Die Sicht der Sozialarbeit in Schulen

Hubert Jall

 

1. Zum Verhältnis zwischen Schule und Sozialer Arbeit

Schule und Schulsozialarbeit stehen in einem Spannungsverhältnis zueinander aufgrund unterschiedlicher beruflicher Systeme: Hier die staatlich organisierte und legitimierte Schulpädagogik und -verwaltung; dort die Jugendhilfe, deren Aufgaben in der Hilfe und Gestaltung jugendlicher Lebenswelten außerhalb der Schule liegen.

Schulsozialarbeit wird somit auch "Gast" in einem zwar verwandten, aber doch anders organisierten pädagogischen Bereich; d.h. beide Partner befinden sich auch in einer Beziehungsklärung und versuchen ihre jeweiligen Rollen gegen-seitig bekannt und verständlich zu machen.

So ist zwar Schulsozialarbeit ein originär sozialpädagogisches Arbeitsfeld, ihr Zuständigkeitsbereich reicht aber weit in die Institution Schule hinein. Ohne Schule, ohne schulisches Mitwirken ist eine effektive Schulsozialarbeit nicht erreichbar.

Beide pädagogischen Bereiche besitzen ein voneinander unabhängiges Organisationsverständnis. Die dichten Berührungen im Schulalltag erfordern die Entwicklung von effektiven Kommunikationskulturen, die nicht nur den beruflichen Alltag regeln und gestalten, sondern auch die unterschiedlichen beruflichen Grundpositionen würdigen.

2. Was bietet die Schulsozialarbeit?

Schulsozialarbeit geschieht an den Gelenkstellen zwischen örtlichen bzw. regionalen schulischen Angeboten, den Diensten der Jugendhilfe sowie den lokal- und regionalpolitischen Institutionen.

Als klassische Leistungsbereiche der Schulsozialarbeit haben sich

  • offene Angebote,

  • Beratung in individuellen Problemsituationen,

  • Arbeit mit Gruppen und Kooperation im Gemeinwesen mit dem Ziel der Vernetzung herausgebildet.

Wichtige Aufgabenstellungen an vielen Schulen sind der Übergang der Schülerinnen und Schüler von der Schule in die Arbeitswelt und die Konfliktbewältigung.

Offene Angebote: Schülertreffs und Veranstaltungen

Offene Angebote sind vor allem Schülertreffs, Schülercafes oder Ähnliches, die für alle Schülerinnen und Schüler zu bestimmten Zeiten offen stehen und ihnen die Möglichkeit geben, sich zu treffen, sich auszutauschen, ihre Freizeit zu gestalten, eventuell kleine Mahlzeiten oder sogar ein Mittagessen einzunehmen, sich von den Anforderungen des Unterrichts zu entspannen und das zu tun, was ihnen Spaß macht. Ein Schülertreff ist das niederschwelligste Angebot der Schulsozialarbeit. Er schafft die Möglichkeit, dass Schülerinnen und Schüler in informeller Weise mit dem Schulsozialarbeiter beziehungsweise der Schulsozialarbeiterin Kontakt aufnehmen können, um vielleicht Alltagsbegebenheiten oder auch mal Schwierigkeiten in der Schule, von Zuhause oder mit Freunden zu erzählen. Hier können Anknüpfungspunkte und Vertrauen für spätere Beratungen entstehen. Jungen und Mädchen finden hier eine Möglichkeit, sich außerhalb der Unterrichtszeiten in der Schule aufzuhalten, die tagsüber keine Eltern zu Hause antreffen und die sich ansonsten nicht selten ohne Ziel und Beschäftigung auf dem Schulhof herumtreiben. Schülercafes können ein Element flexibler Ganztagsbetreuung an den Schulen sein, die keine Ganztagesschule im üblichen Sinne sind.

Sozialpädagogische Gruppenarbeit

Sozialpädagogische Gruppenarbeit umfasst in der Schulsozialarbeit ein breites Spektrum:

  • eher freizeitpädagogisch orientierte Gruppenarbeit im Sinne der Jugendarbeit

  • soziale Gruppenarbeit eher im Sinne einer erzieherischen Hilfe.

Während bei den freizeitpädagogisch orientierten Gruppenangeboten die Interessen und Wünsche der Schüler nach gemeinsamen Aktivitäten und Erlebnissen den Ausgangspunkt bilden, verfolgen die Schulsozialarbeiter bei der sozialen Gruppenarbeit im Sinne einer erzieherischen Hilfe in erster Linie das Ziel, bestimmten Schülern bei der Überwindung von Entwicklungsschwierigkeiten und Verhaltensauffälligkeiten mit gruppenpädagogischen Methoden zu helfen. Gute sozialpädagogische Gruppenarbeit kann auch dazu beitragen, dass der Bedarf an individueller Beratung durch die Schulsozialarbeit sich in zu bewältigenden Grenzen hält, indem typische und allgemein verbreitete Probleme und Fragen junger Menschen in Gruppen behandelt werden.

Die sozialpädagogische Gruppenarbeit im Rahmen der Schulsozialarbeit beinhaltet:

  • Gruppen zur Bearbeitung geschlechtsspezifischer Fragen (Mädchengruppen, Jungengruppen, gemischte Gruppen)

  • Gruppenarbeit zur Verbesserung der sozialen Kompetenz (z.B. Streitschlichtermodelle)

  • interessenorientierte Gruppen

  • themenorientierte Gruppen

  • Gruppenarbeit zur Vorbereitung auf den Beruf

  • Wochenend- und Ferienfreizeiten mit bestimmten Schülern zur Förderung der Gruppenfähigkeit Arbeit mit Schülerteams, die zum Beispiel im Schülertreff Verantwortung tragen

Immer mehr gewinnt auch die sozialpädagogische Arbeit mit ganzen Schulklassen an Bedeutung. Beispiele für Angebote der Schulsozialarbeit für ganze Schulklassen sind:

  • Trainingskurse als zeitlich begrenzte Angebote für ganze Klassen: zum Beispiel Training sozialer Kompetenzen, Training zur Entwicklung und Förderung der Klassengemeinschaft, insbesondere in der Eingangsstufe der Hauptschule (Klasse 5)

  • Themenspezifische Projekte: Lehrer und Schulsozialarbeiter führen zu anstehenden, im Lehrplan verankerten Inhalten und Themen Projekte mit sozialpädagogischen Methoden interdisziplinär durch, wie zum Beispiel zu Lebens- und Berufsplanung, Liebe und Sexualität, Suchtprävention

  • Projekte bei Klassenproblemen: Gibt es in einer Klasse Probleme mit dem Zusammenhalt in der Klasse oder zwischen Lehrer und Schülern, so können diese in solchen Projekten aufgearbeitet und Lösungen für die Zukunft entwickelt werden.

  • Beobachtende Teilnahme am Unterricht: Ausgangspunkt für eine beobachtende Teilnahme am Unterricht können sowohl eine schwierige Situation in der Klassengemeinschaft als auch Probleme einzelner Schüler oder Gruppen innerhalb der Klasse sein. Die Hospitation bietet für den Schulsozialarbeiter die Möglichkeit, die Schüler im Unterricht zu erleben und mit ihrem Verhalten im Freizeitbereich zu vergleichen. Er kann sich selbst ein Bild über die Gruppendynamik in der Klasse machen und nicht nur aus den Erzählungen des Lehrers, der selbst in die Prozesse involviert ist. Ziel kann sein, die Lehrer durch kollegiale Beratung zu unterstützen, ein Klassentraining zur Bewältigung der Konflikte zu planen oder andere Aktivitäten der Schulsozialarbeit zu entwickeln.

Beratung in individuellen Problemsituationen

Die individuelle Beratung kommt zustande, indem

  • Kinder oder Jugendliche selbst auf die Schulsozialarbeit zukommen

  • Lehrer auf bestimmte Schüler aufmerksam machen und der Schulsozialarbeiter dann versucht, Kontakt zu knüpfen

  • im offenen Bereich oder in einer Gruppe Probleme auftauchen, die später in einer Beratung gelöst werden sollen

  • Eltern Rat suchen

  • Lehrer kollegiale Beratung wünschen.

Folgende Themen für individuelle Beratung und Hilfe werden in den Berichten der Schulsozialarbeiter immer wieder genannt:

  • Schulschwierigkeiten, Schulversagen, Schulschwänzen

  • Probleme der Persönlichkeitsentwicklung (z.B. geringes Selbstwertgefühl, Identitäts- und Beziehungsprobleme, Liebeskummer, Suizidgefährdung, Essstörungen, Sucht)

  • Konflikte im Elternhaus, zum Beispiel Gewalt, Sexueller Missbrauch

  • Konflikte mit Mitschülern, zum Beispiel Ausgrenzung, Bedrohung, Machtkämpfe

  • Konflikte mit Lehrern, zum Beispiel ungerechte Behandlung

  • Soziale Auffälligkeiten, zum Beispiel Diebstähle, Schlägereien, Jugendgangs

  • Zukunftsperspektiven, Berufsfindung, Sozialer Status

Resümierend lassen sich der Schulsozialarbeit folgende Aufgaben zuordnen:

  • Lebensbewältigung

  • Prävention

  • Arbeit mit sozial benachteiligten und individuell beeinträchtigten Schülerinnen

3. Das Bild von der Muschel

Schule ist der staatlichen Organisation, der Verwaltung von Unterricht und Kultus zugeordnet. Der Staat finanziert das pädagogische Personal, das in der Regel Lehrkräfte sind. Sachmittel werden bezuschusst, sind aber in der Regel Aufgabe des Schulträgers, d.h. der Gemeinden, bzw. der kommunalen Verbände.

Schulsozialarbeiter sind demnach kein "pädagogisches Personal", sondern "Sachmittel", für die finanziell die Kommunen zuständig seien (Diese Situation wird kritisch im Bayerischen Staatsanzeiger Nr.1 von 2001 dargestellt). So entsteht die Situation, dass zwar von "allen" Seiten die Notwendigkeit von Schulsozialarbeit bestätigt wird, die finanzielle Ausstattung jedoch zwischen den beiden Ministerien hin und hergeschoben wird.

Jugendhilfe ist grundsätzlich in Trägerschaft der Kommunen.

Die Jugendsozialarbeit an Schulen, so wird Schulsozialarbeit von Seiten des Bayerische Sozialministeriums benannt ist in § 13 Abs. 1 SGB VIII rechtlich verankert. Der Frankfurter Lehr- und Praxiskommentar zum KJHG schreibt in der Randziffer 6 des § 13, die Probleme von Kindern und Jugendlichen aus Familie und sozialem Umfeld seien heute sehr vielfältig und begleiteten sie überall hin mit, so dass die Probleme auch in der Schule aktuell blieben. Damit benötige Schule Unterstützung von der Jugendhilfe, um diese Situation zu bewältigen. Deshalb befasse sich die Jugendsozialarbeit über ihre traditionellen Felder hinaus in den letzten Jahren zunehmend auch mit der Schule im Kontext von Schulsozialarbeit (Münder u.a. 1998, S. 173).

Schulsozialarbeit ist eine Form der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule beispielsweise neben der Hortbetreuung. Diese Zusammenarbeit ist seit 1990 im KJHG und seit dem Jahr 1994 auch im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) gesetzlich geregelt.

Nach Art. 31 Abs.1 BayEUG arbeiten die öffentlichen Schulen, in Erfüllung ihrer Aufgaben mit den Jugendämtern und den Trägem der freien Jugendhilfe sowie anderen Trägern und Einrichtungen der außerschulischen Erziehung und Bildung zusammen. Das KJHG besagt in seinem § 81 Nr. 1: "Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben mit anderen Stellen und Einrichtungen, deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation junger Menschen und ihrer Familien auswirkt, insbesondere mit Schulen und Stellen der Schulverwaltung, im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse zusammenzuarbeiten".

So assoziiere ich, geboren aus einer heftigen Diskussion mit einer Schulsozialarbeiterin, die Stellung und Position der SSA die eines Elementes von außen, das anfänglich vielleicht störend sich einbettet, umwoben und umworben wird, sich dadurch verändert, sich anpasst, wertvoller Störer wird und insgesamt der Muschel Schule ein anderes Gesicht gibt, angereichert, wertvoller, begehrter und doch schmerzt die Aufnahme das Vorhandene, wird erst im Laufe der Zeit liebgewonnenes Eigenes.

Literatur

Bayer. Staatsministerien für Unterricht und Kultus sowie für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Gesundheit: Gemeinsam geht's besser - Zusammenarbeit von Schule und Jugendhilfe, München 2000

Frick, Siegfried: Kristallisationspunkt einer neuen Schule: Sozialarbeit; in: Die Schulleitung, Heft 4/1994

Hentze, J. (u.a.): Schulsozialarbeit mit Gütesiegel!?, Hamburg 1998

Hollenstein, E./ Tillmann, J.: Schulsozialarbeit, Studium, Praxis und konzeptionelle Entwicklungen, Hannover 1999

Homfeldt, H.G./ Schulze-Krüdener, J.: Schulsozialarbeit: eine konstruktiv-kritische Bestandsaufnahme; in: neue praxis 1/2001

Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern: Materialien zur Schulsozialarbeit 1990-1999

Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern: Schulsozialarbeit - eine Erfolgsbilanz, Stuttgart 2000

Schweizer Berufsverband Soziale Arbeit SBS/ASPAS: Sozia Aktuell; Nr. 7/2002: Schulsozialarbeit, Sozialministerium Baden - Württemberg, Az. 42-6972-1: Eckpunktepapier "Jugendsozialarbeit an Schulen", Stuttgart, 13. August 1999

Autor

Prof. Dr. Hubert Jall lehrt an der Katholischen Stiftungsfachhochschule München, Abt. Benediktbeuern.

Quelle

Aus: Hubert Jall: Die Sicht der Sozialarbeit in Schulen. In: Dokumentation zum Studientag: Gemeinsam geht's besser. Institut für Fort- und Weiterbildung Forschung und Entwicklung, Katholische Stiftungsfachhochschule München und Deutscher Caritasverband, Landesverband Bayern, Juni 2002. Eingestellt am 12.02.2003, überprüft im März 2015