§ 79 SGB VIII - Gesamtverantwortung, Grundausstattung

Peter-Christian Kunkel

1 Gesamtverantwortung des öffentlichen Trägers (Abs. 1)

1.1 Adressaten

Verpflichtet werden die Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Dies sind gem. § 69 Abs. 1 (§§ sind solche des SGB VIII) die örtlichen Träger (Stadtkreise, Landkreise und kreisangehörige Gemeinden mit eigenem Jugendamt) sowie die überörtlichen Träger (je nach Landesrecht z.B. Landeswohlfahrtsverbände, Landschaftsverbände, Landesämter). Nicht verpflichtet werden dagegen die kreisangehörigen Gemeinden, die ohne ein eigenes JA Jugendhilfeaufgaben erfüllen (§ 69 Abs. 5). Somit ist der Landkreis im gesamten Kreisgebiet verantwortlich für die Erfüllung aller Aufgaben nach dem SGB VIII. Dies schließt die Versorgung mit Einrichtungen und Angeboten der Jugendarbeit ebenso ein wie die Bereitstellung von Kindergartenplätzen, auch wenn sie nur der Versorgung der jeweiligen Gemeinde dienen. Dem kann sich der Kreis nicht durch Berufung auf die Gemeindeordnung entziehen, da diese keine Verpflichtung der Gemeinde zur Schaffung von Jugendhilfeeinrichtungen enthält, sondern lediglich ein Recht des Gemeindebürgers auf Benutzung vorhandener Einrichtungen nach gleichen Grundsätzen (vgl. Kunkel, NDV 1992, 285). Auch die Kindergartengesetze der Länder beschränken die Gesamtverantwortung des Landkreises nicht, da dort lediglich eine Hinwirkungspflicht der Gemeinde normiert wird (z.B. § 3 KGaG B.-W.). § 69 Abs. 5 S. 2 verpflichtet die Gemeinden lediglich zur Abstimmung mit dem Landkreis, lässt aber dessen Gesamtverantwortung ausdrücklich unberührt. Der Landkreis kann seiner Gesamtverantwortung dadurch nachkommen, dass er mit der kreisangehörigen Gemeinde einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über Inhalt und Umfang der Aufgabenwahrnehmung abschließt (koordinationsrechtlicher Vertrag gem. § 53 Abs. 1 SGB X).

Für Träger der freien Jugendhilfe gilt, was ihre gesetzliche Bezeichnung verheißt - sie sind frei von gesetzlichen Pflichten. Eine Bindung für sie kann sich nur daraus ergeben, dass sie sich durch Vertrag mit dem öffentlichen Träger verpflichten, für ihn Leistungen zu erbringen oder Aufgaben zu erfüllen (vgl. Kunkel/ LPK-SGB VIII, 5. Aufl. 2014, § 36 RN 2). Solche (subordinationsrechtlichen) öffentlich-rechtlichen Verträge (gem. § 53 Abs. 1 SGB X) sind notwendig, damit der öffentliche Träger seiner Gesamtverantwortung gerecht werden kann. Sie bedeutet im Verhältnis zum Leistungsberechtigten, dass der öffentliche Träger die Letztverantwortung hinter dem vorrangigen Betätigungsrecht des freien Trägers hat (so grundlegend BVerfGE 22, 180). Der öffentliche Träger muss mit den freien Trägern die "Verteilung" aller Aufgaben nach dem SGB VIII regeln. Soweit eine Aufgabe vom freien Träger wahrgenommen wird, ergibt sich eine (relative) Funktionssperre für den öffentlichen Träger; soweit der freie Träger eine Aufgabe nicht wahrnehmen will, muss der öffentliche Träger die Lücke schließen. Letztverantwortung bedeutet aber nicht nur, ein lückenloses Netz zu knüpfen, sondern auch, dem Leistungsberechtigten gegenüber dafür einzustehen, dass die Aufgabenerfüllung durch den freien Träger der gesetzlich geforderten Qualität entspricht. Dieser Verantwortung kommt der öffentliche Träger durch Abschluss von Leistungs-, Entgelts- und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen gem. § 78b (im Anwendungsbereich des § 78a in direkter ansonsten in entsprechender Anwendung) nach. Das Gleiche gilt, wenn privat-gewerbliche Anbieter Aufgaben im Bereich des öffentlichen Trägers übernehmen.

1.2 Inhalt und Bedeutung

Gesamtverantwortung ist die Verantwortung des öffentlichen Trägers dafür, dass im Bereich seiner sachlichen und örtlichen Zuständigkeit garantiert ist, dass alle in § 2 genannten Leistungen und anderen Aufgaben tatsächlich erbracht bzw. erfüllt werden (jugendhilferechtliche Garantenstellung - im Unterschied zur strafrechtlichen; vgl. Bringewat/ LPK-SGB VIII, 5. Aufl. 2014, § 1 RN 13a). Für die Erfüllung anderer Aufgaben regelt § 76 Abs. 2 ausdrücklich, dass die Beteiligung freier Träger an der Verantwortlichkeit des öffentlichen Trägers nichts ändert; für den Leistungsbereich ergibt sich dies aus § 3 Abs. 2 S. 2 (gegen eine so verstandene jugendhilferechtliche Garantenstellung aber wohl Papenheim/ LPK-SGB VIII, 2. Aufl. 2001, § 4 RN 25a). Diese umfassende Gesamtverantwortung für das gesamte Aufgabenspektrum des § 2 schließt aus, dass einzelne dieser Aufgaben in ihrer Bedeutung relativiert werden, wie es beispielsweise für die Jugendarbeit gern geschieht. § 79 ist deshalb Korrespondenznorm nicht bloß zu § 3 (so aber BT-Drs. 11/5948, S. 100), sondern zu allen Aufgabennormen des SGB VIII und damit Scharnier zwischen der Aufgabenerfüllung im Einzelfall und der dafür notwendigen Struktur. Sie schafft das Fundament für die Erfüllung aller Aufgaben des SGB VIII ("Fundamentalnorm"). § 79 ist gleichsam das Vehikel, das Aufgabenpostulate vom Papier in die Praxis befördert. Während die Gesamtverantwortung nach Abs. 1 regelt, dass alle Aufgaben zu erfüllen sind, bestimmt Abs. 2, wie dies zu geschehen hat. Die Gewährleistungspflicht ist insofern Bestandteil der Gesamtverantwortung. Sie bewirkt, dass die Gesamtverantwortung strukturell (mit Einrichtungen, Diensten, Veranstaltungen) und individuell (bei der Aufgabenerfüllung im Einzelfall) dem in Absatz 2 geforderten Qualitätsstandard entspricht. In keinem anderen Gesetz ist Qualitätssicherung in diesem Ausmaß normiert; eines aufwändigen Qualitätsmanagements ("Total Quality Management") bedarf es deshalb für die Jugendhilfe nicht - es genügt schlichter Gesetzesvollzug. In § 79 hat das SGB VIII ein Markenzeichen, das vielfach noch nicht die seiner Bedeutung entsprechende Beachtung gefunden hat. § 79 ist Leitnorm des gesamten Jugendhilferechts.

Weiterer Bestandteil der Gesamtverantwortung ist die Planungsverantwortung. Erst auf der Grundlage einer Planung kann festgestellt werden, ob Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen im Zuständigkeitsbereich des öffentlichen Trägers ausreichend und geeignet sind. Um den Bedarf feststellen zu können, muss der Landkreis die kreisangehörige Gemeinde ohne eigenes JA in die Planung einbeziehen, wenn dort Einrichtungen und Dienste vorhanden sind oder aufgebaut werden sollen (ähnlich Wiesner, SGB VIII, 4. Aufl. 2011, § 80 Rdnr. 40). Der Planungsverantwortung kann der öffentliche Träger mit einer Jugendhilfeplanung gem. § 80, die nicht notwendigerweise auch einen Jugendhilfeplan hervorbringen muss (vgl. Antwort der BReg., BT-Drs. 13/8173), gerecht werden, soweit es die strukturelle Gesamtverantwortung betrifft. Für die individuelle Gesamtverantwortung ist die Hilfeplanung nach § 36, wenn auch beschränkt auf die dort genannten Hilfen, geeignetes Instrument (ebenso Hauck/ Mainberger, SGB VIII, § 79 Rz 8). Dass die Jugendhilfeplanung gem. § 80 nicht identisch ist mit der Planungsverantwortung gem. § 79 Abs. 1 ergibt sich auch aus dem unterschiedlichen Umfang der Planung. Mit der Jugendhilfeplanung sind nur Einrichtungen und Dienste, also nicht Veranstaltungen erfasst; ebenso wenig ist die mit § 79 Abs. 3 angesprochene Personalplanung berücksichtigt (ebenso Schellhorn/ Fischer/ Mann/ Kern, SGB VIII/KJHG, 4. Aufl. 2012, § 79 Rz. 5).

Weiterer Bestandteil der Gesamtverantwortung ist die Finanzverantwortung. Um ihr zu entsprechen, muss die Vertretungskörperschaft des öffentlichen Trägers so viel Finanzmasse zur Verfügung stellen, wie benötigt wird, um alle Aufgaben nach dem SGB zu erfüllen (vgl. OVG Lüneburg NVwZ-RR 1999, 383; VG Hamburg ZfJ 2000, 275; Kunkel, ZfJ 2000, 414).

2 Gewährleistungspflicht des öffentlichen Trägers (Abs. 2 Satz 1)

2.1 Inhalt

Die Gewährleistungspflicht ermöglicht die Wahrnehmung der strukturellen und individuellen Gesamtverantwortung (vgl. oben 1.2). Die zur Aufgabenerfüllung notwendigen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen müssen nicht nur zur Verfügung stehen, sondern eine bestimmte Normqualität erfüllen. Sechs Faktoren bestimmen diese Qualität: erstens müssen sie geeignet, zweitens in erforderlicher Zahl, drittens in ausreichender Personalausstattung, viertens in ausreichender Finanzausstattung, fünftens in pluraler Breite und sechstens rechtzeitig zur Verfügung stehen. Wird diese Normqualität nicht erbracht, ist die Gewährleistungspflicht nicht erfüllt.

Diese Begriffe sind unbestimmte Rechtsbegriffe, d.h. ihr Inhalt ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei es nur ein richtiges Ergebnis geben kann. Ermessen besteht nicht, ebenso wenig Beurteilungsspielraum bei der Auslegung. Das BVerfG (E 84, 34) hat die Fallgruppen des Beurteilungsspielraums auf einen nicht erweiterungsfähigen Kreis eingeschränkt (vgl. Ollmann, ZfJ 1995, 45). Die vom zuständigen Träger der Jugendhilfe vorgenommene Auslegung und Subsumtion ist daher der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen (so für die mangelnde Eignung eines Kindergartens bei unzumutbarer Entfernung OVG Saarlouis FEVS 48, 399).

Geeignet ist eine Einrichtung, ein Dienst oder eine Veranstaltung dann, wenn sie bzw. er tauglich ist, den Zweck der jeweiligen Aufgabennorm zu erfüllen. Erforderlich ist eine Einrichtung usw., wenn sie unter mehreren geeigneten Einrichtungen am besten geeignet ist, den Aufgabenzweck zu verwirklichen. Ausreichend sind Einrichtungen usw., wenn sie in genügender Zahl zur Verfügung stehen, um die Aufgabenzwecke erfüllen zu können, und wenn auch die Personal- und Finanzausstattung hierfür ausreichen. Ausreichend ist die Infrastruktur also nur, wenn sie den Bedarf im Einzelfall decken kann. Bei Hilfen in Tageseinrichtungen liegt eine ausreichende Versorgung nur vor, wenn diese Einrichtungen ortsnah zur Verfügung stehen (so OVG Saarlouis FEVS 48, 399). Dies schließt nicht aus, dass es im Einzelfall zumutbar sein kann, ein Kind in den Kindergarten einer Nachbargemeinde zu bringen, wenn anders das Pluralitätsgebot nicht erfüllt werden kann (so für Waldorf-Kindergarten OVG Lüneburg FEVS 49, 554). Ob eine Einrichtung bedarfsgerecht ist, hängt nicht von einer tatsächlichen Nachfrage ab, sondern davon, welcher Bedarf normativ gedeckt werden soll, also nach dem Zweck der einzelnen Aufgabennorm. So ist beispielsweise Zweck des § 24 auch, Familienerziehung und Berufstätigkeit miteinander vereinbaren zu können. Ausreichend ist daher ein Kindergartenangebot nur, wenn es mit seinen Öffnungszeiten die Erfüllung dieses Zwecks ermöglicht. Zweck einer Tagesbetreuung für Kinder unter 3 Jahren ist es, Eltern die Kinderbetreuung zu ermöglichen, wenn sie aus wirtschaftlichen Gründen erwerbstätig sein müssen oder sich noch in Ausbildung befinden (ebenso BVerwG FEVS 51, 347). Ein Bedarf aus anderen Gründen ist lediglich tatsächlicher, aber nicht normativer Bedarf, der befriedigt werden müsste. Rechtzeitig steht eine Einrichtung dann zur Verfügung, wenn ein Hilfebedarf zu dem Zeitpunkt gedeckt werden kann, in dem er auftritt. Für präventiv zu leistende Hilfen (z.B. Leistungen nach § 16) kommt es auf den Zeitpunkt an, an dem das Bedürfnis nach präventiver Hilfe erkennbar ist. Plural sind Einrichtungen usw., wenn mit ihnen den jeweils verschiedenen Wertvorstellungen der Eltern zur Erziehung ihrer Kinder entsprochen werden kann. Auch hierin (vgl. oben 1.2) wird deutlich, dass § 79 das Fundament für die in § 3 Abs. 1 und § 9 Nr. 1 getroffene Regelung ist. Das plurale Angebot soll das Wunsch- und Wahlrecht nach § 5 ermöglichen, wird also von dessen Grenzen, insbesondere denen der unverhältnismäßigen Mehrkosten, miterfasst (vgl. unten 2.2.3).

Die Aufzählung von Pflegern, Vormündern und Pflegepersonen in Halbsatz 2 hat lediglich deklaratorische Bedeutung (auch deshalb, weil Beistände in der Aufzählung fehlen), da ohne sie die in Halbsatz 1 angesprochenen Dienste personell nicht ausreichend ausgestattet wären. Pfleger, Vormünder und Beistände dienen der Erfüllung der Aufgabe nach § 53 Abs. 1; Pflegepersonen werden benötigt, um die Aufgabe nach § 23 oder §§ 27, 33 erfüllen zu können.

2.2 Auswirkungen auf...

2.2.1 ...Aufgabenerfüllung durch öffentlichen Träger

Der öffentliche Träger hat die (jugendhilferechtliche) Garantenstellung dafür, dass im Bereich seiner sachlichen und örtlichen Zuständigkeit jede der in § 2 genannten Aufgaben im Einzelfall gesetzmäßig erfüllt wird (§§ 3, 76). Voraussetzung hierfür ist die Bereitstellung der erforderlichen Infrastruktur, so dass strukturelle und individuelle Gesamtverantwortung nicht getrennt werden können (anders aber wohl Baltz, NDV-RD 1999, 6 und Stadelmann/ Marquard, NDV 2000, 234, die § 79 als bloße Infrastrukturverantwortung verstehen; vgl. hierzu oben 1.2). Gesetzmäßige Erfüllung bedeutet, dass die unter 2.1 genannten Qualitätskriterien erfüllt sein müssen. Der Verpflichtungsgrad der Aufgabenerfüllung ist je nach Aufgabennorm unterschiedlich ("muss", "soll", "kann"), der Wirkungsgrad aber bestimmt sich einheitlich aus § 79 Abs. 2. Vom Verpflichtungsgrad der Aufgabennorm zu unterscheiden ist die Anspruchsqualität der Norm. Nur wenn die Norm ein subjektives öffentliches Recht enthält, besteht ein Anspruch auf die Erfüllung der in der Norm genannten Aufgabe (Leistung oder andere Aufgabe). Es ist deshalb verfehlt (vgl. Münder ZfJ 1991, 285 gegen Kunkel, ZfJ 1991, 145; Mrozynski, ZfJ 1999, 403), bei einer Muss-Leistung (z.B. § 11) automatisch einen Rechtsanspruch auf diese Leistung anzunehmen. Ein solcher Rechtsanspruch besteht nur dann, wenn es Zweck der Norm ist, (zumindest auch) den Einzelnen zu schützen (Schutzzwecktheorie). Entsprechendes gilt für die Kann-Leistung; ein Rechtsanspruch auf Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 SGB I) besteht nur, wenn die Ermessensnorm ein subjektives öffentliches Recht enthält.

Leistungspflichten und Gewährleistungspflicht (§ 79 Abs. 2)
des öffentlichen Trägers

Leistungs-
pflichten

Verpflichtungs-
grad

Rechtsan-
spruch

Gesamtverant-
wortung

Gewährleis-
tungspflicht

§§ 11-41

Kann

Soll

Muss

nur wenn subjektives öffentliches Recht

für Bestand an Einrichtungen, Diensten, Veranstaltungen zur Leistungs-
erbringung (§ 79 Abs. 1)

für bestimmte Qualität der Einrichtungen, Dienste, Veranstaltungen

  • geeignet

  • erforderlich

  • rechtzeitig

  • ausreichend

  • plural

i. d. R. nach Maßgabe des Jugendhilfeplans

mit Bindung für den Haushaltsplan

aus: Kunkel, Grundlagen des Jugendhilferechts, 4. Aufl. 2001

Die Pflicht zur Aufgabenerfüllung bedeutet nicht, dass der öffentliche Träger selbst die Aufgabe erfüllen muss, vielmehr muss er nur garantieren, dass sie erfüllt wird, sei es von einem freien Träger, sei es durch einen privat-gewerblichen Leistungserbringer, was nicht dasselbe ist (vgl. 2.2.3).

2.2.2 ...freien Träger

2.2.2.1 für dessen Aufgabenerfüllung

Aus der oben beschriebenen Garantenstellung des öffentlichen Trägers folgt, dass er die Verantwortung für eine rechtmäßige Aufgabenerfüllung auch dann trägt, wenn er einen freien Träger beauftragt hat, die Leistung zu erbringen oder sich bei der Erfüllung einer anderen Aufgabe zu beteiligen. Eine Leistung kann der freie Träger auch ohne Ableitung vom öffentlichen Träger (originär) erbringen (im Unterschied zur Wahrnehmung einer anderen Aufgabe); erbringt er sie aber (derivativ) für den öffentlichen Träger (für dessen Rechnung), erfüllt er damit dessen Leistungspflicht gegenüber dem Leistungsberechtigten, ist also dessen "Erfüllungsgehilfe" (gegen diese Sichtweise Papenheim/ LPK-SGB VIII, 2. Aufl.2000 § 4 RN 26; Rothe, ZfJ 1997, 393). Dass der freie Träger damit nicht zum schuldrechtlichen Erfüllungsgehilfen i.S.v. § 278 BGB wird, ergibt sich aus § 4 Abs. 1 S. 2, wonach der öffentliche Träger die Selbständigkeit des freien Trägers auch bei Durchführung der Aufgabe zu achten hat. Dies übersieht das BAG in seinem Urteil zur Rechtsstellung der Familienhelferin (ZfJ 2000, 70 mit Anm. Kunkel, ZfJ 2000, 60), wenn es aus der Gesamtverantwortung nach § 79 folgert, aus ihr ergebe sich eine Überwachungspflicht des Hilfeablaufs. Seiner Verantwortlichkeit kommt der öffentliche Träger vielmehr dadurch nach, dass er die Gesetzeskonformität der Hilfeleistung sicherstellt. Dies kann bei einer HzE dadurch geschehen, dass im Hilfeplan festgelegt wird, wie der Hilfebedarf zu befriedigen ist und wann eine Überprüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit der Hilfe stattfinden soll. Fachliche Weisungen sind durch § 79 nicht nur nicht geboten, sondern durch § 4 verboten. Ähnlich wie bei der Autonomie einer Selbstverwaltungskörperschaft ist auch bei der Autonomie des freien Trägers Rechtsaufsicht möglich und geboten, Fachaufsicht dagegen unzulässig (kritisch zu dieser Begrifflichkeit und für eine Überwachung auch der laufenden Tätigkeit des freien Trägers - allerdings beschränkt auf ihre Gesetzeskonformität - Hauck/ Mainberger, SGB VIII, § 79 Rz 6).

2.2.2.2 für dessen Finanzierung

Aus § 74 Abs. 1 ergibt sich die Pflicht des öffentlichen Trägers, den freien Träger zu fördern; auf die Erfüllung dieser Pflicht besteht ein Anspruch des freien Trägers (vgl. hierzu Kunkel, ZfJ 2000, 413). Dagegen steht die Höhe der Förderung im Ermessen des öffentlichen Trägers (§ 74 Abs. 3). Bei der Ausübung des Ermessens darf der öffentliche Träger aber gesetzliche Grenzen nicht verletzen (§ 39 SGB I). Eine gesetzliche Grenze kann sich aus § 79 Abs. 2 ergeben, weil dort die Pflicht verankert ist, dass zur Erfüllung aller Aufgaben die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt werden müssen. Der öffentliche Träger muss deshalb den freien Träger insoweit finanzieren, als er Aufgaben nicht selbst erfüllt, aber auch insoweit, als eine plurale Erfüllung der Aufgaben nicht sichergestellt ist. § 74 Abs. 3 S. 1 müsste daher als "normatives Gerundiv" formuliert werden und richtig lauten: "im Rahmen der zur Verfügung zu stellenden Haushaltsmittel" (a.A. VG Berlin ZfJ 2000, 194). Werden also Aufgaben im Zuständigkeitsbereich des öffentlichen Trägers nicht oder nicht plural erfüllt, ist der öffentliche Träger verpflichtet, die Übernahme einer solchen Aufgabe durch den freien Träger zu finanzieren. Der Umfang der Förderung ergibt sich aus dem Umfang der gesetzeskonform zu erfüllenden Aufgabe. Das nach § 74 Abs. 3 bestehende Ermessen für die Höhe der Förderung wird dann auf Null reduziert, wenn nur eine bestimmte Höhe gewährleistet, dass die Aufgabe gemäß den Qualitätskriterien des § 79 Abs. 2 erfüllt werden kann. Auf die Förderung in dieser Höhe besteht dann ein Rechtsanspruch des freien Trägers, weil § 74 ein subjektives öffentliches Recht enthält (so für die Förderung dem Grunde nach OVG Münster FEVS 47, 395; a.A. Wiesner, SGB VIII, § 74 Rdnr. 41; Heinrich/GK, SGB VIII, § 74 Rz. 29; Schellhorn/ Fischer/ Mann/ Kern, SGB VIII/KJHG, § 74 Rz. 12; im Ergebnis wie hier Häbel, ZfJ 1997, 112).

2.2.3 ...Wunsch- und Wahlrecht/ Selbstbeschaffungsrecht

Absatz 2 verpflichtet den Träger der öffentlichen Jugendhilfe dazu, eine plurale Angebotsstruktur zu schaffen (vgl. oben 2.1). Dies bedeutet, dass zur Erfüllung aller Aufgaben nach § 2 Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen zur Verfügung stehen müssen, die den unterschiedlichen Wertorientierungen in der Gesellschaft entsprechen (§ 3 Abs. 1), soweit die Leistungsberechtigten dies wünschen (§ 5 Abs. 1). Absatz 2 wiederholt dies mit der Formulierung "den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend" ausdrücklich und ist insoweit lediglich von deklaratorischer Bedeutung. Zur pluralen Angebotsstruktur gehören nicht notwendig Angebote von privat-gewerblichen Leistungserbringern. Dies folgt sowohl aus der Formulierung der §§ 79 Abs. 2 S. 1, 78e Abs. 3 S. 1 als auch aus dem Sinn des Nachrangprinzips (§ 4 Abs. 2). Der Nachranggrundsatz als Ausdruck des Subsidiaritätsprinzips soll ein weltanschaulich differenziertes, nicht aber ein marktwirtschaftlich diversifiziertes Angebot ermöglichen.

Leistungsträger und Leistungserbringer in der Jugendhilfe

Träger der Jugendhilfe

Träger der öffentlichen Jugendhilfe
(= Leistungsträger i.S.d. § 12 SGB I)

Träger der freien Jugendhilfe
(originäre Tätigkeit)

Leistungserbringer

Träger der Jugendhilfe

Sonstige Leistungserbringer

öffentliche

freie Träger
(derivative Tätigkeit als "Erfüllungsgehilfen")

privat-gewerbliche

Gemeinden
(ohne JA)

Durchführungsbeteiligte
(z.B. Erzieher; Pflegefamilie; Erziehungsbeistand; Familienhelfer)

Die plurale Angebotsstruktur ist Voraussetzung dafür, dass die Leistungsberechtigten ihr Wunsch- und Wahlrecht (§ 5) tatsächlich ausüben können. Dieses Recht bezieht sich nicht auf Angebote privat-gewerblicher Träger, wie der systematische Zusammenhang des § 5 mit den §§ 3 und 4 ergibt, wo lediglich von Trägern der freien Jugendhilfe die Rede ist. Vor allem aber verbietet der oben dargestellte Sinn des Nachranggrundsatzes deren Einbeziehung in das Wunsch- und Wahlrecht (ebenso VG Minden DAVorm 1997/812; a.A. Wiesner, SGB VIII, § 5 Rdnr. 10; Gerlach, ZFSH/SGB 2000, 145). Die Wahl beschränkt sich nicht auf solche Angebote, die in einem Jugendhilfeplan förmlich festgestellt sind, sondern besteht auch für Angebote, die tatsächlich vorhanden sind und die der Träger der öffentlichen Jugendhilfe - außerhalb des Jugendhilfeplans - als geeignet und erforderlich feststellt (so - allerdings für die Förderung nach § 74 - BVerwG FEVS 47, 529 und OVG Münster NDV-RD 1996, 100).

Auch ein Selbstbeschaffungsrecht steht unter dem Vorbehalt der - nachträglichen - Feststellung der Eignung und Erforderlichkeit durch den öffentlichen Träger. Diese Feststellung unterliegt der vollen verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (vgl. oben 2.1). Grundsätzlich ist Selbstbeschaffung aber ausgeschlossen, da § 36 eine förmliche Feststellung von Eignung und Erforderlichkeit im Hilfeplanungsverfahren verlangt. Nur ausnahmsweise ist Selbstbeschaffung dann möglich, wenn der Jugendhilfeträger nach Antragstellung einen Bedarf annehmen konnte, ihn aber nicht rechtzeitig festgestellt hat (ebenso Mrozynski, ZfJ 1999, 473 und NDV 2000, 110 sowie BVerwG v. 28.09.2000 - Az. 5C29.99; noch unveröffentlicht). Mit § 15 SGB IX ist das Selbstbeschaffungsrecht für die dort geregelten Leistungen erweitert worden; dies bleibt aber für die Eingliederungshilfe nach § 35a ohne Bedeutung, da auch für diese Hilfe das Hilfeplanungsverfahren nach § 36 vorgeschrieben ist. Das genannte Urteil des BVerwG ist m.E. zumindest für die Eingliederungshilfe daher mit dem SGB IX angreifbar geworden und hätte mehr Überzeugungskraft, wenn es sich auf § 36 gestützt hätte. § 15 SGB IX gilt zwar nicht für die Selbstbeschaffung nach Fristsetzung (Abs. 1 S. 1-3), aber für die Selbstbeschaffung nach ungerechtfertigter Ablehnung einer Leistung oder nicht rechtzeitiger Erbringung bei Unaufschiebbarkeit (Abs. 1 S. 4). Auch wenn § 15 SGB IX nur für die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gilt, ist sein Rechtsgedanke auf andere Leistungen der Jugendhilfe entsprechend anwendbar. Mit dem KICK (2005) wurde § 36a in das SGB VIII eingefügt, das nun die Selbstbeschaffung ausdrücklich regelt.

2.2.4 ...Kommunalhoheit, insbesondere Finanzhoheit

Der als Satzung zu beschließende Haushaltsplan ist rechtswidrig, wenn er die Erfüllung aller Aufgaben nach § 2 nicht ermöglicht, weil er dann gegen das höherrangige Recht aus § 79 verstößt. Die Erfüllung der Aufgaben der Jugendhilfe steht nicht unter dem Vorbehalt des Haushaltsplans, sondern umgekehrt steht der Haushaltsplan unter dem Vorbehalt des § 79 Abs. 2. Die gesetzliche Gewährleistungspflicht ist demnach ein Eingriff in die kommunale Selbstverwaltung. Dieser Eingriff ist aber zulässig (a.A. VG Berlin ZfJ 2000, 194), da die Selbstverwaltung nur im Rahmen der Gesetze gewährleistet ist (Art. 28 Abs. 2 GG). Das Jugendhilferecht beschränkt die kommunale Selbstverwaltung auch noch in anderer Hinsicht, so z.B. nimmt § 69 Abs. 3 einen Eingriff in die Organisationshoheit und § 72 einen Eingriff in die Personalhoheit vor. Dass die Förderungs- und Finanzierungspflicht nicht in den Kernbereich der Selbstverwaltung eingreift, hat das BVerfG (E 22, 180) bereits entschieden. Dass die notwendigen Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen sind, gilt unabhängig davon, ob die Haushaltsführung nach den Grundsätzen der Budgetierung oder der Kameralistik erfolgt. Die Haushaltsführung ist lediglich ein Mittel wirtschaftlichen Gesetzesvollzugs, aber nicht selbst Gesetz.

2.2.5 ...Neue Steuerung

Die (einfache) Erfüllung der gesetzlich vorgeschriebenen Gewährleistungspflicht ist besser geeignet, Effektivität in der Jugendhilfe zu erreichen als jedes (aufwändige) betriebswirtschaftliche Instrument der Neuen Steuerung. Outputorientierung wird erreicht durch den gesetzlichen Standard der Geeignetheit der Hilfe. Die Überprüfung der Geeignetheit mit individueller Hilfeplanung und struktureller Jugendhilfeplanung (§§ 36, 80) ist wirksamstes Controlling. Budgetierung hat sich der gesetzlichen Vorgabe unterzuordnen, alle Aufgaben der Jugendhilfe ausreichend zu finanzieren. Die Produktbeschreibung liefert das Gesetz selbst, da jede Aufgabennorm eine präzise Beschreibung der Aufgabe ist. Zielvereinbarungen werden in der Konstruktion der Zweigliedrigkeit des Jugendamts verwirklicht, indem die Verwaltung die Vorgaben des JHA umzusetzen hat. Leistungs-, Entgelt- und Qualitätsvereinbarungen mit den freien Trägern als Leistungserbringern denen der Qualitätssicherung; sie sind im Anwendungsbereich des § 78a vorgeschrieben. Kundenorientierung (demnächst wohl: Verbraucherorientierung) wird durch die vielfältig geregelte Beteiligung (§§ 8, 36, 80) und das Wunsch- und Wahlrecht (§ 5) erreicht. Die Auflösung des JA und die Verteilung seiner Aufgaben auf Fachbereiche ist ein Verstoß gegen § 69 Abs. 3 und damit rechtswidrig. Bescheide eines Fachbereichs sind (formell) rechtswidrig, weil sie die (gesetzlich festgelegte) funktionelle Zuständigkeit des JA verletzen. Insgesamt: ordnet sich die Neue Steuerung den gesetzlichen Vorgaben unter, ist sie wenigstens unschädlich (vgl. Kreft, NDV 1999, 108; Kunkel, Grundlagen des Jugendhilferechts, 8. Aufl. 2015, RN 247a).

2.2.6 ...strafrechtliche Garantenpflicht

Aus dem Wächteramt des Staates (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) ergibt sich eine Pflicht des Staates, also auch des Mitarbeiters des öffentlichen Trägers, bei einer konkreten Gefährdung des Kindeswohls infolge eines Fehlverhaltens seiner Eltern die zur Abwendung der Gefahr notwendigen Maßnahmen zu treffen. Diese Maßnahmen ergeben sich aus den Aufgabennormen des SGB VIII, können also sowohl Eingriffe als auch (präventiv) Leistungen sein (vgl. Bringewat, ZfJ 2000, 401; Kunkel, ZFSH/SGB 2001, 131). Der öffentliche Träger ist verantwortlich dafür, dass diese Maßnahmen in der Normqualität des § 79 Abs. 2 ergriffen werden (vgl. oben 1.2). Die Verletzung der (jugendhilferechtlichen) Garantenpflicht aus § 79 indiziert im Interventionsbereich somit die Verletzung der (strafrechtlichen) Garantenpflicht, die den Mitarbeiter des öffentlichen Trägers trifft und zwar auf jeder Hierarchieebene - wobei auch der Kämmerer keine strafrechtliche Indemnität genießt.

2.3 Verhältnis zu § 17 SGB I und Verpflichtungsgrad

Auch § 17 Abs. 1 Nr. 2 SGB I verpflichtet den Träger der öffentlichen Jugendhilfe, darauf hinzuwirken, dass die sozialen Dienste und Einrichtungen, die zur Ausführung von Jugendhilfeleistungen erforderlich sind, rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Diese Pflicht gilt wegen § 37 S. 1 SGB I unmittelbar und ohne Vorbehalt auch für die Jugendhilfe. § 79 Abs. 2 geht noch über § 17 SGB I hinaus, indem hier ein plurales Angebot gefordert wird und zudem auch die erforderlichen Veranstaltungen garantiert werden. Außerdem bezieht sich § 17 nur auf Leistungen, während § 79 Abs. 2 auch die sogenannten anderen Aufgaben in die Gewährleistungspflicht einbezieht.

Der Verpflichtungsgrad des § 17 SGB I ("sind verpflichtet") ist nur scheinbar höher als der des § 79 Abs. 2 ("sollen gewährleisten"), weil die Pflicht des § 17 SGB I lediglich eine Hinwirkungspflicht ist, während die Pflicht des § 79 Abs. 2 eine Gewährleistungspflicht ist (ebenso Hauck/ Mainberger, SGB VIII, § 79 Rz 11, Wiesner, SGB VIII, § 79 Rdnr. 8). Diese Pflicht besteht für den Regelfall, lässt Ermessen also nur bei atypischen Umständen im Einzelfall zu; nicht atypisch, sondern eher schon typisch ist eine angespannte finanzielle Situation des Trägers. Eine Gewährleistungspflicht unter Einschluss auch atypischer Umstände konnte nicht normiert werden, da der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zwar die Bereitschaft von Bürgern beeinflussen kann, Beistand, Pfleger, Vormund oder Pflegeperson zu sein, aber den Erfolg der Einflussnahme nicht garantieren kann ("ultra vires nemo potest obligatur").

2.4 Durchsetzung

Der Gewährleistungspflicht entspricht nicht ein Anspruch des freien Trägers oder des Leistungsberechtigten auf Erfüllung dieser Pflicht, da § 79 kein subjektives öffentliches Recht enthält (vgl. oben 2.2.1; ebenso Schellhorn/ Fischer/ Mann/ Kern, SGB VIII, § 79 Rz. 10; a.A. Fieseler/GK, SGB VIII, § 79 Rz. 9). Die Gewährleistungspflicht ist somit nicht einklagbar. Wenn auch die Einhaltung des § 79 nicht einer prinzipalen gerichtlichen Kontrolle unterliegt, besteht doch eine inzidente Kontrolle dann, wenn der Leistungsberechtigte die Erfüllung einer Aufgabennorm, die ein subjektives öffentliches Recht enthält, einklagt oder der freie Träger einen Anspruch auf Förderung gem. § 74 gerichtlich geltend macht. Dann nämlich muss das Gericht prüfen, ob die Erfüllung der Aufgabe in der von § 79 Abs. 2 geforderten Qualität erfolgt ist. Die dort verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe unterliegen voller verwaltungsgerichtlicher Kontrolle (vgl. oben 2.1).

Mit der Rechtsaufsichtsbeschwerde zum Regierungspräsidium/ zur Bezirksregierung oder dem Ministerium kann die Verletzung des § 79 gerügt werden; auf deren Einschreiten besteht allerdings kein Rechtsanspruch. Weitere formlose Rechtsbehelfe sind Gegenvorstellung und Petition (vgl. Kunkel/ LPK-SGB VIII, 5. Auf. 2014, Anh. Verfahren RN 49). Am wirksamsten ist aber das Instrument der Jugendhilfeplanung für die Durchsetzung der Gewährleistungspflicht. Dieses Instrument liegt in der Hand der freien Träger.

 Der JHA als "Lokomotive" der Gewährleistung

Gewährleistungspflicht zur Erfüllung aller SGB VIII-Aufgaben nach Bedarf
(§ 79)

-->

Bedarf wird festgestellt nach Jugendhilfeplan
(§§ 79, 80)

-->

Jugendhilfeplan wird beschlossen vom JHA
(§ 71 Abs. 2 und 3)

3 Anteil für Jugendarbeit (Abs. 2 Satz 2)

Die Pflicht, von den Jugendhilfemitteln insgesamt einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden, ist nur scheinbar eine besondere Wohltat für die Jugendarbeit. Sie ist sogar weniger als bloß ein "Merkposten" (so Schellhorn/ Fischer/ Mann/ Kern, SGB VIII, § 79 Rz. 12), sondern lediglich "Placebo". Auch wenn Landesrecht, wie beispielsweise Berlin mit § 48 Abs. 2 AGKJHG, eine bestimmte Quote (in Berlin 10%) vorschreibt, gibt die Quote Steine statt Brot, wenn sie nicht ausreicht, Jugendarbeit nach den Qualitätskriterien des § 79 Abs. 2 zu leisten. Satz 2 bleibt deshalb hinter der (vorrangigen) Pflicht des Satzes 1 zurück, wonach Mittel bereitgestellt werden müssen, die ausreichen, um die Aufgabe nach § 11 in der geforderten Qualität des § 79 Abs. 2 zu ermöglichen. Der öffentliche Träger muss garantieren, dass auch die in § 11 Abs. 3 Nr. 1 bis 6 genannten Angebotsschwerpunkte in seinem Zuständigkeitsbereich in Normqualität (vgl. oben 2.1) zur Verfügung stehen.

4 Ausstattungspflicht (Abs. 3)

Auch die Ausstattungspflicht nach Absatz 3 ist in der Gesetzeslandschaft ohne Beispiel. Sie ist ebenfalls ein (zulässiger) Eingriff in die Kommunalhoheit (vgl. oben 2.2.4). Klagen über mangelnde personelle oder finanzielle Ausstattung sind deshalb Selbstanklagen des öffentlichen Trägers. Er ist verpflichtet, so viel Personal und Geld bereitzustellen wie notwendig ist, um alle Aufgaben des § 2 nach den Qualitätsstandards des § 79 Abs. 2 zu erfüllen. Halbsatz 2 verbietet die Flucht in ABM- oder andere Personalreserven. Ausdrücklich verlangt wird eine ausreichende Ausstattung mit Fachkräften i.S.v. § 72. Die Zahl der im JA erforderlichen Fachkräfte hängt auch davon ab, wie viele Fachkräfte schon bei den Trägern der freien Jugendhilfe für die Erfüllung der Aufgaben nach § 2 beschäftigt sind. Die "faktische Kraft des Normativen" hat noch nicht überall die Oberhand gewonnen über die "normative Kraft des Faktischen", wie die Entscheidung des OVG Lüneburg (FEVS 48, 79) zeigt, das Heimunterbringung als Hilfe nach § 20 gerechtfertigt hat, weil eine geeignete Pflegeperson für eine Hilfe nach §§ 27, 33 nicht gefunden werden konnte. Wie weit Norm und Wirklichkeit beispielsweise bei dem neu in § 16 Abs. 1 eingefügten Satz 3 (gewaltfreie Erziehung) auseinander liegen, ergibt eine Kostenschätzung von Sauter (ZfJ 2000, 214), wonach von den 680 Jugendämtern in Deutschland 75 Mill. DM zur Beschäftigung von Fachkräften benötigt werden, um die neu geschaffene Aufgabe ausführen zu können.

5 Literatur

Kunkel, LPK-SGB VIII, 5. Aufl. 2014

Kunkel, ntv -Ratgeber Kinder- und Jugendhilfe, 2007

Kunkel, Grundlagen des Jugendhilferechts, 8. Aufl. 2015

6 Autor

Prof. em. Peter-Christian Kunkel
Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
Kinzigallee 1
77694 Kehl
Tel.: 07851/894112
Fax: 07851/894120
Email kunkel@hs-kehl.de

Publikationen des Autors:

  • Grundlagen des Jugendhilferechts. 8. Aufl. Baden-Baden 2015.

  • Lehr- und Praxiskommentar. LPK-SGB VIII. 5. Aufl. Baden-Baden 2014.

  • ntv-Ratgeber Jugendhilfe. Baden-Baden 2007.

  • Kinder- und Jugendhilferecht - Fälle und Lösungen. 4. Aufl.Baden-Baden 2012 (zusammen mit Hoffmann).

Hinweis

Veröffentlicht am 10.04.2003, überprüft und aktualisiert im April 2015