Effizienz: Bedarfsorientierung durch Kostenoptimierung?

Karin Zinkl, Klaus Roos und Michael Macsenaere

Wenn verstärktes betriebswirtschaftliches Denken in die Jugendhilfe Einzug hält, muss das keineswegs der Arbeit und deren Ergebnissen schaden. Zu diesem Ergebnis gelangen die Autoren des nachfolgenden Artikels. Bei gleichem Aufwand kann eine bessere Förderung erreicht werden. Zudem erhalten Einrichtungen und Dienste der Jugendhilfe auf diese Weise eine solide Zahlenbasis für ihre Verhandlungen mit den Kostenträgern.

Die aktuelle Situation in der Kinder- und Jugendhilfe ist geprägt von der Finanznot der Kommunen und öffentlichen Träger. Die Jugendhilfe gerät immer stärker unter Kosten- und Legitimationsdruck. Hinterfragt werden nicht nur die relativ hohen Kosten in der Heimerziehung (im Vergleich zu anderen Jugendhilfeformen und zu anderen stationären Unterbringungsformen im Pflegebereich), sondern auch deren Effektivität und volkswirtschaftlicher Nutzen. Aus dieser Situation heraus stehen Einrichtungen der Jugendhilfe vor der Aufgabe, die Qualität, Effektivität und Effizienz ihrer Leistungen zu belegen und öffentlich darzustellen. Inzwischen liegen erste Effektivitätsstudien aus sehr unterschiedlichen Arbeitsfeldern der Kinder- und Jugendhilfe vor. Zu nennen wären hier insbesondere die "Jugendhilfe-Effekte-Studie (JES)" (1), die bisher größte Evaluationsstudie in der Jugendhilfe, und das Qualitätsentwicklungsverfahren "EVAS", das auf der Basis von bisher über 10.000 analysierten Hilfen eine wirkungsorientierte Steuerung auf mehreren Ebenen ermöglicht (2).

Mit diesen Arbeiten konnte nachgewiesen werden, dass eine Einrichtung oder eine bestimmte Jugendhilfemaßnahme die gesetzlichen Ziele und aufgetragenen Aufgaben in einer angemessenen Qualität erfüllt beziehungsweise nicht erfüllt. Effektivitätsstudien lassen allerdings keine Rückschlüsse darüber zu, ob eine Einrichtung oder eine bestimmte Maßnahme diese Ziele und Aufgaben in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen erbringt. Um fachlich und ökonomisch angemessen auf die aktuellen sozialpolitischen Herausforderungen reagieren zu können, ist eine Erweiterung des bisherigen Erhebungsdesigns angezeigt. Neben der Evaluation der Wirksamkeit von Jugendhilfemaßnahmen gilt es auch zu belegen, ob professionelle Konzepte und Handlungsstrategien zum Einsatz gekommen sind, die einen langfristigen und dauerhaften gesellschaftlichen und volkswirtschaftlichen Nutzen erbracht haben beziehungsweise noch erbringen werden. Handelt es sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht tatsächlich um eine "Zukunftsinvestition in Humankapital", die zu einer Minderung der Folgekosten beiträgt und letztlich zu einer höheren gesellschaftlichen Produktivität führt?

Wie effizient sind Jugendhilfemaßnahmen?

Vor dem Hintergrund des strukturellen Wandels des Sozialstaates werden sich in Zukunft nur diejenigen Einrichtungen und Jugendhilfeformen am Markt behaupten können, denen es gelingt darzustellen, dass sie sowohl effektiv (und damit mit einer entsprechenden Qualität) als auch effizient (das heißt in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen) arbeiten.

Das nachfolgend skizzierte, von Januar 1999 bis Dezember 2001 vom Kinder- und Jugenddorf Klinge im Auftrag des Deutschen Caritasverbandes durchgeführte Praxisforschungsprojekt mit dem Titel "Kosten-Nutzen-Analyse von Jugendhilfemaßnahmen" (3) beabsichtigt, diesen Nachweis der Effizienz von Jugendhilfemaßnahmen zu erbringen. Finanziell gefördert wurde das Vorhaben durch die Lotterie "Glücksspirale" unter Mitwirkung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.

Modellhaft wird hier eine Kosten-Nutzen-Analyse für Jugendhilfemaßnahmen entwickelt (4). Aufbauend auf den empirischen Untersuchungsergebnissen der Studie "JULE" (5) sowie der JES-Studie wurden für den Bereich der Heimerziehung exemplarisch volkswirtschaftliche Auswirkungen von Jugendhilfemaßnahmen auf der Grundlage des Humankapitalansatzes und von Erkenntnissen der Entwicklungspsychopathologie in den Bereichen Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit, gesundheitsbezogenes Verhalten und Delinquenz geschätzt.

Wie hoch ist der Netto-Nutzen für die Gesellschaft?

Aufgrund der aktuelleren Datenbasis (Jahr 2000) werden im Folgenden die Ergebnisse der Analyse bezogen auf die JES-Studie dargestellt. Dabei ergaben sich bei einer durchschnittlichen Maßnahmedauer von 27 Monaten für Heimerziehung in der JES-Studie und durchschnittlichen Kosten je Fall und Jahr von 36.704 Euro im Jahr 2000 (errechnet anhand der Zahlen der KJHG-Statistik) durchschnittliche Aufwendungen einer Heimerziehungsmaßnahme von 82.584 Euro.

Für die Berechnung des volkswirtschaftlichen Nutzens wurde als Erfolgsindikator aus der JES-Studie für den Bereich der Effekte der Heimerziehung das Mittel aller Differenzmaße gewählt. Hierbei ergab die JES-Studie, dass im Mittel durch Heimerziehung 48,2 Prozent der zu Beginn der Hilfe bestehenden Symptome reduziert werden konnten. Dieser Indikator ist im Vergleich zu anderen Indikatoren eher konservativ und bewertet den Maßnahmenerfolg geringer als andere Indikatoren. Mittels verfügbarer statistischer Daten und Forschungsergebnisse aus den Bereichen Bildung, Erwerbstätigkeit, Arbeitslosigkeit, Gesundheitswesen und Delinquenz wurden mögliche Nutzenpotentiale errechnet und diese an der Erfolgsquote der Heimerziehung (48,2 Prozent) relativiert. Als Ergebnis ergaben sich volkswirtschaftliche Nutzeneffekte bei Männern in Höhe von 32.886 Euro im Bereich Gesundheit, 19.509 Euro im Bereich Arbeitslosigkeit, 8.009 Euro im Bereich Delinquenz sowie von 213.236 Euro im Bereich Erwerbstätigkeit. Entsprechend ergaben sich bei Frauen Nutzeneffekte von 32.886 Euro im Bereich Gesundheit, Kosten von 487 Euro im Bereich Arbeitslosigkeit, ein Nutzen von 8.009 Euro im Bereich Delinquenz sowie von 272.915 Euro im Bereich Erwerbstätigkeit. Insgesamt ergeben sich Nutzen-Kosten-Differenzen von +191.056 Euro bei Männern und +230.739 Euro bei Frauen für Heimerziehung. Eine positive Nutzen-Kosten-Differenz gibt an, um welchen Betrag der Nutzen die Kosten übersteigt (Netto-Nutzen).

Als weitere Maßzahl wurde die Nutzen-Kosten-Relation ermittelt. Bei Männern ergibt sich eine Nutzen-Kosten-Relation von +2,32, was bedeutet, dass ein in Heimerziehung eingesetzter Euro im weiteren Lebensverlauf gesamtwirtschaftlich mit 3,32 Euro zurückgezahlt wird, das heißt der Volkswirtschaft einen "Gewinn" von 2,32 Euro einbringt. Entsprechend ergibt sich bei Frauen eine Nutzen-Kosten-Relation von +2,79.

Angesichts der leeren öffentlichen Kassen wurde weiter ermittelt, bis zu welchem kritischen Zinssatz sich eine Kreditaufnahme für Heimerziehung lohnen würde, das heißt die zukünftigen volkswirtschaftlichen Erträge die Kosten plus Zinsen der Kreditaufnahme aufwiegen würden. Dieser kritische Zins beträgt bei Männern 7,84 Prozent und bei Frauen 9,15 Prozent. Sind die Kreditzinsen höher, würde es sich rein ökonomisch nicht lohnen, einen Kredit aufzunehmen, da die Zinsen die positiven Effekte auffressen würden.

Alte Positionen neu überdenken

Für den politischen Willensbildungsprozess ergeben sich aus dieser Analyse neue Bewertungsaspekte für die Heimerziehung. Infolge der hier geschätzten positiven Kosten-Nutzen-Relationen sollten bisherige Standpunkte und Einschätzungen der politisch Handelnden neu überdacht und auf eine empirisch-ökonomisch seriösere argumentative Basis gestützt werden. Die ersten Forschungsergebnisse legen gerade vor dem Hintergrund der Situation der öffentlichen Haushalte den Schluss nahe, dass der Stellenwert der Kinder- und Jugendhilfe im Vergleich zu anderen Sozialleistungen und öffentlichen Ausgabenbereichen neu zu bewerten ist. Dies setzt allerdings voraus, dass auch in anderen öffentlichen Ausgabenbereichen ähnliche Untersuchungen zu den (insbesondere langfristigen) Kosten-Nutzen-Wirkungen entsprechender Ausgabenfelder getätigt werden.

Die vorliegende Studie lädt dazu ein, sich in Zukunft auch im Bereich der Jugendhilfepraxis stärker mit Fragen der gesamtwirtschaftlichen Effekte und damit der Effizienz von Jugendhilfemaßnahmen zu befassen. Im Rahmen einer weiteren Differenzierung und Spezifizierung der Partialmodelle erscheint es zukünftig sinnvoll, Jugendhilfeeinrichtungen oder Teile von Jugendhilfeeinrichtungen im Sinne eines ständigen Qualitäts- und Effizienzverbesserungsprozesses in Form eines Effizienz-Benchmarking-Systems dauerhaft im Hinblick auf Effektivitäts- und Effizienzkriterien zu untersuchen.

Entsprechende Ansätze gibt es bereits im Gesundheitswesen. Hier werden im so genannten Krankenhaus-Report Effektivitäts- und Effizienzindikatoren von deutschen Krankenhäusern gesammelt, analysiert und veröffentlicht.

Auf der Suche nach Verbesserungsmöglichkeiten

Ziel eines solchen Benchmarking-Prozesses ist es, durch Vergleich der Einrichtungen untereinander, aber auch von Teilen einer Einrichtung, Verbesserungspotenziale im Bereich der Effektivität und Effizienz zu identifizieren und umzusetzen.

Hierbei lernen alle am Benchmarking-Prozess beteiligten Einrichtungen im Rahmen eines überregionalen Verbundes voneinander und werden zugleich in die Lage versetzt, ihre Qualität, Effektivität und Effizienz nach außen zu dokumentieren.

Durch die prinzipielle Verbesserungsmöglichkeit dieser Maßnahmen sowohl im Bereich der Effekte als auch der einzusetzenden Mittel kann erwartet werden, dass die Betrachtung von Effizienzaspekten zu einer weitergehenden, ständigen Qualitätsverbesserung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe führen wird. Bei der konkreten Umsetzung eines Effizienz-Analyse-Verfahrens für die Praxis der Kinder- und Jugendhilfe sollten mehrere Aspekte berücksichtigt werden:

  • Das Verfahren muss handhabbar, ökonomisch und in den Alltag integrierbar sein!
  • Es sollte bundesweit und trägerübergreifend einsetzbar sein. Dadurch werden interessante Vergleiche und vertiefende Auswertungen möglich.
  • Kosten-Nutzen-Analysen sind nicht nur eine Angelegenheit für die stationäre Jugendhilfe, sondern erhalten durch die aktuellen Entwicklungen auch für die ambulanten Hilfen eine Brisanz. Daher sollte eine Eignung für das gesamte Spektrum der Hilfen zur Erziehung angestrebt werden.
  • Ein EDV-gestütztes Verfahren führt zu einer höheren Datengüte und einer erheblich schnelleren Auswertung. Damit stehen der Praxis zeitnahe Ergebnisse zur Verfügung.
  • Da sich mit EVAS die Dokumentation und Analyse der Effekte auf der Basis von mehr als 10.000 Einzelfällen bewährt hat, sollte das angestrebte Effizienz-Verfahren zu EVAS kompatibel sein. Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Vielzahl der zurzeit existierenden und zumeist nicht kompatiblen Verfahren zu reduzieren - und dadurch die Handhabbarkeit und den Nutzen für die Praxis zu erhöhen.
  • Das Konzept des Effizienz-Systems sollte an den Belangen einer wirkungsorientierten Steuerung der Kinder- und Jugendhilfe orientiert sein.

In Anbetracht der ersten vielversprechenden Ergebnisse für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe fanden sich Vertreter von Wissenschaft, Forschung (Institut für Kinder- und Jugendhilfe und Katholische Fachhochschule Mainz) und Praxis zu einem Arbeitskreis zusammen und entwickelten - unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte - exemplarisch am Bereich der Heimerziehung (§ 34 SGB VIII) erste Ansätze zur Dokumentation von Kosten-Wirksamkeits-Zusammenhängen für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.

Der Vergleich von Kosten-Wirksamkeits-Relationen der beteiligten Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen lieferte sowohl wertvolle Hinweise hinsichtlich möglicher Kosteneinsparungspotenziale als auch wichtige Impulse für die Durchführung weiterer Investitionen zur Erzielung von Effektivitätssteigerungen (Wirksamkeitssteigerungen).

Es spricht vieles dafür, dass eine Vertiefung und Erweiterung von Effizienzuntersuchungen im Sinne einer Analyse und Dokumentation von Kosten-Wirksamkeits-Relationen unter Einbezug der Qualität der konkreten einzelfallbezogenen Hilfeleistung (Prozessqualität) und unter Berücksichtigung struktureller Rahmenbedingungen neue Handlungspotenziale erschließt.

Die Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe, insbesondere die dort arbeitenden Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, werden mit Kompetenzen ausgestattet, die sie befähigen, soziale Arbeit als produktive und bedarfsorientierte soziale Dienstleistung darzustellen. Die gewonnenen Erkenntnisse fließen unmittelbar in den Prozess der Planung und Durchführung der Hilfe zur Erziehung ein und bewirken eine bedarfsgerechtere Gestaltung sozialer Arbeit.

Dies kommt direkt den benachteiligten jungen Menschen zugute: Bei gleichem Input ist eine bessere Förderung der Klientel zu erwarten, das heißt mehr Effekte hinsichtlich des Aufbaus von Ressourcen (Fertigkeiten und Fähigkeiten) und der Reduzierung von Defiziten (psychische Problemlagen) beim jungen Menschen und seiner Familie.

Mit Blick auf die Beachtung der gesetzlichen Empfehlungen zum § 78b ff. SGB VIII erhielten Einrichtungen und Dienste der Kinder- und Jugendhilfe überdies eine solide Zahlenbasis für ihre Verhandlungen mit den Kostenträgern.

Anmerkungen

(1) Schmidt, M., Schneider, K., Hohm, E., Pickartz, A., Macsenaere, M., Petermann, F., Flosdorf, P., Hölzl, H. & Knab, E.: Effekte erzieherischer Hilfen und ihre Hintergründe. Schriftenreihe des BMFSFJ, Band 219. Stuttgart: Kohlhammer, 2002; Macsenaere, M., Klein, W. & Scheiwe, N.: Ja zu JES! Die wichtigsten Ergebnisse der Jugendhilfe-Effekte-Studie. Freiburg: BVkE, 2003.

(2) Institut für Kinder- und Jugendhilfe: EVAS-Auswertung 2/02. Gesamtbericht. Mainz: Institut für Kinder- und Jugendhilfe, 2003.

(3) Roos, K.: Kosten-Nutzen-Analyse von Jugendhilfemaßnahmen. Kinder- und Jugenddorf Klinge Seckach: Eigenverlag, 2002.

(4) Eine verkürzte Fassung der Kosten-Nutzen-Analyse steht zum Download zur Verfügung unter http://www.klinge-seckach.de/download/kosten_nutzen_analyse.pdf

(5) Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ): Leistungen und Grenzen von Heimerziehung. Schriftenreihe Band 170, 2. Auflage 2002. www.bmfsfj.de/Kategorien/Publikationen/Publikationen,did=3862.html

Autoren

Karin Zinkl, Dipl.-Betriebswirtin (FH), Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ), Mainz; Lehrbeauftragte an der Katholischen Fachhochschule Mainz, Forschungsschwerpunkte: Kosten-Wirksamkeits-Relationen von Heimerziehung, Controlling in der sozialen Arbeit, Benchmarking; Kontakt: zinkl@ikj-mainz.de

Klaus Roos, Dipl.-Psychologe, Dipl.-Volkswirt, Wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ), Mainz, Forschungsschwerpunkte: Kosten-Nutzen-Analyse der Jugendhilfe, Kosten-Wirksamkeits-Relationen von Heimerziehung; Kontakt: roos@ikj-mainz.de

PD Dr. Michael Macsenaere, Dipl.-Psychologe, Direktor des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ), Mainz, Forschungsschwerpunkte: Evaluation erzieherischer Hilfen, Qualitätsentwicklung, Ressourcenorientierte Pädagogik, Sportpsychologie; Kontakt: macsenaere@ikj-mainz.de

Adresse

Institut für Kinder- und Jugendhilfe
Dipl.-Betriebswirtin (FH) Karin Zinkl
Saarstraße 1
55122 Mainz
Tel.:+49 (0) 6131/94797-0
Fax: +49 (0) 6131/94797-77
Email: zinkl@ikj-mainz.de
Internet: http://www.ikj-mainz.de

Quelle

Aus: Neue Caritas/BVkE-Info 2004, Heft 1, S. 4-6. Eingestellt am 04.08.2004, überprüft im März 2015