieden bzw. werden die selbst gesetzten Vorgaben nicht erreicht, sollten die Gründe hierfür ermittelt und entsprechende Gegenmaßnahmen entwickelt werden (z.B. Weiterqualifizierung des Personals, Experimentieren mit anderen Formen der Elternarbeit, bessere räumliche und technische Ausstattung). Zumeist ist eine positive Weiterentwicklung möglich - insbesondere wenn Qualitätssicherung verstanden wird als "ein Weg des Denkens mit dem Anspruch der stetigen Verbesserung. Es gilt also, das Gute durch noch Besseres zu ersetzen und sich nicht auf den Erfolgen von gestern auszuruhen" (Lotzwy/ Wenzel 1996, S. 251).

Aufnahme-, Entwicklungs- und Beratungsgespräche

Als wichtigste Form der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft gilt das Gespräch zwischen Erzieher/innen und Eltern über das jeweilige Kind: "Bei der Elternarbeit handelt es sich um einen wechselseitigen Kommunikationsprozess, in dem es darum geht, Informationen über das Kind und sein jeweiliges Umfeld auszutauschen und - darauf aufbauend - ein größeres Verständnis für das Verhalten des Kindes zu gewinnen, eigene Einstellungen zu überprüfen und gegebenenfalls zu verändern" (Dusolt 2001, S. 16).

Dieser intensive Kommunikationsprozess beginnt mit dem Anmeldegespräch, das möglichst mit beiden Elternteilen geführt werden sollte. Da der erste Eindruck oft lange nachwirkt, sollte es gut vorbereitet werden. Auch sollte Wert darauf gelegt werden, dass sich die Eltern wohl fühlen. Laut Bernitzke und Schlegel (2004) kann das Anmeldegespräch folgende sechs Phasen umfassen:

  1. Begrüßung und Vorstellung.
  2. Information der Eltern: Die Erzieher/innen stellen die Kindertageseinrichtung und das Betreuungsangebot vor, erläutern das pädagogische Konzept, berichten über die zukünftige Kindergruppe, skizzieren den üblichen Verlauf der Eingewöhnungszeit und formulieren ihre Erwartungen an die Eltern (-mitarbeit).
  3. Information der Erzieher/innen: Die Eltern beschreiben ihre Familiensituation und insbesondere die Entwicklung, die Gewohnheiten, Vorlieben, Interessen und besonderen Bedürfnisse ihres Kindes. Auch erklären sie ihr Verständnis von Erziehung und Bildung.
  4. Formalitäten: Den Eltern werden Betreuungsvertrag, Einverständniserklärungen, Merkblätter usw. erläutert. Bei Alleinerziehenden muss auch geklärt werden, welche Rechte der andere Elternteil hat (s.u.).
  5. Rundgang durch die Einrichtung: Hier erleben die Eltern die Atmosphäre der Kindertagesstätte, wie sie sich z.B. in der Raumgestaltung oder im Verhalten eventuell noch anwesender Kinder und der sie betreuenden Mitarbeiter/innen widerspiegelt.
  6. Feedback und Verabschiedung.

Nach dem Aufnahmegespräch sollten die Eltern einen Eindruck von der Einrichtung und die Erzieher/innen von der Familie gewonnen haben. Erste Grundlagen für die Erziehungs- und Bildungspartnerschaft sind gelegt worden, indem Erwartungen abgeklärt und wichtige Absprachen getroffen wurden.

Der Prozess des wechselseitigen Kennenlernens und des Informationsaustausches über das jeweilige Kind wird dann in so genannten Tür- und Angel-Gesprächen fortgesetzt. Immer mehr baut sich eine Vertrauensbeziehung auf, insbesondere wenn die Erzieher/innen bewusst auf neue Eltern zugehen, sie freundlich begrüßen bzw. verabschieden und mit ihnen einige Worte über ihr Kind wechseln. Insbesondere wenn Eltern bedrückt oder traurig blicken, sollten sie direkt angesprochen und nach ihrem Befinden gefragt werden.

Erzieher/innen sollten immer wieder prüfen, ob sie nicht bestimmte Eltern meiden - beispielsweise weil sie sich schlecht mit ihnen verständigen können (Migrant/innen), weil sie keine Sympathie für sie empfinden oder weil sie ihren Lebensstil ablehnen. Dusolt (2001) macht auf Folgendes aufmerksam: "Elternarbeit ist geprägt von den Normen und Erwartungen der gesellschaftlichen Mittelschicht: entsprechende Umgangsformen, Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit, die Fähigkeit, eigenes Verhalten kritisch zu reflektieren, sowie gewisse sprachliche Fähigkeiten werden als Grundlage der Elternarbeit angesehen. Diese Eigenschaften und Fähigkeiten setzen einen gewissen Bildungsstand, die Selbstsicherheit und den Mut voraus, sich auf die Zusammenarbeit mit den pädagogischen Fachkräften ... einzulassen" (S. 136). Solche Haltungen bringen z.B. Eltern aus sozial schwachen Schichten nicht mit. Dementsprechend würden sie sich den Erzieher/innen gegenüber eher zurückhaltend, unsicher und misstrauisch verhalten. Deshalb müssten die Fachkräfte immer wieder auf sie zugehen.

Im Verlauf eines Kita-Jahres sollten die Erzieher/innen (laut den meisten Bildungsplänen der Bundesländer) ein oder zwei längere Termingespräche mit den Eltern führen. Hier wird gemeinsam reflektiert, wie sich das Kind in den letzten Monaten in Kindertagesstätte und Familie entwickelt hat, ob besondere Bedürfnisse ermittelt wurden oder irgendwelche (Erziehungs-) Probleme auftraten. Darüber hinaus sollten Erzieher/innen und Eltern ihre Erziehungsziele und -vorstellungen bezüglich des jeweiligen Kindes diskutieren und möglichst aufeinander abstimmen. Bei Bedarf können den Eltern relevante entwicklungspsychologische und pädagogische Kenntnisse vermittelt werden.

Wichtig ist, dass diese Entwicklungsgespräche in einer Atmosphäre der wechselseitigen Achtung und Wertschätzung erfolgen. Die Fachkraft kann viel zu einem positiven Verlauf beitragen, wenn sie z.B. Respekt, Wärme und Empathie zeigt und den Eltern gegenüber offen ist (z.B. "Ich-Botschaften" über ihre Gefühle senden). Vor allem sollte sie vom "aktiven Zuhören" Gebrauch machen, bei dem sie sich auf die "Selbstoffenbarung" der Eltern konzentriert - also auf deren Empfindungen, Bedürfnisse, Einstellungen und Wünsche: "Die zuhörende Erzieherin muss ihre ganze Aufmerksamkeit auf die Eltern richten und sich aktiv mit dem Gehörten auseinander setzen, indem sie das Gehörte versucht zu verstehen, die eigenen Wahrnehmungen kritisch hinterfragt und den Eltern als Gesprächspartnern ein geeignetes Feed-back gibt. In dieser Rückmeldung wird das Gehörte wertfrei gespiegelt, die eigene Wahrnehmung mitgeteilt und durch vorsichtige Interpretationen werden die Aussagen näher beleuchtet" (Bernitzke/ Schlegel 2004, S. 63). Die Eltern fühlen sich verstanden, haben mehr Vertrauen in die Erzieherin, werden offener und tendieren zu mehr Selbstreflexion. Sie akzeptieren dann eher die Bemerkungen, Beobachtungen und Vorschläge der Fachkraft und sind eher zu einer eventuell nötigen Verhaltensänderung bereit. Das Entstehen (oder die Eskalation) von Konflikten wird verhindert.

Haben Erzieher/innen bei einem Kind Verhaltensauffälligkeiten, Sprachstörungen, Entwicklungsverzögerungen oder (drohende) Behinderungen beobachtet, sollten sie unverzüglich seine Eltern zu einem Beratungsgespräch einladen. Oft werden sie aber auch von den Eltern um einen Termin gebeten, wenn diese z.B. Erziehungsschwierigkeiten erleben oder Hilfe bei Familienproblemen und -belastungen benötigen.

Bei Beratungsgesprächen ist eine besonders gründliche Vorbereitung wichtig. Die Erzieher/innen sollten das jeweilige Kind genau beobachtet haben und ihre Wahrnehmungen von Kolleg/innen dahingehend überprüfen lassen, ob das Verhalten des Kindes wirklich auffällig ist. In diesem Zusammenhang ist abzuklären, inwieweit die Ursachen von Problemen in der Person bzw. dem Verhalten der Erzieherin oder in der Gruppe (-ndynamik) liegen könnten. Dann sollten die Fachkräfte Ziele und Inhalte des Beratungsgesprächs festlegen und eventuell im Team besprechen. Für den Gesprächsverlauf kann entscheidend sein, inwieweit es den Erzieher/innen gelingt, sich von den eigenen Gefühlen und von den Problemen des Kindes bzw. der Eltern zu distanzieren. So sollten sie mit der folgenden Voreinstellung in das Gespräch gehen: "Selbst wenn Eltern sich objektiv für die Entwicklung ihres Kindes nachteilig verhalten, so ist doch davon auszugehen, dass sie aus ihrer persönlichen Sicht heraus dessen 'Bestes' wollen" (Dusolt 2001, S. 27).

Manchmal verneinen Eltern zunächst die Probleme ihres Kindes. Oft erkennen sie die Verhaltensauffälligkeiten aber auch nicht, weil ihnen ein Vergleichsmaßstab fehlt (z.B. wegen mangelndem Kontakt zu gleichaltrigen Kindern), weil sie ihr Kind noch nie in einer größeren Gruppe erlebt haben oder weil es sich zu Hause anders verhält. In anderen Fällen handelt es sich bei der Verneinung um einen Abwehrmechanismus, weil die Eltern nicht (vor sich selbst) zugeben wollen, dass sie Erziehungsfehler gemacht haben, ihr Kind nicht "perfekt" ist oder sie bisher seine Auffälligkeiten ignoriert haben. In derartigen Fällen sollte die Erzieherin möglichst viele Situationen genau beschreiben können, in denen problematische Verhaltensweisen auftraten. Führt sie das Gespräch mit beiden Elternteilen, kann sie sich auf denjenigen konzentrieren, der am ehesten das Problem sieht. Oft hilft es, wenn diese Person dann seinem Partner erklärt, wo die Schwierigkeiten liegen. "Notfalls" kann sie die Eltern zum Hospitieren in die Kindergruppe einladen, sodass sie die Verhaltensauffälligkeiten oder sonstigen Schwierigkeiten ihres Kindes selbst beobachten können.

Sehen die Eltern ebenfalls ein Problem (also auch, wenn sie von sich aus um ein Beratungsgespräch nachgesucht haben), sollte dieses zunächst definiert werden. Anschließend sollten die Ursachen und mögliche Lösungen diskutiert werden. Die Eltern sollten im Gespräch zu neuen Einsichten gelangen und möglichst in die Lage versetzt werden, das Problem selbständig zu bewältigen, einen Beitrag zu dessen Lösung durch die Erzieherin zu leisten oder sich für ein weitergehendes Hilfsangebot zu entscheiden. "Lösungen, die von den Eltern selbst gefunden wurden, sind stärker an deren persönlicher Situation und an ihren individuellen Fähigkeiten orientiert als von außen vorgegebene und haben daher bessere Chancen auf Realisierung" (Dusolt 2001, S. 27). Sie sind deshalb den Ratschlägen Dritter vorzuziehen.

Die Beratung dient somit als Orientierungs-, Planungs- und Entscheidungshilfe. Hier sind Grundhaltungen und Techniken der Gesprächsführung wie das bereits erwähnte aktive Zuhören, wie Ich-Botschaften, Echtheit, Kongruenz, Wärme und Empathie von besonderer Bedeutung. Die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Beratung ist größer, wenn sich die Eltern in ihrer persönlichen Situation angenommen und verstanden fühlen. Erst dann werden sie beispielsweise bereit sein, ihr Erziehungsverhalten zu hinterfragen und zu verändern. Allerdings kann Beratung in einer Kindertageseinrichtung aufgrund mangelnder personeller und zeitlicher Kapazitäten immer nur kurzzeitig sein. Außerdem fehlt den Fachkräften eine therapeutische Qualifikation, sodass sie Eltern nur begrenzt helfen können.

Müssen Kinder zur Klärung von Auffälligkeiten ärztlich oder psychologisch untersucht werden, benötigen sie eine intensive heilpädagogische oder therapeutische Förderung, fühlen sich Erzieher/innen durch die Anliegen der Eltern überfordert, ist eine längere Beratung angezeigt, die in der Kindertageseinrichtung nicht zu leisten ist - in diesen und ähnlichen Fällen müssen die Familien an Ärzte, an psychosoziale Dienste und an Behörden wie das Gesundheits- oder das Jugendamt weitervermittelt werden. Oft ist es sinnvoll, Informationen und Beobachtungen mit den dortigen Fachleuten auszutauschen. Voraussetzung hierfür ist das Einverständnis der Eltern (Datenschutz). Gelegentlich werden Erzieher/innen auch in die Hilfeplanung, in die Behandlung eines Kindes oder in die Beratung der Eltern einbezogen. Sind mehrere Dienste involviert, werden sie vereinzelt zu Helferkonferenzen eingeladen, bei denen Informationen ausgetauscht und die verschiedenen Maßnahmen aufeinander abgestimmt werden. Es ist zumeist sinnvoll, wenn die Eltern an diesen Besprechungen teilnehmen, da ihnen auf diese Weise die Angst genommen wird, dass über ihren Kopf hinweg Entscheidungen gefällt werden. Können sie sich in der Helferkonferenz einbringen, erhöht dies auch ihre Motivation, vereinbarte Maßnahmen umzusetzen.

Entwicklungs- und Beratungsgespräche verlaufen gelegentlich konflikthaft. Außerdem kann es Konfliktgesprächen kommen, wenn Erzieher/innen mit gerechtfertigten oder ungerechtfertigten Beschwerden von Eltern konfrontiert werden. Manchmal kann eine solche Eskalation vermieden werden: "Treten Meinungsunterschiede auf, sollte den Eltern vermittelt werden, dass man sich für ihre Haltung interessiert. Auch wenn man bei seiner Auffassung bleibt, kann das Gespräch über die unterschiedlichen Positionen eine positive Wirkung haben. So wird den Eltern Wertschätzung vermittelt und ... das ernsthafte Bemühen um Verständnis signalisiert" (Bernitzke/ Schlegel 2004, S. 241).

Treten jedoch Machtkämpfe und intensive negative Emotionen auf einer Seite oder auf beiden Seiten auf, sollte das Gespräch möglichst abgebrochen und ein neuer Termin vereinbart werden. Dann können sich die Gemüter beruhigen, kann die Erzieherin in der Zwischenzeit die nächste Besprechung gründlich vorbereiten, im Team planen und eventuell im Rollenspiel proben. Manchmal ist es sinnvoll, dass zweite Gespräch zusammen mit einer Kollegin zu führen, die dann zu verhindern versucht, dass die Erzieherin wieder zu emotional reagiert oder sich erneut in einen Machtkampf verwickeln lässt. Lehnen Eltern die Beteiligung der Kollegin ab, weil sie ihr Parteilichkeit unterstellen, kann man sich mit ihnen auf eine/n externe/n Vermittler/in einigen: "Die neutrale Person hat die Möglichkeit, durch klares Nach- und Hinterfragen die Ursachen von Konflikten aufzudecken und damit einer Bearbeitung zugänglich zu machen; sie kann ... ein Gleichgewicht zwischen den Parteien herstellen und die jeweiligen Argumente so 'übersetzen', dass die Positionen auch der jeweiligen Gegenpartei nachvollziehbar werden" (Dusolt 2001, S. 44). Damit steigen die Chancen, dass eine Lösung für den Konflikt gefunden wird.

Zum Umgang mit verschiedenen Familienformen

Bei der Elternarbeit, insbesondere bei Entwicklungs- und Beratungsgesprächen, müssen bestimmte Familienformen und Problemsituationen besonders beachtet werden:

  • Familienkrisen: Der plötzliche Tod eines Familienmitglieds, der überraschende Verlust des Arbeitsplatzes, der unvorhergesehene Auszug des Partners oder ähnliche Ereignisse können zu Krisen führen, die Eltern in einem so hohen Maße beanspruchen, dass sie die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen. In diesen Fällen sollten sich Erzieher/innen voll auf die Eltern einlassen, mit ihnen die neue Situation reflektieren, ihnen beim Verarbeiten ihrer Gefühle helfen, emotionale Unterstützung anbieten und psychosoziale Hilfsangebote erschließen. Dadurch helfen sie dem von ihnen betreuten Kind am besten.
  • Kindeswohlgefährdung: Wird aufgrund von Beobachtungen vermutet, dass ein Kind vernachlässigt, misshandelt oder sexuell missbraucht wird, ist eine gründliche Planung der weiteren Vorgehensweise nötig, damit nicht Folgendes geschehen kann: "Eine verfrühte oder nicht ausreichend vorbereitete Eröffnung der Verdachtsmomente gegenüber den Eltern ist mit der Gefahr verbunden, dass der/die vermutete Täter/in das Geheimhaltungsgebot gegenüber dem Kind verschärft, sich möglicherweise auch der nicht misshandelnde Elternteil mit dem Verdächtigten solidarisiert. Der Druck auf das Kind wird damit noch erhöht, die Möglichkeiten eines effektiven Schutzes für das Kind werden reduziert" (Dusolt 2001, S. 100). Laut § 8a Abs. 4 SGB VIII haben die Jugendämter in Vereinbarungen mit den Trägern von Kindertageseinrichtungen "sicherzustellen, dass 1. deren Fachkräfte bei Bekanntwerden gewichtiger Anhaltspunkte für die Gefährdung eines von ihnen betreuten Kindes oder Jugendlichen eine Gefährdungseinschätzung vornehmen, 2. bei der Gefährdungseinschätzung eine insoweit erfahrene Fachkraft beratend hinzugezogen wird sowie 3. die Erziehungsberechtigten sowie das Kind oder der Jugendliche in die Gefährdungseinschätzung einbezogen werden, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. In die Vereinbarung ist neben den Kriterien für die Qualifikation der beratend hinzuzuziehenden insoweit erfahrenen Fachkraft insbesondere die Verpflichtung aufzunehmen, dass die Fachkräfte der Träger bei den Erziehungsberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, wenn sie diese für erforderlich halten, und das Jugendamt informieren, falls die Gefährdung nicht anders abgewendet werden kann".
  • Trennung/Scheidung: Erzieher/innen sollten sich nicht mit einem der beiden Elternteile solidarisieren oder sich gar in einen Machtkampf um das Kind hineinziehen lassen. Vielmehr sollten sie versuchen, Kontakt zu beiden Elternteilen zu halten und bei Gesprächen vor allem das Wohl und die Interessen des Kindes zu vertreten. Auch können sie auf Hilfsangebote wie Ehe- bzw. Scheidungsberatung und Mediation verweisen.
  • Teilfamilien: Wenn Alleinerziehende keinen Partner haben, ist das Gespräch mit der Erzieherin oft eine von nur wenigen Gelegenheiten, bei denen sie sich in Ruhe über die Entwicklung und Erziehung ihres Kindes, über ihre Lebenssituation sowie über besondere Probleme und Belastungen austauschen können. Die Fachkraft sollte sich für solche Gespräche genügend Zeit nehmen und den Alleinerziehenden auch die Möglichkeit bieten, sich von psychischem Druck zu entlasten. Besonders wichtig ist, die Position des anderen Elternteils zu klären: So verläuft laut vieler wissenschaftlicher Untersuchungen die Entwicklung eines Kindes in der Regel besser, wenn es einen guten Kontakt zu dem abwesenden Elternteil hat und die Beziehung zwischen den früheren Partnern relativ konfliktfrei ist. Sieht also die/der Alleinerziehende den ehemaligen Partner sehr negativ und versucht sie/er, den Kontakt des Kindes zu ihm zu unterbinden, sollte die Erzieherin auf diese Forschungsergebnisse und damit auf die existenzielle Bedeutung des anderen Elternteils für das Kind hinweisen. Ist der außen stehende Elternteil ebenfalls sorgeberechtigt, sollte er möglichst zu Elterngesprächen und -veranstaltungen eingeladen werden. Ist er nicht sorgeberechtigt, sollte sich die Fachkraft um die Erlaubnis des Sorgeberechtigten bemühen, ihn zumindest über die Entwicklung seines Kindes informieren zu dürfen.
  • Stieffamilien: Hier ist es für Erzieher/innen manchmal recht zeitaufwendig, sich Klarheit über das oft sehr komplexe Familiensystem zu verschaffen. So mag der außen stehende Elternteil sorgeberechtigt oder nicht sorgeberechtigt sein, mag kein Kontakt oder ein intensiver bestehen. Oft hat er ebenfalls einen neuen Partner. Manchmal leben bei ihm leibliche Geschwister des in der Kindertageseinrichtung betreuten Kindes oder Halbgeschwister. Insbesondere in solchen Fällen oder wenn der außen stehende Elternteil sorgeberechtigt ist, sollten Erzieher/innen mit ihm Kontakt halten. Aber auch die Stiefeltern sind wichtige Ansprechpartner. Sie können ihre Rolle ganz unterschiedlich ausüben; haben sie das Stiefkind adoptiert, steht ihnen sogar das Sorgerecht zu. Aufgrund der hier nur angedeuteten Komplexität eines solchen Familiensystems gibt es bei weitem mehr potenzielle Konfliktfelder, die sich auf die Entwicklung des jeweiligen Kindes negativ auswirken können. Die Erzieherin kann hier nur selten helfen; sie sollte bei Problemen die Betroffenen z.B. an eine Erziehungsberatungsstelle weitervermitteln.
  • Pflegefamilien: Auch diese Familiensysteme sind sehr komplex und schwer durchschaubar. Die Erzieher/innen müssen sich z.B. informieren, weshalb das Kind in Pflege gegeben wurde, wie sein Kontakt zur Herkunftsfamilie ist und ob es dort noch Geschwister hat. Insbesondere wenn die leiblichen Eltern sorgeberechtigt sind oder mit einer baldigen Rückführung des Kindes zu rechnen ist, sollten die Erzieher/innen nicht nur mit den Pflegeeltern, sondern auch mit der Herkunftsfamilie kooperieren. Da Pflegekinder häufig unter Verhaltensauffälligkeiten und psychischen Problemen leiden, muss oft auch mit Frühförderstellen oder anderen psychosozialen Diensten zusammengearbeitet werden.
  • Erweiterte Familien: In manchen Fällen werden Kinder regelmäßig von den Großeltern betreut. Da diese somit einen großen Einfluss auf die kindliche Entwicklung haben, ist es oft sinnvoll, sie zu (einzelnen) Termingesprächen mit den Eltern hinzuzuziehen. Manchmal werden dann Konflikte zwischen Eltern und Großeltern deutlich (z.B. hinsichtlich bestimmter Erziehungsziele oder der Autoritätsausübung), die sich negativ auf das jeweilige Kind auswirken können. Sie sollten möglichst in einem Beratungsgespräch gelöst oder zumindest abgemildert werden.
  • Sozial schwache Familien: Hier sind die Eltern oft mit existenziellen Problemen wie Dauerarbeitslosigkeit, Überschuldung, drohendem Wohnungsverlust, Suchtkrankheit usw. konfrontiert. Dies kann dazuführen, dass Kinder vernachlässigt werden, was sich auch in Fehlernährung, unzureichender Körperpflege und mangelnder kognitiver Stimulierung äußern kann. Hier müssen Erzieher/innen durch die Vermittlung finanzieller und psychosozialer Hilfen oft erst zu einer gewissen Entlastung der Eltern beitragen, bevor sie mit ihnen in Ruhe über die Erziehung und (heilpädagogische) Förderung ihres Kindes sprechen können.
  • Zugewanderte Familien: Migrantenfamilien unterscheiden sich in hohem Maße voneinander, z.B. hinsichtlich der Beherrschung der deutschen Sprache, des Grades der Integration in die deutsche Gesellschaft, des Ausmaßes des Einflusses ihrer Herkunftskultur und -religion, der Einbettung in soziale Netzwerke, der wirtschaftlichen Verhältnisse usw. Dementsprechend unterschiedlich sind die Anforderungen, die sich den Erzieher/innen im Rahmen der Elternarbeit stellen (siehe hierzu Textor 1999, 2013).

 

Ganz wichtig ist, dass sich Erzieher/innen von Vorurteilen hinsichtlich bestimmter Familienformen befreien. Viele wissenschaftliche Untersuchungen haben in den letzten Jahrzehnten ergeben, dass sich ein Kind genauso positiv in einer Teil-, Stief- oder Pflegefamilie entwickeln kann wie in einer "Erstfamilie". Auch eine sozial schwache oder eine Migrantenfamilie kann gute Sozialisationsbedingungen bieten. Entscheidend ist also nicht die Familienform, sondern wie die Eltern (und andere Bezugspersonen) mit ihrer Lebenssituation umgehen, wie sie das Kind erziehen und wie sie es emotional unterstützen. Außerdem ist von Bedeutung - wie die Resilienzforschung zeigt (Wustmann 2004) -, auf welche Ressourcen das Kind in sich selbst und außerhalb der Familie (also z.B. in der Tagesstätte) zurückgreifen kann.

 

Elternbildung

Manches Beratungsgespräch könnte vermieden wenn, wenn Eltern frühzeitig über die "normale" kindliche Entwicklung und eine "gute" Familienerziehung informiert werden und oft die Gelegenheit haben, sich mit anderen Eltern über ihre Kinder auszutauschen. Deshalb werden in vielen Kindertageseinrichtungen Angebote der Familienbildung gemacht, die (1) von den Erzieher/innen selbst, (2) in Kooperation mit Dritten oder (3) durch Dritte durchgeführt werden - also z.B. durch Mitarbeiter/innen von Familienbildungsstätten, Erwachsenbildungseinrichtungen, Beratungsstellen oder Jugendämtern, aber auch durch freiberuflich tätige Psychologen, Ärzte oder Fortbildner.

Traditionell werden Erziehungsfragen auf Elternabenden behandelt. Die Erzieher/innen halten entweder selbst ein Referat oder laden eine/n Referentin/en ein. Die Themen beziehen sich z.B. auf das Setzen von Grenzen, das Verhalten bei Eltern-Kind-Konflikten, den Umgang mit Aggressionen oder die Medienerziehung (Fernsehen). Da Vorträge immer weniger nachgefragt werden, gehen Kindertageseinrichtungen dazu über, Elternabende als Gesprächskreise zu gestalten, bei denen - nach einem einführenden Statement einer Erzieherin - der (angeleitete) Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen den Eltern im Vordergrund steht. Oft wird von Kleingruppenarbeit, Selbsterfahrungselementen und der Diskussion von Fallbeispielen Gebrauch gemacht.

Erziehungsfragen werden traditionell auch in Elternbriefen behandelt. Fühlen sich Eltern von einem Thema besonders angesprochen, können sie es zur intensiveren Diskussion für einen Elternabend vorschlagen oder um seine Erörterung während eines Termingesprächs bitten. Da die Erstellung von Elternbriefen recht zeitaufwendig ist und zumeist nur kurze Artikel veröffentlicht werden können, gehen manche Kindertageseinrichtungen dazu über, eine Elternsitzecke, ein Elterncafé oder eine Elternbücherei einzurichten. Hier werden Erziehungsratgeber, Elternzeitschriften, elternbildende Broschüren und Programme von Familienbildungsstätten ausgelegt bzw. zur Ausleihe angeboten.

In manchen Kindertageseinrichtungen sind über einen längeren Zeitraum bestehende Elterngruppen eingerichtet worden, die z.B. von einer Erzieherin oder einem Erziehungsberater geleitet werden. Sie finden jede Woche oder jede zweite statt und haben in der Regel maximal 20 Teilnehmer/innen. Es werden entweder die von den Eltern eingebrachten Erziehungsfragen diskutiert oder die Themen für jedes Treffen werden vorab angekündigt. Im Mittelpunkt stehen der Gesprächsaustausch zwischen den Eltern und die wechselseitige Beratung. Dies setzt ein Gruppenklima des gegenseitigen Vertrauens voraus - und die Vertraulichkeit der Gesprächsinhalte. Bei entsprechender Qualifikation der Gruppenleitung können auch die gefühlsmäßigen Grundlagen der Eltern-Kind-Beziehung und die emotionale Situation der Eltern thematisiert werden.

Elternkurse in Kindertageseinrichtungen laufen in der Regel nach einem vorgegebenen Programm ab (z.B. "Triple P", "Starke Eltern - starke Kinder"). Zumeist werden sie von entsprechend ausgebildeten (externen) Fachleuten durchgeführt, die bestimmte Arbeitsbücher oder andere schriftliche Materialien einsetzen. Die Kurse enthalten oft Elemente eines Elterntrainings (z.B. Rollenspiele, Übungen zur Gesprächsführung, "Hausaufgaben").

Dusolt (2001) stellt die Eltern-Kind-Interaktionsbeobachtung als Methode der Elternbildung und -beratung vor. Hier werden in der Kindertageseinrichtung Eltern und Kind während einer Spielsituation gefilmt. Anschließend werden die Aufnahmen mit den Eltern besprochen, wobei auf von den Eltern nicht bewusst wahrgenommene Verhaltensweisen und Reaktionen - sowohl eigene als auch solche des Kindes - eingegangen wird, hinter bestimmten Verhaltensmustern liegende Bedürfnisse aufgezeigt werden sowie Ursachen und Verläufe von Konflikten erörtert werden. "Bei der Auswertung haben die Eltern den Vortritt. Ungünstiges oder falsches pädagogisches Verhalten, das den Eltern selbst auffällt und bewusst wird, hat die größten Chancen auf Veränderung" (a.a.O., S. 51).

Da in bewusst herbeigeführten Beobachtungssituationen problematische Verhaltensweisen und Interaktionen oft nicht oder nur in abgeschwächter Form auftreten, können Filmaufnahmen auch zu Hause von den Eltern selbst gemacht werden. Diese Möglichkeit wird z.B. in den Early Excellence Centres in England und Wales praktiziert. Auch hier haben die Aufnahmen die Funktion eines "Spiegels", der den Eltern ein Betrachten von Interaktionssequenzen aus einer gewissen Distanz heraus ermöglicht. Das Ziel ist immer, den Eltern Einsicht in das eigene Verhalten und die Dynamik der Interaktion zu vermitteln, sodass Verhaltensänderungen aus eigener Motivation heraus möglich werden.

Die Zukunft: Kindertageseinrichtungen als Familien- und Nachbarschaftszentren

Je mehr Veranstaltungen Kindertagesstätten für Eltern machen, umso mehr werden sie zu Familienzentren. Relativ häufig werden schon Eltern-Kind-Nachmittage, Familienausflüge, Elterncafé, Teestube, Elternstammtisch, Vätergruppe, Veranstaltungen mit Großeltern usw. angeboten. Damit wächst die Identifikation der Eltern mit der Einrichtung - und ihre Bereitschaft, sich aktiv einzubringen: Eltern wirken an der Planung und Durchführung von Projekten mit, begleiten die Kinder bei Exkursionen, organisieren Feste und Feiern, stellen pädagogisch wertvolle Materialien her (z.B. Fühl- und Riechsäckchen, Holzbausteine), helfen bei Renovierungsarbeiten oder bei der Gestaltung des Außengeländes. Hier können sich auch sozial schwache Familien, Migrant/innen und Arbeitslose betätigen, was z.B. zur gesellschaftlichen Integration und zur Stärkung von Selbstwertgefühlen beiträgt.

Kindertageseinrichtungen öffnen sich aber auch zunehmend zum Gemeinwesen hin: So laden sie zu Elternabenden, zu einem (Sommer-) Fest, zum Laternenumzug, zum Flohmarkt etc. auch Eltern und Kinder ein, die nicht die Einrichtung besuchen, indem sie das jeweilige Ereignis über Aushänge in benachbarten Geschäften oder Ankündigungen in der Tageszeitung bekannt machen. Oder sie bieten Veranstaltungen für Eltern mit noch nicht fremdbetreuten Kindern an - beispielsweise Still-, Spiel- oder Eltern-Kind-Gruppen. Solche und andere Angebote (Geburtsvorbereitungsgruppen, Schwangerschaftsgymnastik, Gruppen für Eltern mit behinderten Kindern usw.) können auch von Familienbildungsstätten, freiberuflichen Hebammen, Verbänden usw. durchgeführt werden. Auf diese Weise werden Kindertageseinrichtungen zu Nachbarschaftszentren.

Literatur

Bernitzke, F./Schlegel, P.: Das Handbuch der Elternarbeit. Troisdorf: Bildungsverlag EINS 2004

Dusolt, H.: Elternarbeit. Ein Leitfaden für den Vor- und Grundschulbereich. Weinheim, Basel: Beltz 2001

Jansen, F.: Eltern als Kunden? Erziehung als gemeinsame Aufgabe von Familien und Einrichtungen. Theorie und Praxis der Sozialpädagogik 1995, 103, S. 313-317

Lotzwy, D./ Wenzel, P.: Nutzerorientierung als erster Schritt zum Qualitätsmanagement im Kindergarten. In: Deutscher Caritasverband (Hrsg.): caritas '97. Jahrbuch des Deutschen Caritasverbandes. Freiburg: Selbstverlag 1996, S. 244-251

Stürmer, G.: Neue Elternarbeit. Basiswissen Kita. Sonderheft der Zeitschrift "Kindergarten heute". Freiburg: Herder, 3. Aufl. 2003

Textor, M.R.: Elternarbeit mit Ausländern und Aussiedlern (1999). http://www.kindergartenpaedagogik.de/52.html

Textor, M.R.: Elternarbeit im Kindergarten. Ziele, Formen, Methoden. Norderstedt: BoD, 2., überarb. und erg. Auflage 2013

Textor, M.R./ Blank, B.: Elternmitarbeit: Auf dem Wege zur Erziehungspartnerschaft. München: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen, 2. überarb. u. aktual. Aufl. 2004

Tietze, W./ Rossbach, H.-G./ Grenner, K.: Kinder von 4 bis 8 Jahren. Zur Qualität der Erziehung und Bildung in Kindergarten, Grundschule und Familie. Weinheim, Basel: Beltz 2005

Tietze, W./ Viernickel, S. (Hrsg.): Pädagogische Qualität in Tageseinrichtungen für Kinder. Ein nationaler Kriterienkatalog. Weinheim, Basel: Beltz, 2. Aufl. 2003

Workman, S.H./ Gage, J.A.: Family-school partnerships: a family strengths approach. Young Children 1997, 52 (4), S. 10-14

Wustmann, C.: Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Weinheim, Basel: Beltz 2004

Hinweis

Veröffentlicht am 07.04.2006, überprüft und aktualisiert im März 2015