Fremdadoption

Martin R. Textor

Bei Adoption übernehmen Erwachsene die "soziale Elternschaft" für ein von ihnen nicht gezeugtes Kind, und zwar auf Lebenszeit wie bei leiblichen Kindern. Es handelt sich also um eine Form der Familiengründung; die rechtlichen Grundlagen finden sich überwiegend im Bürgerlichen Gesetzbuch (§§ 1741 ff. BGB). Das Kind wird von den Erwachsenen als gemeinschaftliches (eheliches) Kind angenommen; seine Rechtsstellung entspricht derjenigen eines leiblichen Kindes (Volladoption). Mit Vollzug der Adoption durch das Vormundschaftsgericht (Dekretsystem) erlöschen alle verwandtschaftlichen Beziehungen zu den leiblichen Eltern und anderen Angehörigen sowie die sich daraus ergebenden Rechte und Pflichten. Bei der Inkognitoadoption bestehen keinerlei Kontakte zur Herkunftsfamilie fort - im Gegensatz zu offenen Formen der Adoption (s.u.).

Unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten hat es sich bewährt, folgende "Gruppen" von Adoptionen zu unterscheiden:

 

  • unproblematische Adoptionen von in Deutschland geborenen Säuglingen,
  • Adoptionen älterer, in Deutschland geborener Kinder, die aufgrund ihrer Vorgeschichte häufig Verhaltensauffälligkeiten, psychische Störungen und Entwicklungsverzögerungen aufweisen,
  • Adoptionen behinderter oder chronisch kranker Kinder,
  • Adoptionen von aus dem Ausland (zumeist der "Dritten Welt") stammenden Säuglingen,
  • Adoptionen ausländischer älterer Kinder, die aufgrund ihrer Vorgeschichte oft unterernährt, krank, traumatisiert, psychisch gestört, entwicklungsverzögert oder verhaltensauffällig sind und sich häufig nur schwer eingewöhnen,
  • Pflegekindadoptionen sowie
  • Stiefkindadoptionen.

 

Laut Statistischem Bundesamt gab es im Jahr 2013 insgesamt 3.793 Adoptionen. Nur in 1.448 Fällen (38%) handelte es sich um Fremdadoptionen. 330 von insgesamt 661 Kindern besaßen nicht die deutsche Staatsangehörigkeit und wurden weder von Stiefeltern noch von mit ihnen verwandten Personen adoptiert (Fremdadoptionen ausländischer Kinder). 2.232 Kinder (59%) wurden von Stiefeltern und 113 Kinder (3%) von Verwandten adoptiert. Stiefkind- und Verwandtenadoptionen werden in diesem Artikel nicht behandelt.

Zur Situation von Adoptivfamilien

Die Infertilität eines oder beider Ehepartner ist zumeist der ausschlaggebende Grund für die Adoption eines Kindes. Viele ungewollt kinderlose Paare leiden unter dieser Situation, insbesondere wenn sie sich isoliert und ausgegrenzt fühlen, weil ihre Freunde und Bekannte Kinder bekommen haben und sich nun auf diese konzentrieren. Oder sie ziehen sich zurück, um bohrenden Fragen aus dem Wege zu gehen oder wenn ihr Problem von anderen nicht verstanden wird. Insbesondere Frauen leiden darunter, dass das Thema "Infertilität" in unserer Gesellschaft tabuisiert wird. Manche fühlen sich als Frau minderwertig. Männer setzen sich hingegen weniger mit der ausbleibenden Schwangerschaft auseinander und lassen sich selbst seltener ärztlich untersuchen oder behandeln. So kommt es zu einer "Feminisierung der Unfruchtbarkeit": Überwiegend die betroffenen Frauen befassen sich mit der einschlägigen Literatur, lassen sich untersuchen und unterziehen sich hormonellen Behandlungen, einer künstlichen Befruchtung, der In-vitro-Fertilisation oder mikrochirurgischen Eingriffen. Das Vertrauen in die medizinische Lösbarkeit des Problems schwindet aber mit zunehmender Dauer der Behandlungen. Der Leidensdruck bleibt und lässt die Frauen bzw. Paare mit der Zeit nach Alternativen suchen: naturheilkundliche Behandlung, Psychotherapie und Mitgliedschaft in einer Selbsthilfegruppe, aber auch Vollzeitpflege und Adoption.

Entscheiden sich Ehepaare für den letztgenannten Weg, müssen sie sich einem langwierigen Adoptionsverfahren unterziehen. Viele erleben die Überprüfung ihrer Adoptionseignung (bzw. "Elternwürdigkeit") und das damit verbundene Eindringen in ihre Privatsphäre als belastend und peinlich. Dann müssen sie noch relativ lange auf ein Kind warten, da immer weniger Kinder zur Adoption freigegeben werden. Einige kommen dann auf die Idee, selbst ein Kind aus der "Dritten Welt" zu holen - was aber auch nicht schnell geht, egal ob legale oder illegale Wege eingeschlagen werden.

Die Platzierung eines zur Adoption freigegebenen Kindes trifft Ehepaare meist plötzlich und unvorbereitet. Obwohl den Ehepartnern die Adoptionseignung bescheinigt wurde, erhalten sie das Kind in der Regel zunächst für rund ein Jahr in "Adoptionspflege". Für manche Paare ist diese Situation verunsichernd, andere erleben die damit verbundenen Überprüfungen als neue "Kratzer" an ihrem Selbstbild.

Die Eingewöhnungszeit verläuft bei Säuglingen in der Regel ohne Probleme; sie werden sehr schnell wie leibliche Kinder erlebt. Bei der Adoption eines älteren Kindes gibt es hingegen häufig Eingewöhnungs- bzw. Erziehungsschwierigkeiten. Sie waren in ihren Herkunftsfamilien oft Deprivationen ausgesetzt, erlebten Traumata und konnten kein Urvertrauen entwickeln. Nach der Freigabe zur Adoption fühlen sie sich nun verstoßen und minderwertig; Kleinkinder glauben zudem, dass sie schuld an ihrem Schicksal seien. In diesen Fällen verläuft die Eingewöhnungsphase problematisch, dauert es oft länger als ein halbes Jahr, bis das Kind in der Adoptivfamilie integriert ist, und noch länger, bis die Folgen von Deprivationen und Traumata bewältigt sind. Häufig ist heilpädagogische oder psychotherapeutische Hilfe indiziert, wenn das Kind stark verhaltensauffällig ist. Bei der Adoption älterer Kinder aus der "Dritten Welt" ist vielfach auch eine medizinische Behandlung oder gar ein Krankenhausaufenthalt notwendig, da sie oft krank, unterernährt oder behindert sind. Hinzu kommt, dass sie zusätzlich durch den Kulturwechsel und die plötzliche "Sprachlosigkeit" verunsichert sind - sie können sich ja in ihrer Heimatsprache nicht mehr verständigen. Aber auch hier gelingt in der Regel die Integration in die Adoptivfamilie.

Ein interessantes Phänomen in der Entwicklung von Eltern-Kind-Beziehungen ist die "Konstruktion von Ähnlichkeit" (Hoffmann-Riem 1984). Die Adoptiveltern suchen nach Gemeinsamkeiten in Aussehen, Wesensart, Verhalten usw. zwischen sich und dem Adoptivkind. Entdeckte Ähnlichkeiten erleichtern es ihnen, das Kind zur Familie zu rechnen und sich mit ihm verbunden zu fühlen. Bei schlechten Eltern-Kind-Beziehungen wird hingegen häufig die biogenetische Fremdheit betont, da dies eine gewisse Distanzierung erleichtert. Ein Jugendlicher kann jedoch seine Andersartigkeit auch zur Beschleunigung seiner Ablösung betonen oder für die Identitätsfindung nutzen.

Auf die Entwicklung von Adoptivkindern und das Zusammenleben in der Familie wirkt sich positiv aus, wenn die Adoptiveltern den Sonderstatus ihrer Familienform akzeptieren, also deren besonderen Charakteristika wahrnehmen und nach einer "Normalisierung eigener Art" streben (Hoffmann-Riem 1984). Dann wird das Kind weniger als "Besitz" denn als eigenständiges Individuum gesehen, kann die Adoption jederzeit thematisiert werden. Hingegen ist es problematisch, wenn die Adoptiveltern eine "ganz normale Familie" haben wollen. Einige verschweigen dann die Adoption, vernichten Unterlagen über die Herkunftsfamilie (Fotos, Briefe usw.), klären ihre Kinder nicht über die Adoption auf. Jedoch erspüren Kinder derartige "Familiengeheimnisse", suchen heimlich nach Papieren oder sind schockiert, wenn sie durch Zufall oder spätestens beim Beantragen einer Abstammungsurkunde (vor der eigenen Hochzeit) von der Adoption erfahren. Dasselbe gilt für eine sehr späte Aufklärung. Problematisch ist aber auch, wenn das Kind relativ früh über die Adoption informiert wird und danach keine weiteren Gespräche über dieses (tabuisierte) Thema möglich sind, wenn es belogen wird ("Deine leiblichen Eltern sind tot", obwohl sie noch leben) oder wenn verschwiegen wird, dass sich die biologischen Eltern oder Geschwister um eine Kontaktaufnahme mit dem adoptierten Kind, Jugendlichen bzw. Heranwachsenden bemühen oder bemüht haben.

Manchen Adoptiveltern fällt auch die Sexualerziehung schwer, da sie die eigene Infertilität und die damit verbundenen Probleme (Gefühle mangelnder sexueller Kompetenz, Verunsicherung, narzisstische Kränkung usw.) noch nicht verarbeitet haben. So kann die aufbrechende Sexualität des pubertierenden Adoptivkindes die eigenen Minderwertigkeitsgefühle wieder schüren und an die "potenteren" leiblichen Eltern erinnern. Oft haben die Adoptiveltern auch Angst, das Kind könnte wie die leibliche Mutter sexuell ausagieren - wobei dieses Verhalten der Mutter oft unterstellt wird. Hier wirkt sich negativ aus, dass viele Adoptiveltern aufgrund der wenigen vorhandenen Informationen über die Herkunft des Kindes dazu tendieren, diese in ihrer Fantasie zu rekonstruieren. Dann werden die leiblichen Eltern häufig sehr negativ gesehen. Da die daraus resultierende Abwertung derselben (unbewusst) in die Interaktion mit dem Adoptivkind einfließt, werden diesem unter Umständen die Bewältigung der "doppelten Elternschaft" und die Entwicklung einer positiven Identität erschwert.

Der Erziehungsstil der Adoptiveltern ist oft durch Überbehütung und Verwöhnung oder durch Strenge und große Kontrolle gekennzeichnet; aus hohen (Leistungs-) Erwartungen kann eine Überforderung des Adoptivkindes resultieren. Wie andere Eltern auch werden Adoptiveltern immer wieder mit Erziehungsschwierigkeiten und Ablösungsproblemen konfrontiert, die aber durch Spezifika der Adoption eine besondere Qualität bekommen können. Dies gilt vor allem für die Entwicklungsphasen der Pubertät und Adoleszenz, da die Jugendlichen oft Identitätsprobleme erleben, sich bezüglich der eigenen Wurzeln unsicher sind und die Adoptionsfreigabe seitens der leiblichen Eltern nicht verstehen. Manche Adoptierte beginnen auch in der Jugend oder einige Zeit später mit der Suche nach den leiblichen Eltern, wobei sie dies oft den Adoptiveltern gegenüber verheimlichen. Geschieht dies nicht, kommt es häufig zu Konflikten, werden Ängste aufseiten der Adoptiveltern vor dem Verlust des Kindes an die Herkunftsfamilie (wieder-) belebt. Hier wird erneut deutlich, wie intensiv sich Adoptierte mit ihrem Ursprung beschäftigen. Sie versuchen, ihre Vorgeschichte zu rekonstruieren, haben Fantasien über ihre leiblichen Eltern, idealisieren diese oder sehen sie negativ. All dies hat Konsequenzen für ihr Selbstbild und ihre Selbstwertgefühle. Bei ausländischen Adoptierten kommen zur "normalen" Identitätskrise noch der Aufbau einer ethnokulturellen Identität und der Umgang mit Diskriminierungserfahrungen als zusätzliche Probleme hinzu.

Trotz aller (adoptionsspezifischen) Schwierigkeiten entwickeln sich die meisten Adoptierten positiv, insbesondere wenn sie zum Zeitpunkt der Platzierung noch sehr jung waren, frühzeitig über die Adoption aufgeklärt wurden und offen über ihre Vorgeschichte reden konnten sowie wenn die Adoptiveltern ihre Infertilität verarbeitet hatten und psychisch gesund waren. Die weitaus meisten Adoptiveltern bezeichnen die Adoption als einen Erfolg. Die Adoptierten fühlen sich in ihrer Familie wohl und erleben die Adoptiveltern als die "eigentlichen" Eltern. In der Regel ist die Eltern-Kind-Beziehung genauso belastbar und stabil wie in biologischen Familien.

Betreuung und Beratung der leiblichen Eltern

Die leiblichen Mütter bzw. Eltern bedürfen einer intensiven Beratung durch die Vermittlungsstelle. So werden zunächst ihre emotionalen Bedürfnisse und alle relevanten Aspekte ihrer Lebenssituation geklärt, bevor die Freigabe ihres Kindes zur Adoption detailliert erörtert wird. Es ist wichtig, dass mit ihnen auch über Alternativen zur Adoption und die dann zur Verfügung stehenden sozialen und finanziellen Hilfen gesprochen wird (z.B. nach dem SGB II, dem SGB XII oder dem Unterhaltsvorschussgesetz, wie Mutter-Kind-Heime, Tagespflege, Kindertageseinrichtungen, Vollzeitpflege usw.). Auf jeden Fall wird ein längeres Gespräch über das Für und Wider der Adoption geführt. Die Fachkräfte sollten hier nur Entscheidungshilfen bieten, aber keinen Druck ausüben.

Während bei ehelichen Kindern beide Eltern gleichermaßen am Verfahren zu beteiligen sind, wurden bei nichtehelichen Kindern die Rechte des Vaters in der Vergangenheit häufig ignoriert. Zu leicht gaben sich Vermittler/innen mit der Auskunft zufrieden, dass er "unbekannt" sei. Nun hat das Jugendamt den Vater bei der Wahrnehmung seiner Rechte nach § 1747 Absatz 1 und 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu beraten (§ 51 Abs. 3 KJHG). Außerdem hat man erkannt, dass das Kind ein berechtigtes Interesse hat, dass seine Abstammung festgestellt wird. So mag es später Informationen über seinen leiblichen Vater wünschen oder ihn kennen lernen wollen. Bleibt er unbekannt, kann das Kind (aber auch die Adoptiveltern) kein Bild von ihm gewinnen, was zu Fantasien (der Vater als "Bösewicht" oder "Lebemann") und zu negativen Folgen für die Identitätsentwicklung führen kann. Deshalb sollten sich Vermittler/innen anstrengen, den leiblichen Vater ausfindig zu machen, und ihn in den Entscheidungsprozess einbeziehen.

Haben sich die leiblichen Eltern für eine Adoption entschieden, werden sie über das Verfahren aufgeklärt. Auch ist es sinnvoll, sie zu fragen, welche Adoptiveltern sie sich für ihr Kind wünschen und unter welchen Bedingungen es aufwachsen soll. Die Einbeziehung der leiblichen Eltern in das Auswahlverfahren kann sogar so weit gehen, dass sie anhand anonymisierter Aktenauszüge zwischen verschiedenen Bewerber/innen wählen oder diese persönlich kennen lernen dürfen. Immer aber sollten sie über die persönlichen, familialen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Ehepaares informiert werden, zu dem ihr Kind kommt. Schließlich können sie ermutigt werden, ihre persönliche Situation, die Freigabegründe, die Schwangerschafts- und Geburtserfahrungen aufzuschreiben oder auf Band zu sprechen, da diese Informationen für die Adoptiveltern und später für das Adoptivkind (seine Persönlichkeits- und Identitätsentwicklung) von großer Bedeutung sind (ansonsten muss dies in der Akte niedergelegt werden).

Die leiblichen Eltern sind aber auch darüber zu informieren, dass sie mit Schmerz, Trauer, Wut und ähnlichen Reaktionen nach Freigabe ihres Kindes rechnen müssen. Dann kann eine langfristige Unterstützung - z.B. in Form einer Intervallberatung - angebahnt werden. Die Fachkräfte tragen auf diese Weise dazu bei, dass der Verlust verarbeitet und der Trauerprozess komplett durchlaufen wird. Ferner ist sinnvoll, die leiblichen Eltern (aber auch die Adoptiveltern) aufzufordern, die Vermittlungsstelle bei Umzug oder über bedeutsame Ereignisse zu informieren, sodass die Akte immer wieder aktualisiert werden kann. Sollte das Adoptivkind später besondere Informationen nachfragen oder die Herkunftsfamilie kennen lernen wollen, können diese Wünsche dann leichter erfüllt werden.

Betreuung und Beratung von Adoptivfamilien

Adoptivfamilien haben laut dem Adoptionsvermittlungsgesetz einen Anspruch auf Beratung und Unterstützung durch die Adoptionsvermittlungsstelle, insbesondere bevor ein Kind in Adoptionspflege genommen wird und während der Eingewöhnungszeit (§ 9 Abs. 1 AdVermiG). Besonders wichtig ist, dass den Adoptionsbewerber/innen bzw. Adoptiveltern geholfen wird, die Erfahrung der eigenen Infertilität und die damit verbundenen Gefühle aufzuarbeiten. So sollten die Fachkräfte mit ihnen ihren "Leidensweg" (Diagnose der Infertilität, medizinische Behandlungen usw.) reflektieren, insbesondere aber psychische Konsequenzen wie z.B. die Wut auf den eigenen Körper, den Zweifel an der eigenen Männlichkeit bzw. Weiblichkeit oder sexuelle Minderwertigkeitsgefühle. Auch gilt es, Konflikte mit dem Partner und Schwierigkeiten mit dem sozialen Umfeld zu thematisieren. Das Ziel der Beratung ist, die Partner zur bewussten Akzeptanz der unfreiwilligen Kinderlosigkeit zu führen und sie die Trauerarbeit abschließen zu lassen.

Bei der Auswahl der Adoptionsbewerber/innen ist davon auszugehen, dass sich die Fähigkeit zur Elternschaft und damit auch die Adoptionseignung im Voraus nicht bestimmen lassen. Trotzdem kann auf ein Auswahlverfahren nicht verzichtet werden. Wichtiger ist aber die gründliche Vorbereitung auf die Adoption, die auf der Grundlage eines partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Adoptionsvermittler/in und Bewerberpaar erfolgen sollte. Dabei sollte den Bewerber/innen vor allem verdeutlicht werden, dass Adoptivfamilien eine besondere Familienform sind und deshalb eine "Normalisierung eigener Art" (s.o.) anzustreben sei. In diesem Kontext ist wichtig, die psychologischen Besonderheiten sozialer Elternschaft zu besprechen, eine positive Haltung gegenüber der Herkunft von Adoptivkindern zu vermitteln und auf deren intensive Beschäftigung mit der "doppelten Elternschaft" hinzuweisen. Außerdem sollte im Rahmen der Vorbereitung von Adoptionsbewerber/innen über deren Erfahrungen in ihren Herkunftsfamilien, über ihre Partnerbeziehung und ihre Vorstellungen zur Kindererziehung gesprochen werden. All dies kann auch in Gesprächskreisen oder Seminaren erfolgen, an denen erfahrene Adoptiveltern beteiligt werden können.

Wenn ein Kind vermittelt werden kann, sollten die "werdenden" Adoptiveltern so ausführlich wie möglich über die Herkunft des Kindes, seine Eltern und Verwandten, die Freigabegründe, seinen Gesundheitszustand, seine bisherige Entwicklung usw. informiert werden. Während bei Säuglingsadoptionen eher selten ein größerer Beratungsbedarf während der Eingewöhnungsphase auftritt, ist bei der Adoption älterer Kinder eine intensive Nachbetreuung und Unterstützung notwendig. Die Fachkräfte sollten während dieser Zeit nicht als "Kontrolleure" auftreten, werden aber häufig als solche wahrgenommen. Deshalb sollten sie die Ziele der Gespräche und Hausbesuche offen darlegen: Sie wollen als Berater/innen wirken und bei Problemen helfen.

Nach Vollzug der Adoption ist nur in wenigen Fällen - zumeist bei älteren (ausländischen), verhaltensauffälligen oder behinderten Kindern - eine Einzelbetreuung notwendig, eventuell unter Einbindung von Fachdiensten. In den meisten Fällen reicht es, einen lockeren Kontakt zu halten (z.B. durch Telefonate oder Zusenden von Informationsmaterial). Sehr sinnvoll ist es, regelmäßig Einzelveranstaltungen, Gruppentreffen, Stammtische, Wochenendseminare u.Ä. für Adoptiveltern, Adoptivfamilien oder adoptierte Jugendliche anzubieten - aufgrund der geringen Zahl von Adoptivfamilien sollte dies überregional erfolgen. Auch kann der Kontakt zu Adoptivelternverbänden und Selbsthilfegruppen vermittelt werden. Auf diese Weise kann darauf hingewirkt werden, dass die Adoptivfamilien ihren Sonderstatus akzeptieren, das Thema "Adoption" nicht tabuisieren, offen über die leiblichen Eltern und ihre diesbezüglichen Fantasien sprechen etc. Da die Vertrauensbasis erhalten bleibt, erfahren die Fachkräfte auch frühzeitig von Erziehungsschwierigkeiten und Problemen, sodass notwendige Interventionen rechtzeitig erfolgen können.

Insbesondere bei Adoptierten, die bei der Adoption schon älter waren und von ihren leiblichen Eltern vernachlässigt, misshandelt oder sexuell missbraucht wurden, ist oftmals eine längere Beratung oder therapeutische Behandlung durch Psycholog/innen notwendig. Adoptierte Jugendliche und Heranwachsende benötigen Hilfe bei der Identitätsfindung, manchmal auch bei der Suche nach den leiblichen Eltern. Im letztgenannten Fall ist häufig eine begleitende Beratung der Adoptiveltern notwendig, wenn diese das Verhalten ihres Kindes nicht verstehen.

Auslandsadoption

Auslandsadoptionen wurden im Verlauf der Jahre immer kritischer gesehen. Zum einen werden sie in der "Dritten Welt" von vielen Menschen als Form der Ausbeutung und des Neokolonialismus betrachtet. Zum anderen sind die Adoptiveltern oft überdurchschnittlich alt, wurden von Vermittlungsstellen als ungeeignet abgewiesen, arbeiten mit dubiosen Stellen in den Herkunftsländern zusammen und haben vielfach für die Vermittlung hohe Beträge gezahlt ("Kinderhandel").

Deshalb ist es wichtig, dass Adoptionsbewerber/innen schon frühzeitig auf die mit Auslandsadoptionen verbundenen Gefahren aufmerksam gemacht werden. Wollen sie ein ausländisches Kind adoptieren, sollten sie an anerkannte Auslandsvermittlungsstellen verwiesen werden. Nehmen sie direkt mit ausländischen Behörden oder Organisationen Kontakt auf und müssen sie diesen einen Adoptionseignungsbericht zusenden, so sollten die deutschen Fachkräfte zunächst überprüfen, ob die ausländischen Partner seriös sind. Erst dann dürfen sie den Bericht weiterleiten - und zwar direkt, sodass die Bewerber/innen keine Kopien machen und zu anderen Zwecken verwenden können. Zugleich sind Wege der Zusammenarbeit mit den ausländischen Stellen zu suchen, sodass ein geordnetes Verfahren sichergestellt werden kann.

Die Adoptionsvermittlungsstellen sollten relevante Informationen über die Herkunftsfamilie, die Freigabegründe und die (gesundheitliche) Entwicklung ausländischer Adoptivkinder einholen und dokumentieren. Besonders wichtig ist, dass ältere Kinder nach der Ankunft in der Bundesrepublik ärztlich und/oder psychologisch untersucht werden, da sie oft krank oder verhaltensauffällig sind. Leiden sie unter den Folgen von Deprivation, dann benötigen ihre Adoptiveltern Anleitung und Unterstützung im Umgang mit ihnen. Ausländische Kinder, die in die Pubertät kommen, brauchen häufig Hilfe bei der Identitätsfindung und Integration.

Schwer vermittelbare Kinder

Behinderte Kinder, die zur Adoption freigegeben wurden, sind oft nur schwer zu vermitteln. So wünschen sich die meisten Adoptionsbewerber/innen gesunde Säuglinge oder Kleinkinder. Bei entsprechenden Bemühungen könnten vermutlich mehr behinderte Kinder zur Adoption freigegeben und vermittelt werden. Dasselbe dürfte für Heimkinder gelten: Vermutlich wird bei der Hilfeplanung noch zu wenig eine eventuelle Adoptionsmöglichkeit geprüft, wie es § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII vorsieht. So haben manche Fachkräfte Angst vor der Auseinandersetzung mit der Herkunftsfamilie oder vor dem vormundschaftsgerichtlichen Verfahren.

Bei behinderten, schwer verhaltensauffälligen und psychisch kranken Kindern ist die Platzierung besonders gründlich vorzubereiten. So werden zunächst die Lebensumstände, das Entwicklungsalter, die Eigenschaften und die besonderen Bedürfnisse des jeweiligen Kindes erfasst. Oft kann die Adoptionseignung erst nach einer ärztlichen oder psychologischen Untersuchung ermittelt werden. Dann wird nach geeigneten Adoptionsbewerber/innen gesucht, wobei der Zusammenarbeit mit anderen Vermittlungsstellen besondere Bedeutung zukommt.

Die bewusste Entscheidung eines geeigneten Bewerberpaares für ein behindertes, verhaltensauffälliges oder (psychisch) krankes Kind muss sorgsam vorbereitet werden und darf nicht unter (Zeit-) Druck gefällt werden. So dürfen ihm keine negativen Informationen vorenthalten werden. Vielmehr muss es ausführlich über die Vorgeschichte des Kindes (Erfahrungen in der Herkunftsfamilie, bisherige Pflegestellen und Heimaufenthalte, besondere Ereignisse in seinem Leben usw.), seine Entwicklung in Kindertagesbetreuung und Schule, die Art der Behinderung, Krankheit oder Verhaltensauffälligkeit, die Persönlichkeitsstruktur, das soziale und emotionale Verhalten usw. unterrichtet werden. Den Bewerber/innen kann Einblick in die Akte des Kindes gewährt werden. Auch kann ihnen ein Gespräch mit den bisherigen Erziehungspersonen ermöglicht werden. Die Fachkräfte besprechen mit den Bewerber/innen, wie diese mit den Verhaltensauffälligkeiten, psychischen Problemen oder Behinderungen umgehen werden. Dabei sind überhöhte Erwartungen abzubauen.

Bei der Vermittlung älterer Kinder müssen auch diese auf die Adoption vorbereitet werden. So sollten sie über den Hilfeplan genau informiert werden, muss auf ihre Ängste und Gefühle eingegangen werden. Oft ist es sinnvoll, mit ihnen ein biographisches Album anzulegen, in das Fotos und Erinnerungsstücke eingeklebt werden. Dabei wird ihre Vergangenheit mit ihnen durchgesprochen und ihnen geholfen, Trennungen zu akzeptieren, Trauerarbeit zu leisten und Schuldgefühle abzubauen. Dann sollten sie schrittweise mit den künftigen Eltern vertraut gemacht werden. Es ist offensichtlich, dass diese Kinder und ihre Adoptiveltern einer besonders intensiven Unterstützung in der Eingewöhnungsphase und einer möglichst kontinuierlichen Nachbetreuung bedürfen.

Halb offene und offene Adoptionsformen

Seitdem man erkannt hat, dass viele leibliche Eltern ihr zur Adoption freigegebenes Kind nicht vergessen und lange um es trauern, dass sich die unbekannte Herkunft negativ auf das Leben in der Adoptivfamilie auswirken kann und viele Adoptivkinder unter Identitätskonflikten leiden (s.o.), wird die Inkognitoadoption zunehmend in Frage gestellt. So wurden verschiedene Formen einer (halb-) offenen Adoption entwickelt:

  • einmaliges Zusammentreffen von leiblichen Eltern und Adoptiveltern, etwa zum Zeitpunkt der Übergabe des Kindes (unter Umständen mit Wahrung des Inkognitos);
  • fortlaufende wechselseitige Information von leiblichen Eltern und Adoptiveltern über ihr Leben via die Adoptionsvermittlungsstelle, wobei die Anonymität der Adoptiveltern gewährleistet werden kann;
  • regelmäßiger Austausch von Briefen, Fotos und/oder Videoaufnahmen zwischen den leiblichen Eltern und der Adoptivfamilie, der entweder direkt oder über die Adoptionsvermittlungsstelle (unter Wahrung des Inkognitos) erfolgen kann;
  • fortlaufender persönlicher Kontakt zwischen leiblichen Eltern und Adoptivfamilie, der sich nach dem Grad der Intensität weiter differenzieren ließe.

Insbesondere die zuletzt genannten Formen der offenen Adoption verhindern deren Tabuisierung und erleichtern den Adoptierten eine positive Identitätsentwicklung, da sie nun anstatt auf Fantasien auf Informationen über die leiblichen Eltern und/oder persönliche Erfahrungen mit ihnen zurückgreifen können.

So sollten Fachkräfte alle Formen der Adoption in Betracht ziehen und die für den Einzelfall geeigneten mit den jeweiligen leiblichen Eltern und Adoptionsbewerber/innen durchsprechen. Dabei sind die Vor- und Nachteile jeder Adoptionsform aufzuzeigen. Entscheiden sich beide Seiten für eine offene Adoption mit persönlichem Kontakt, müssen sie besonders gründlich vorbereitet und nachbetreut werden. Beispielsweise sind Ängste und Vorbehalte zu besprechen, müssen Verständnis und Toleranz gegenüber der jeweils anderen Seite geweckt werden. Unter Anleitung der Fachkraft muss ein intensiver Austausch über den bisherigen Lebensweg, die gegenwärtige Lebenssituation, die eigenen Einstellungen, Werte und Erziehungsvorstellungen stattfinden. Auch sollte genau geregelt werden, welche Rolle die leiblichen Eltern übernehmen werden, wie sie sich dem Kind gegenüber in Zukunft verhalten sollen und wie oft sie es besuchen werden. Beiden Seiten muss bewusst werden, dass die Adoptiveltern das Kind adoptieren und dann die vollen Elternrechte besitzen werden. Sie können dementsprechend den Umgang ihres Kindes bestimmen, also z.B. bei negativen Auswirkungen der offenen Adoption jegliche Beziehung zu den leiblichen Eltern unterbinden.

Literatur

Hoffmann-Riem, C.: Das adoptierte Kind. Familienleben mit doppelter Elternschaft. München: Fink 1984

Autor

Dr. Martin R. Textor hat sich viele Jahre lang wissenschaftlich mit Fremdadoptionen befasst. Er war Mitherausgeber eines Sammelbandes und Autor vieler Artikel zu dieser Thematik. Ferner hat er Fortbildungen für Adoptionsvermittler/innen sowie Kurse und Wochenendfreizeiten für Adoptivfamilien durchgeführt.

Hinweis

Veröffentlicht am 26.03.2015