Mütterzentren: Treffpunkte und Lernorte für Familien

Beatrice Schilling

 

Definition

Mütterzentren sind bundesweit etwa 400 Häuser mit offenen Strukturen und familiärer Atmosphäre. Sie unterstützen Familien, indem sie Gelegenheiten zur Begegnung, Beratung, Betreuung, Bildung, freiwilliger und fester Mitarbeit bieten sowie Dienstleistungen, die den Alltag erleichtern.

Entstehung

Ende der 1970er Jahre untersuchten Wissenschaftlerinnen des Deutschen Jugendinstituts (DJI) München, warum Familien mit geringem Einkommen, trotz Überforderung im Alltag, selten die gängigen Angeboten der Familienhilfe in Anspruch nahmen. Aus der Befragung ging hervor, dass sich die jungen Familien eher den Austausch mit anderen Eltern wünschten als professionelle Beratungen. Außerdem wollten die Eltern nicht als Problemfälle stigmatisiert, sondern als kompetent wahrgenommen werden. Mütter, die ihre Kinder zu Hause betreuten, wollten ihre Kinder nicht wegorganisieren, sondern gemeinsam Zeit an einen Ort mit anderen Müttern und Kindern verbringen und den jeweiligen Interessen nachgehen.

Diese Forschungsergebnisse führten Anfang der 1980er Jahre zum "Modellprojekt Mütterzentren". In Salzgitter, Darmstadt und München-Neuaubing eröffneten Häuser, die von Müttern selbst verwaltet wurden. Hier entstanden Strukturen, in denen Mütter und Kinder ihre häusliche Isolation überwinden und sich zwanglos in öffentlichen Räumen treffen konnten, ohne Hemmschwellen überwinden zu müssen. Die Besucherinnen wurden nicht über ihre Defizite definiert, sondern über ihre Fähigkeiten. Der Kompetenzansatz ermutigte die Frauen, Erfahrungen auszutauschen, Dienstleistungen anzubieten, flexible Kinderbetreuung zu organisieren und politisch aktiv zu werden.

Die Mütterzentrums-Bewegung

Die Mütterzentren wurden von 1981 bis 1984 vom Bundesfamilienministerium finanziell unterstützt und vom DJI wissenschaftlich begleitet. Die Entwicklung der Zentren hielten die Initiatorinnen der Häuser in einem Buch fest: "Mütter im Zentrum - Mütterzentren". Das Buch löste eine landesweite Mütterzentren-Bewegung aus und ermutigte Frauen in ganz Deutschland zu Neugründungen.

Die Mütterzentren nahmen an der Weltfrauenkonferenz in Peking teil, und das SOS-Mütterzentrum Salzgitter war als Exponat auf der Weltausstellung in Hannover Expo 2000. Öffentlichkeitswirksam waren vor allem die Kampagnen zur Armut von Müttern und die Teilnahme am Aktionsprogramm der Bundesregierung zur gewaltfreien Erziehung.

Mütterzentren heute

Aufgrund des demografischen Wandels werden Mütterzentren heute nicht nur von Frauen und Kindern, sondern generationenübergreifend und von allen gesellschaftlichen Gruppen genutzt. Die Schwerpunkte, die in den einzelnen Häusern gesetzt werden, bestimmen die festangestellt und freiwillig Mitarbeitenden und die Besuchenden selbst. Gemeinsam ist allen Häusern der offene Treff und das Prinzip Gastgeberin.

Gastgeberinnen sind für die Besuchenden und Nutzenden die ersten und damit wichtigsten Ansprechpersonen. Sie schaffen die Atmosphäre, in der sich jeder willkommen fühlt und in der sich Begegnungen, Beziehungen und Aktivitäten entwickeln können. Auch an der Außenwirkung eines Hauses sind Gastgeberinnen maßgeblich beteiligt.

Das Mütterzentrums-Konzept diente auch als Vorlage für das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser der Bundesregierung.

Seit 1988 vertritt der Bundesverband der Mütterzentren e.V. die Interessen der Häuser auf der politischen Ebene, betreibt Öffentlichkeitsarbeit und berät bei Neugründungen. International sind die Mütterzentren in 22 Ländern im Mother Centers International Network for Empowerment (MINE) organisiert.

Ziele

Mütterzentren unterstützen und fördern Familien und bieten Möglichkeiten zur Beteiligung. Dabei wird der Begriff "Familie" im weitesten Sinne definiert: Teenager-Mütter, Pflegefamilien, Alleinerziehende, Wahlfamilien, Verwitwete, Regenbogenfamilien usw. Jeder ist willkommen, ganz gleich welcher Herkunft und mit welchem Lebensentwurf. In Mütterzentren gibt es z.B. keine "Kopftuchdebatte". Haushaltsnahe Dienstleistungen, Kinder- und Altenbetreuung sollen die Vereinbarkeit von Beruf und Familienangelegenheiten ermöglichen und den Wiedereinstieg in den Beruf erleichtern. Gleichzeitig soll der Wert der Versorgungsarbeit, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird, ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden. Durch die Motivation zu gegenseitiger Hilfe werden Nachbarschaften lebendiger und Wahlverwandtschaften unterstützt. Ziel ist ein lebenslanges Lernen sowie die Beteiligung aller Menschen am gesellschaftlichen Leben und die Vermittlung von Leitbildern und Werten.

Mütterzentren verstehen sich vor allem als informelle Bildungseinrichtungen, in denen lebensweltorientiertes Lernen stattfindet. Hinzu kommen informelle Bildungsangebote in Form von Kursen wie PEKIP, Deutsch für Menschen mit Migrationshintergrund, Hausaufgabenbetreuung etc. Ein unkomplizierter Zugang und eine entspannte Atmosphäre machen es den Familien leicht, untereinander in Kontakt zu kommen. Daraus entsteht die Bereitschaft, zu kommunizieren und zu handeln. Familien erweitern ihr soziales Netzwerk, lernen von- und miteinander und erleben ein Zugehörigkeitsgefühl. Das sind die besten Voraussetzungen, um Fähigkeiten, Kompetenzen und Kenntnisse bewusst zu machen und Selbstwirksamkeit zu erleben.

Weblinks

Offizielle Homepage des Bundesverbandes: www.muetterzentren-bv.de

Literatur

Broschüre "25 Jahre Mütterzentren Bundesverband"

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hrsg.): Zukunftsprogramm Mehrgenerationenhäuser. Berlin: Selbstverlag 2011

Jaeckel, Monika/Schooss, Hildegard/Weskamp, Hannelore (Hrsg.): Mütter im Zentrum. Mütterzentrum. München: Verlag Deutsches Jugendinstitut 1997

Lenz, Ilse: Die neue Frauenbewegung. Der Abschied vom kleinen Unterschied. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften 2008

Sozialpädagogisches Institut im SOS-Kinderdorf e.V. (Hrsg.): Die Rückkehr des Lebens in die Öffentlichkeit. Neuwied: Luchterhand 2000

Hinweis

Veröffentlicht am 11.05.2015