Eine Perspektive für die benachteiligte Familie - die SPFH bewährt sich

Wolfgang Buchholz-Graf

Entstehung

Dass es sie gibt - die SPFH - in Deutschland, verdankt sich einer besonderen "elterlichen Paarung". Da hatte sich nämlich eine - sagen wir - Familienlobbyistin mit einem Stadtkämmerer zusammengefunden und das gute Ergebnis: Die SPFH war geboren!

Schauen wir uns den Stadtkämmerer ein wenig genauer an: Mit ihm spreche ich den finanziellen Aspekt an, der damals als Begründung für die Einführung dieser Hilfeform eine bedeutende Rolle gespielt hat. Hans Heindl, ein langjähriger Jugendamtsleiter aus Bayern, macht an einem Fallbeispiel eine Rechnung auf, die noch einmal die Attraktivität der Hilfe für die Jugendämter verdeutlicht: "Unser Amt nimmt fünf Kinder, Geschwister aus einer Familie auf, und bringt sie als Gruppe in einem Kinderdorf unter wegen nicht mehr aufzuhaltenden Verwahrlosung, ausgelöst durch den Totalausfall der Mutter, die kränklich, aber auch sonst apathisch und wenig bereit war, das Notwendige zu tun. Der Vater überfordert. Die sporadischen Besuche der Bezirkssozialarbeiterin haben an dem Zustand nichts geändert oder nur kurzfristige Besserungen erreichen können. Drei der Kinder waren bereits in die Sonderschule wegen der Defizite im Lernverhalten. Die Unterbringung der Kinder dauerte damals ca. 10 Jahre bis zur Volljährigkeit und kam einer Auflösung der Familie gleich. Irgendwelche Versuche, an diesem Milieu etwas zu verändern oder zu verbessern, wurden nicht unternommen. Dabei hätte es gerade auch bei dieser Familie durchaus nutzbare Ressourcen gegeben. Der Kostenaufwand betrug rückblickend über 1,2 Millionen DM, der durchaus vertretbar ist. Anders allerdings sieht es aus, wenn Sie erfahren, dass die Kinder in den 10 Jahren ihres Heimaufenthaltes einen zehnmaligen Wechsel ihrer Bezugsperson, also der Gruppenmutter, der Kinderdorfmutter erleben mussten" (zitiert nach Helmig, Schattner & Blüml 1997, S. 5).

Nun zu seiner Partnerin, der Familienlobbyistin: Sie machte geltend, dass es auch in schwierigsten familiären Situationen ein Kind zusätzlich schädigen kann, wenn es aus der Familie herausgenommen wird. Die Jugend- und Familienhilfe müsse alles unternehmen, dass Kindern ihre Familie erhalten bleibt. Die Herausnahme darf nur die absolute Ausnahme sein. Sie erhielt viel Unterstützung u.a. von der modernen Jugendhilfeforschung. Die Familienlobbyistin war besonders von einem Ergebnis in diesem Zusammenhang beeindruckt, das eine Forschungsgruppe im Deutschen Jugendinstitut berichtete (v. Wolffersdorff, Sprau-Kuhlen & Kersten 1996). Die AutorInnen haben die Akten von 741 Jugendlichen, die in geschlossenen Heimen untergebracht worden sind, analysiert und unter anderem festgestellt, dass die Durchführung ambulanter Maßnahmen vor der Einweisung nur in der Hälfte der Fälle angegeben wurde. Zwar weisen die AutorInnen darauf hin, dass dieses Ergebnis teilweise in einer unvollständigen Aktenführung begründet sein kann, resümieren jedoch zusammenfassend: "Auch wenn man Mängel der Aktenführung berücksichtigt, erscheint das geringe Maß an registrierten ambulanten Hilfen erstaunlich, zumal das zentrale Argument für die geschlossene Unterbringung davon ausgeht, dass möglichst alle Maßnahmen im Vorfeld ausgeschöpft sein müssen" (S. 85). Die Zielsetzung, die daraus resultierte, war für die Familienlobbyistin klar: Die Anstrengungen im ambulanten Bereich müssen vergrößert werden - vor allem für die Familien des ASD - damit Kindern auch in gravierenden Notlagen die Familie erhalten bleibt.

Nun wie das so in vielen Familien ist, gibt es auch in dieser "Familie" der familienunterstützenden Hilfen (ältere) Geschwister. Geschwister, die die Geburt und das Heranwachsen ihrer Schwester nicht nur mit Freude beobachten. Nehmen wir den Allgemeinen Sozialdienst und die Erziehungsberatung und betrachten wir deren Erwartungen und Motive, die die Entwicklung der SPFH begleiteten.

Zunächst zum ASD: Da konnte man manchmal durchaus ein wenig neidisch werden angesichts des üppigen Zeitrahmen für eine Familie, und manche Bezirkssozialarbeiterin hatte es sich schon immer gewünscht, sich voll auf eine ihrer Familien konzentrieren zu können. Aber insgesamt überwog doch die Vorfreunde auf das Erwachsenwerden der SPFH, und heute scheint die Freude ungebrochen. Versprach sich der ASD doch eine große Unterstützung und Entlastung in seinen Aufgaben der Familienhilfe.

Natürlich hatten die BezirkssozialarbeiterInnen in der Vergangenheit ihre Klientel zur Nutzung ambulanter Hilfe - der Erziehungsberatung - zu motivieren versucht, hatten aber nur teilweise Erfolg. Und gerade bei den problembeladensten Familien gelang es besonders selten, die Klientel für die ambulanten Angebote der freien Träger zu motivieren. Einer von ihnen resümierte: "Aus der praktischen Erfahrung der Bezirkssozialarbeit ist bekannt, dass sich nur wenige Eltern auf Empfehlungen von SozialarbeiterInnen bei Beratungsstellen melden und Termine wahrnehmen" (Liebner). Das Resultat kennen wir alle: Viele Familien hingen sozusagen an der langen Leine des Jugendamtes, ohne dass eine wirkliche Hilfe möglich war, und in akuten Krisen war dann die Herausnahme die einzige Möglichkeit, die Kinder zu schützen.

Ganz anders die Situation bei der anderen älteren Schwester: Die tragende Säule der familienorientierten Beratung ist zweifellos das vergleichsweise gut ausgebaute Netz der Familien- und Erziehungsberatungsstellen. Man kann sogar sagen, dass sie in der Jugendhilfe lange Zeit eine Art Familienberatungsmonopol besaß, und sie war und ist sehr erfolgreich. Die Nachfrage nach Erziehungsberatung steigt ständig, die Wartelisten werden immer länger. Wartezeiten von vier bis sechs Wochen für Familienberatung sind keine Seltenheit. Trotz ihres Erfolges sah sich die Erziehungsberatung einer Kritik ausgesetzt, die sie - manchmal stärker, manchmal schwächer - ständig begleitete: "Zugangsbarrieren" für bestimmte Gruppen von Familien war das Stichwort. Trotz der Niederschwelligkeit im Zugang zur Beratung (ein(e) jede(r) kann sich einfach anmelden) findet man diejenigen Familien, die Hilfe besonders nötig haben, zu wenig in den Beratungen, und das betrifft vor allem auch Familien, für die der ASD Unterstützung sucht.

Überspitzt formuliert: Die Klientel der familienbezogenen Beratungsstellen der freien Träger und die Familien, die der Bezirkssozialarbeit teilweise über Jahre bekannt sind und immer wieder vor nahezu unlösbare Aufgaben stellen, sind offenbar völlig verschiedenen Bevölkerungsgruppen zuzurechnen.

Während in den Beratungsstellen der freien Träger die Wartelisten voll sind mit Familien, die gut über ihr Recht auf Beratung informiert sind und teilweise mit Nachdruck einen baldigen Beratungstermin zu erhalten versuchen, besteht im ASD eine völlig andere Situation: Der Alltag der MitarbeiterInnen ist von einer Klientel geprägt, die nicht unbedingt dem Angebot von Hilfen zur Erziehung aufgeschlossen gegenüber steht. Selten nehmen Familien von sich aus Kontakt mit der öffentlichen Jugendhilfe auf, sondern vor dem Hintergrund gesetzlicher Bestimmungen ergreift der ASD die Initiative. Die Familien stehen dem Angebot von Hilfen dann oftmals höchst ambivalent bis ablehnend gegenüber. Die Klientel ist nicht selten in sehr schwierigen Lebenslagen: die allein erziehende Frau und Mutter am Rande des Existenzminimums, die Familien mit delinquenten Kindern, die Familie mit Alkoholkranken, die Familie, in denen die Kinder am Rande der Kindeswohlgefährdung leben. Und oft genug häufen sich diese Problemlagen - worauf der ebenso vielgebrauchte wie stigmatisierende Begriff der "Multiproblemfamilie" hinweist.

Bereits vor den ersten Einrichtungen der SPFH wurde immer wieder gefordert: Erziehungsberatungsstellen sollten mehr Hausbesuche und Beratung in den Familien durchführen (alltagsnahe Beratung), sich auch auf Klienten beziehen, die offenbar keine Beratungsmotivation haben (zugehende Beratung). Diese Erwartungen an die MitarbeiterInnen der EBs übten durchaus einen Druck aus. Die Einführung der SPFH hat von daher zu einer Entlastung der Erziehungsberatung geführt, wenn auch um den Preis, die Monopolstellung ambulanter Familienberatung verloren zu haben. Die Diskussion um die Zugangsbarrieren zur Erziehungsberatung ist praktisch mit der Einführung der SPFH verebbt, und die Bezirkssozialarbeit hat nun die Möglichkeit, sowohl die Erziehungsberatung als auch die Sozialpädagogische Familienhilfe als ambulante Hilfen für ihre Klientel einzusetzen.

Soweit der kleine Rückblick auf die Entstehung und Identität der SPFH im Kontext der familienunterstützenden Hilfen!

Sehen wir uns die Klientel der SPFH etwas genauer an!

Eine typische SPFH-Familie: Es handelt sich um eine Stiefvaterfamilie mit zwei Kindern. Der älteste Sohn der geschiedenen Frau Hentwig lebt bei den Großeltern, da ihr nach der Scheidung vom ersten Mann das Sorgerecht entzogen wurde. Bei ihr und ihrem Partner lebten zu Beginn der 10-jährige Sohn und die 5-jährige Tochter. Die Mutter arbeitet als angelernte Kraft in der Gastronomie. Als Anlass für die Familienhilfe schildert die Mutter große Probleme mit dem zweiten Sohn: Dieser ist hyperaktiv und war bereits in einem heilpädagogischen Kindergarten. Bei der Einschulung gab es Probleme: Eine normale Schule kam nicht in Frage; auch für die Sonderschule schien er nicht tragbar zu sein. Der Sohn wurde in der Folge eine Zeitlang stationär in die Kinderpsychiatrie aufgenommen und medikamentös behandelt, was die Mutter als negativ erlebte: Dem Kind ging es ihrer Meinung sehr schlecht; sie selber war hin- und hergerissen, ob sie ihn dort lassen oder wieder nach Hause nehmen sollte. Beim zuständigen Jugendamt fragte sie schließlich um Hilfe nach. Zunächst wurde ihr Erziehungsberatung vorgeschlagen, eine Hilfe, die sie als unzureichend erlebte: "Wenn man da rauskommt, ist man genauso schlau wie vorher." Die Bezirkssozialarbeiterin empfahl ihr daraufhin die SPFH, wobei die Mutter zunächst skeptisch war, ob das Jugendamt nicht jemand zum Spionieren schicken wollte. Sie war zur Zeit der SPFH noch verheiratet, ihr Ehemann hatte sich aber schon überwiegend von ihr getrennt durch eine neue Beziehung. Sie erwartete von der SPFH zu Beginn vor allem Hilfe bei Ämterbesuchen und Unterstützung bei der Erziehung ihres Sohnes, der zwischenzeitlich wieder zuhause lebte und nun doch eine Sonderschule besuchte. Zudem standen eine Wohnungssuche und Unterstützung gegenüber dem vorherigen Vermieter an, der eine Räumungsklage in Gang gebracht hatte (nach Handbuch SPFH 1997).

Typisch an dieser Familie ist einmal die Umbruchsituation durch Trennung und Scheidung. Die SPFH hat zu einem sehr großen Prozentsatz mit Scheidungsfolgen zu tun. Alleinerziehende sind zu 50% ihre Klientel, fast 20% sind Stieffamilien, und die Kernfamilien sind lediglich zu ca. 30% vertreten. Hilfen werden in vielen lebensnotwendigen Bereichen erwartet und auch gegeben, was zu dem Begriff von der Multiproblemfamilie geführt hat. Ich finde diesen Begriff etwas unglücklich, da er die soziale Benachteiligung dieser Familien ausblendet, die über viele Generationen vererbt wird und in den Familien erst zu den Problemen führt. Einige Fachleute schlagen daher in letzter Zeit den Begriff der "mehrfach belasteten Familie" (z.B. Gehrmann & Müller 2002) vor. Dieser Begriff hat den Vorzug, eher die Situation als die Person zum Problem der gemeinsamen Arbeit zu machen, und macht die Familienhelfer zu Begleitern in der Auseinandersetzung mit Problemsituationen.

Eines ist an diesem Fall eher untypisch: Die Familie initiiert selber die Hilfe. In der Statistik des Bundesamtes wird in 70% der Fälle die Hilfe vom ASD eingeleitet, und wir sehen es noch einmal ganz deutlich: Die SPFH-Familien sind ASD-Familien. Die Zahl der Selbstmelder wird mit ca. 20% angegeben.

Die KlientInnen - freiwillig und (manchmal) unmotiviert

Da normalerweise die Bezirkssozialarbeit die Familien der Hilfe zuführt, muss in der Regel die Familie für die Annahme der Hilfe motiviert werden. Manchmal geht im ASD ein langer Prozess der formellen Einwilligung zur SPFH voraus. Ich sage bewusst "formelle Einwilligung", weil diese natürlich nicht mit Motivation für die Zusammenarbeit mit einer SPFHlerIn oder gar Veränderungsmotivation gleichzusetzen ist. Und in vielen Fällen trifft zu, dass die Freiwilligkeit der Annahme der Hilfe eben nur auf dem Papier steht: "Dabei wird übersehen, dass es sich bei einer vom Amt initiierten Hilfe für die Familie, zumindest zu Beginn, immer um aufgedrängte Hilfe handelt. Das Amt tritt ja zunächst in seiner staatlichen Wächterfunktion mit der Botschaft auf, dass hier Kinder nicht adäquat gepflegt oder erzogen werden" (Leube 1993, S. 5).

Ich möchte an dieser Stelle nicht auf das Spannungsfeld von Hilfe und Kontrolle eingehen, in dem grundsätzlich alle Hilfen zur Erziehung ablaufen (vgl. DJI 1994, S. 4). Stattdessen einige Anmerkungen zum Zugang zur SPFH: Wenn eine SPFHlerin das erste Mal in eine Familie kommt, dann sind einige Prozesse der Motivierung durch Bezirkssozialarbeit für eine Annahme der Hilfe vorausgegangen, denn formell gesehen beantragt die Familie die SPFH. Die Hilfe wird angeboten und manchmal mit Nachdruck offeriert, und natürlich wird in vielen Fällen auch Druck ausgeübt. Ich hoffe, die öffentliche Jugendhilfe "motiviert" nicht mit schlechtem Gewissen! Wir wissen doch alle, dass die Formel "Je größer der Leidensdruck, um so intensiver und nachdrücklicher die Hilfesuche" nicht stimmt. Oft genug sind es gerade die Demoralisierten, die resignieren oder auch mit heftiger Abwehr auf Hilfe und Veränderung reagieren.

ASDlerInnen und FamilienhelferInnen haben daher viel Erfahrung mit dem, was heute als "Engaging" bezeichnet wird. Engaging meint alles das, was zwischen Helferin und Klientin bis zum Abschluss einer klaren Vereinbarung abläuft. Kommt es zu keiner klaren Vereinbarung, kann es auch keine Hilfe geben. Traditionell wird gerade von Seiten des Jugendamtes und der SPFH viel Zeit in die Motivation unmotivierter Klienten gesteckt. Erstaunlicherweise ist diese anspruchsvolle und höchst verantwortungsvolle Arbeit kaum Gegenstand fachlicher Reflexion. Man lässt da die SPFH ziemlich allein! Man findet nur selten Fachliteratur, die methodische Hilfen in der Gesprächsführung mit ambivalenten und ablehnenden Personen anbieten. Gerade für den Aufbau von Veränderungsmotivation benötigen wir methodische Vorgehensweisen, die bewusst den Druck des Jugendamtes für die Zusammenarbeit nutzen: "Wie können wir Ihnen helfen, uns wieder loszuwerden?" (Conen 1996) und "Zugang schaffen zu Familien" (Kron-Klees 1994) sind meines Erachtens wichtige Einstiege in die Gesprächsführung aufsuchender Familienarbeit im Prozess des Engagings. Übrigens - das Sozialmagazin, das in diesem Monat erschienen ist, hat erfreulicherweise das Thema "unmotivierte Klienten" zum Titelthema gemacht.

Dass "Motivation zur Veränderung aufzubauen" wichtiger ist als die Organisation der Veränderung selbst, hat der Schriftsteller Saint-Exupery mit einem poetische Bild ausgedrückt: "Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommele nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten endlosen Meer".

Erfolge und Wirkung der SPFH

Was leistet sie nun die SPFH?

"Ein Familienhelfer hat über 26 Besuche hinweg notiert, was eine Familie selbst an Themen auf den Tisch brachte, wobei die Auflistung nicht chronologisch, sondern thematisch zusammengefasst ist: Unterhaltsregelung und Besuchsregelung (Kinder des Vaters aus erster Ehe); Geld reicht nicht, Kontenpfändung, Überlastung der Mutter mit der Verwaltung der Finanzen; Mietrückstand, Räumungsklage droht, fehlende Unterlagen für einen Wohngeldantrag; Bewilligung häuslicher Krankenpflege für ein behindertes Kind; drohende Abschiebung des Vaters, Konflikte mit der Ausländerbehörde; Betreuungssituation der Kinder, wenn die Mutter stationär im Krankenhaus aufgenommen wird, Kindergartenplätze organisieren; Ess-Störungen eines Kindes, Schlafprobleme eines anderen, unterschiedliche Erziehungsstile der Eltern; mangelnde Kooperation und Klärung der Aufgabenverteilung zwischen den Eltern, Schwierigkeiten in der Ehe, Trennungsideen der Mutter; sexueller Missbrauch der Mutter durch ihren Vater; ihre Suizidfantasien, ihre Überlastung in der Erziehung, ihre gesundheitliche Beeinträchtigung: Verdacht auf ein Karzinom..." (Helming 2001, S. 549).

Ich finde diese Auflistung dieses Familienhelfers beeindruckend, und die Aufgabenliste gibt allen denen eine Antwort, die sich fragen, was die Professionellen eigentlich in den Familien tun. Und natürlich gibt es auch Zahlen, die man als eine Erfolgsgeschichte lesen kann:

  • Zunächst einmal - die Zahlen der betreuten Familien steigen kontinuierlich. Für das Jahr 2000 gibt das Statistische Bundesamt die Zahl von 31.226 Familien an (1996: 20.200). Das ist in vier Jahren ein Zuwachs von über 50%. Der Anstieg ist dabei kontinuierlich: Jedes Jahr steigt die Zahl der betreuten Familien jeweils um ca. 12%. Die durchschnittliche Dauer der Maßnahme beträgt dabei 16 Monaten. Dieser Dauer ist seit Jahren relativ stabil. Vielleicht noch wichtiger als die Zahl der Familien ist die Zahl der betreuten Kinder. Rund 75.000 in der Familie lebende Kinder wurden von FamilienhelferInnen betreut. In nahezu 40% der Familien lebten drei und mehr Kinder (Hilfen zur Erziehung außerhalb des Elternhauses ca. 140.000 Kinder im Jahr 1997).

  • Wenn man sich die Gesamtzahl der betreuten Kinder anschaut, dann ist die SPFH nach der institutionellen Beratung und der Heimerziehung die zahlenmäßig bedeutsamste Hilfe zur Erziehung.

  • Das Deutsche Jugendinstitut untersuchte den Erfolg der SPFH in fast 300 Fällen (277). Und zwar sollten die Sozialpädagogischen Familienhelferinnen und die BezirkssozialarbeiterInnen den Wirkungsgrad einschätzen. Interessanterweise waren die Unterschiede in der Einschätzung zwischen diesen beiden gering, wobei die SPFHlerInnen noch kritischer urteilten als die ASDlerInnen. In fast 80 % der Fälle wird der SPFH ein mindestens mittlerer Wirkungsgrad attestiert.

  • Was fehlt sind systematische Untersuchungen aus der KlientInnenperspektive, also wie bewerten Eltern und auch Kinder die SPFH. Es gibt Untersuchungen qualitativer Art mit kleinen Fallzahlen, die beeindruckend die Wichtigkeit der SPFH für die Familien belegen.

  • Kommen wir zum Themen Finanzen: Zwar steigt jährlich bundesweit die Zahl der durch die SPFH betreuten Familien (und hoffentlich auch die der Fachkräfte!) und dennoch dürfen, ja müssen wir ungeduldig sein. Hören wir das Deutsche Jugendinstitut in einer Expertise: "Ein Paradox der Jugendhilfe ist, dass Fremdunterbringungen von Kindern als selbstverständliche Kosten akzeptiert werden, während man an der ambulanten Unterstützung spart und diese auch eher in Frage stellt. Kommunen, die konsequent einen qualifizierten Ausbau des Allgemeinen Sozialdienstes betrieben haben, verzeichnen inzwischen deutliche Reduzierungen in den Heimunterbringungen." Hollenstein (1993) hat in einer Wirkungsanalyse ambulanter Erziehungshilfen festgestellt, dass das Jugendamt mit dem geringsten Ausbau ambulanter Erziehungshilfe ca. 60% mehr Aufwendungen bei Heimeinweisungen zu leisten hat als das Jugendamt mit dem höchsten Ausbau ambulanter Hilfen. Eine Untersuchung im Bereich des Jugendamts Hannover wies nach, dass die Kosten für die tatsächliche Unterbringung der Kinder in Heimen mit 412.000 DM je Kind erheblich über den Aufwendungen für die SPFH liegen, deren Kosten je Kind mit 21.000 DM angegeben werden (Stephan 1996).

Insgesamt steht außer Frage, dass die SPFH erfolgreich arbeitet und Kosten in der Jugendhilfe einsparen helfen kann. Aber auch hier gilt - wie bei allem, das erfolgreich ist - wir brauchen mehr davon!

Empowerment durch die Sozialpädagogischen Familienhilfe?

Wenn wir über den Erfolg von Hilfen sprechen, müssen wir einen modernen Begriff in unsere Überlegungen einbeziehen: Empowerment ist zum Zielbegriff in vielen Feldern der psychosozialen Arbeit und damit auch für die SPFH geworden. Meistens wird der Begriff des Empowerments in Verbindung mit Ressourcenorientierung genannt. Kann die Sozialpädagogische Familienhilfe Familien "empowern?"

Der Begriff kommt eigentlich aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung und wurde in Deutschland zunächst von der Selbsthilfebewegung aufgegriffen. Er ist nur schwer zu übersetzen. Gerne wird Empowerment als "Selbstbemächtigung" oder auch mit dem Bild des "aufrechten Ganges" dargestellt. Empowerment ist ein Begriffskürzel für solche soziale Bewegungen, in denen Menschen, die von Machtlosigkeit, Demoralisierung und erlernter Hilflosigkeit betroffen sind, sich aktiv ein Mehr an Macht, Kraft, Gestaltungsvermögen aneignen. Im Empowerment nehmen sie ihr Leben selbst in die Hand. Das Ergebnis von Empowerment ist eine veränderte Grundhaltung der eigenen Biographie und dem Alltag gegenüber, die Zimmermann (1990) als "learned hopefullness" bezeichnet und der "gelernten Hilflosigkeit" (Seligmann) gegenüberstellt. Wir verwenden in diesem Zusammenhang alle gerne die Metapher eines halb gefüllten Glases. Die Metapher eines "halbvollen Glases" steht dann für "learned hopefulness" im Unterschied eines "halbleeren Glases", das für Resignation und Demoralisierung steht. Berufliche HelferInnen kennen dieses Phänomen: Wenn KlientInnen eine Grundhaltung entwickeln, die mit "learned hopefullness" gekennzeichnet werden kann, dann ist das wichtigste Ziel der Beratung oder Betreuung erreicht - und das, obwohl sich vielleicht im konkreten Fall z.B. die kärglichen materiellen Ressourcen der Familie nicht verändert haben.

Empowerment wird für die Praxis der Psychosozialen Arbeit gerne als kritischer Begriff eingesetzt: Reste von Eigeninitiative, Selbstwert und Selbsthilfe würden verschüttet, und alles in bester Absicht - den Menschen zu helfen - so wird behauptet. Vor allem der Fokus auf persönliche Mängel, Defizite der KlientInnen werden kritisiert. Den folgenden Text habe ich einem Aufsatz von Hermer (1996) entnommen. Der Autor bezieht sich zwar auf den Bereich der Psychotherapie, trifft aber mit seinen Ausführungen durchaus auch die Soziale Arbeit: "Mutlose Therapien: Wie oft haben Sie in den letzten Wochen mit ihren PatientInnen über deren Ängste gesprochen? Natürlich können Sie keine genaue Zahl angeben. Wahrscheinlich kommt Ihnen die Frage etwas merkwürdig vor. Schließlich kommen Menschen in Therapie und Beratung, weil sie Ängste haben. Also sind Ängste ein ständiger Inhalt unserer Gespräche. Wissen Sie, was das Gegenteil von Angst ist? Es ist Mut. Wie oft haben Sie im letzten Jahr mit ihren PatientInnen über deren Mut gesprochen? Falls Sie das Wort Mut in einem Jahr seltener in den Mund genommen haben als das Wort Angst in einer Woche, will ich Sie trösten. Sie befinden sich garantiert in gute Gesellschaft. Das ist kein Wunder. Bei der Durchsicht eines Stichwortregisters zur psychosozialen Forschung (Psychologischer Index 1994/1995) aus zwei Jahren begegnete mir der Mut gerade zweimal. Beim Stichwort Angst habe ich irgendwann zu zählen aufgehört. Wir können die Ängste unserer Patientinnen wohl besser behandeln, wenn wir uns um ihren Mut nicht kümmern. Das ist erstaunlich, denn wie kann ich meine Angst ohne Tapferkeit und Kühnheit überwinden? Könnte es sein, dass uns Enge und Beklemmung im psychotherapeutischen Dialog lieber sind als der Mut?" (S. 378).

Aus dem Mängelblick resultiert "fürsorgliche Belagerung", die die KlientInnen in eine Erziehung zur Abhängigkeit hineinführt. KlientInnen werden durch die Schaffung fürsorglicher Strukturen zu schwachen und passiven Personen sozialisiert bzw. entsprechende Anteile in der Person verfestigt. Aus dieser Perspektive können die vielen Fälle abgebrochener Hilfsbeziehungen in der Sozialen Arbeit durchaus auch in einem anderen Licht gesehen werden, nämlich als Versuche der Behauptung und Normalisierung durch die KlientInnen selbst.

Soweit die Kritik: Sie trifft sicherlich heute nicht zu! Und ich weiß nicht, ob sie jemals für die SPFH zugetroffen hat. Ich kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass Klienten eine Hilfsbeziehung "durchhalten" und das teilweise über zwei und drei Jahre, die ausschließlich ihr Versagen, Scheitern und ihre Defizite in den Mittelpunkte der Gespräche stellt. Aber vielleicht geht es ja eher um ein "mehr oder weniger", wenn wir von Empowerment und Ressourcenorientierung sprechen. Und stimmt es vielleicht nicht doch für uns alle, die wir in helfenden Berufen tätig sind, dass wir manchmal von den Problemen und Mängellagen unserer KlientInnen so erfasst werden, dass es uns schwer fällt, Stärken wahrzunehmen oder gar - wie Herriger es formuliert - mit den KlientInnen einen Kompetenzdialog zu führen?

Natürlich wir wissen alle, was zur Ressourcenarbeit gehört. Und gerade in der SPFH heißt es oft genug, Ressourcen erst einmal zu entwickeln, da die KlientInnen in eine Verlustspirale geraten sind. So führt der Verlust des Arbeitsplatzes zum Verlust früherer KollegInnen und von Anerkennung im Beruf; das wiederum führt zum Rückzug in den privaten Bereich; es entstehen finanzielle Probleme; die Familienmitglieder müssen auf gewohnte Annehmlichkeiten verzichten; die Qualität der Beziehungen in der Partnerschaft und zu den Kindern wird belastet; Zukunftsängste und Minderwertigkeitsgefühle entstehen, die wiederum die Person zur unattraktiven Gesellschaft machen; die zieht sich weiter zurück und isoliert sich damit etc.

Solche Verlustspiralen haben natürlich noch extremere Konsequenzen, wenn sie sich bei Personen ereignen, die ohnehin wenig Reserven, Kompensationsmöglichkeiten und Optionen haben. Neben den spärlichen materiellen Ressourcen sind gerade auch in den SPFH-Familien die geringen sozialen Kraft- und Unterstützungsquellen auffallend. Die Familienhelferin sichert die Wohnung, hilft finanzielle Ansprüche durchsetzen etc. Oft genug ist die Familienhelferin die einzige bedeutsame Netzwerkperson für die Klientin. Man weiß aus der Gesundheitsforschung, dass Anerkennung im zwischenmenschlichen Bereich eine entscheidende Größe für die psychosoziale Gesundheit ist. Und oft genug sind die SPFHlerInnen der einzige Quell für Anerkennung.

Das schafft natürlich Gefahren, die Ihnen allen bekannt sind: Die Klientin setzt sich nicht selbstständig mit den Sorgen und Alltagsnöten auseinander; sie kanalisiert alles das, was es zu regeln und klären gibt, auf den Termin mit der SPFHlerin. Gelegenheiten, wichtige Kontakte oder Beziehungen zu knüpfen, werden nicht wahrgenommen, die Pflege von Kontakten aufgeschoben - man hat einen verlässlichen Gesprächspartner mit der Fähigkeit zu Akzeptanz und Empathie, und das ist durchaus angenehm. Natürlich soll das auch so sein und zeigt, dass eine wichtige Voraussetzung für Veränderung geschaffen ist: Vertrauen zur Familienhelferin. Aber von Beginn an geht es auch darum, das Vertrauen in die eigenen Kräfte zu stärken.

SPFHlerinnen machen Ressourcenarbeit, indem sie das soziale Netzwerk der KlientInnen stärken und der Klientin helfen, die Unterstützungsmöglichkeiten im sozialen Netzwerk zu nutzen. Sie machen Ressourcenarbeit, indem sie Selbsthilfepläne mit den KlientInnen erarbeiten und umsetzen etc. Meines Erachtens kann die SPFH noch gezielter im und am sozialen Beziehungsnetz ihrer KlientInnen arbeiten: Netzwerkberatung und Netzwerktherapie sind die Stichworte. Die Möglichkeiten und Fähigkeiten der KlientInnen, soziale Unterstützung im Alltag zu erhalten, sind fast immer wichtige Ziele der SPFH. Denn vergessen wir nicht: Gute alltägliche Stützsysteme machen einfach in vielen Fällen professionelle Hilfe überflüssig!

Ressourcenarbeit aus dem Blickwinkel des Empowerment ist allerdings mehr: Es geht nicht nur darum, den KlientInnen zu helfen, Ressourcen zu beschaffen, sondern vorhandene aufzugreifen, verschüttete wieder freizulegen. Es geht darum, in der Interaktion mit den KlientInnen - trotz aller Nöte und Mängellagen - empfindlich zu sein für Kraftquellen, die aus dem Blick geraten sind. Das ist manchmal schwer, weil es an allen Ecken und Enden fehlt, und dennoch - wir können Stärken und Leistungen entdecken. Eine problematische Biografie hat immer auch ein anderes Kapitel: ein Kapitel, das von kleinen Erfolgen, von schönen Erlebnissen, von Freundschaft, guten Tagen etc. erzählt. Jeder Klient, wie demoralisiert er auch immer ist, hat "starke" persönliche und oder soziale Merkmale. Wenn ich mir vergegenwärtige, was eine Person angesichts vieler Schicksalsschlägen bisher ertragen hat, kann ich der Person glaubwürdig mit Achtung und Respekt gegenübertreten. Kraftquellen können aber auch bestimmte Merkmale in der äußeren Erscheinung sein oder bestimmte Merkmale des Charakters oder des Naturells der Person; es gibt niemanden, der nicht auch Fähigkeiten hat, die ich nicht habe. Personen haben Interessen (Hobbys), Wünsche, Sehnsüchte, Kompetenzen, über die sich zu sprechen lohnt.

Der Stärken-Ansatz stimuliert Hoffnung und gibt Selbstvertrauen. Und ganz wichtig: er fördert eine Beziehung gegenseitiger Achtung. Ressourcensensibilität ist das Wunschprogramm des Empowerments. Und es ist ja auch erstaunlich: Es gibt unzählige Test und Taxonomien zur Erfassung von Defiziten, Ressourcendiagnostik dagegen steckt in den Anfängen. In der SPFH gibt es jede Menge Arbeit an und mit den Ressourcen der KlientInnen, und auch der Kompetenzdialog ist für viele wichtig im Hilfsprozess. Und dennoch glaube ich, dass wir alle unsere Sensibilitäten in diesem Bereich steigern können. Zu lang ist die Geschichte einer Defizitperspektive in der psychosozialen Arbeit, als dass sie uns nicht auch heute noch prägt.

Eine letzte Anmerkung zum Empowerment: Während Ressourcen durch Professionelle gegeben werden können, so erscheint dieses beim Empowerment nicht möglich. In Anlehnung an Julian Rappaport (1985), der den Begriff in die psychosoziale Arbeit (und nach Deutschland) gebracht hat, lässt sich festhalten: Ein Empowerment kann nicht gegeben werden, sondern es ist ein Prozess, der aktiv genommen werden muss. Zwar können Empowermentprozesse initiiert werden, aber der eigentliche Prozess läuft ohne Zutun der Professionellen ab.

Empowerment ist mehr als eine Methode. Es ist eher eine Haltung den KlientInnen, aber auch sich selbst gegenüber. Wir Professionelle sind gefordert, unsere eigenen kleinen Geschichten des Empowerment zu entdecken und nicht nur das - auch zu leben. "Empowermentprozesse lassen sich durch Professionelle dann anstoßen und fördern, wenn diese selbst lernen, Ressourcen zu entdecken und zu nutzen, und sich mögliche Freiräume in ihrer Tätigkeit zu erarbeiten" (Stark 1996, S.160). Ich halte diesen Rückbezug auf uns Professionelle für ganz wichtig - sonst ist Empowerment nichts als eine beschönigende Vokabel oder eine Leerformel wie der Slogan von der Hilfe zur Selbsthilfe.

Die Überwindung der Demoralisierung

Was Empowerment bedeuten kann, nämlich die Überwindung von Resignation, beschreibt eine junge Mutter: "Sie ist selbst in einem Heim aufgewachsen, ihr eigener Vater war alkoholabhängig. Sie bekam mit 16 das erste Kind, das behindert ist, und ein Jahr später das zweite Kind. Frau Taler war persönlich am Ende: 'Und wäre sie (die Familienhelferin nicht gekommen, da wäre ich auf jeden Fall schon tot. Weil wenn man so viele schlechte Erfahrungen macht immer, dass du schlecht bist, und es wird nichts und wird alles schlechter, dann dauert es nicht mehr lange. Also ich wäre schon längst weggewesen, weil ich mit meinem Leben nicht klar gekommen bin'. Frau Taler zieht folgendes Fazit der Unterstützung: 'Anders ist auf jeden Fall mein Leben. Und das Leben meiner beiden Kinder. Da ist erstmal der Umgang mit anderen Personen. Ich hatte früher total schlechten Umgang gehabt. Dann meine Selbsteinschätzung. Ich hab noch nie groß was von mir gehalten... Jetzt weiß ich wenigstens, was ich geschafft hab. Und wofür ich da bin. Früher: jeden Morgen aufstehen, jeden Abend ins Bett gehen, immer dasselbe. Jetzt ist es anders: Ich hab einen Lebenslauf, ich hab einen Grund, wofür ich existiere, ich weiß, dass Leute da sind, wenn ich sie brauch, was früher auch nicht so war. Und ich hab begriffen, dass ich das machen soll, was mein Herz mir sagt, und nicht, was andere mir sagen. Ich hab immer das gemacht, was andere mir sagen, das war mein Fehler, ich hab mich damit selber unglücklich gemacht. Die Leute, mit denen ich früher verkehrt bin, da gibt es keine Basis mehr. Weil jetzt hab ich wirkliche Freunde gefunden, und ich hab's gut, die wohnen hier im Haus. Ich hatte früher eigentlich keine Freundin... Ich hab gelernt, dass es auch anders sein kann, als in einer Welt voll Müll zu leben!'" (Helming u.a. 1997).

Ich hatte die Frage gestellt: Kann SPFH empowern? Ich denke, sie hat es hier eindrucksvoll bewiesen! Frau Taler hat ein positives Lebensgefühl entwickelt: "Und ich hab begriffen, dass ich das machen soll, was mein Herz mir sagt und nicht, was andere mir sagen... Ich gehe hin und frage nach!" Zielorientierung, ja Hartnäckigkeit: "Ich weiß, dass Leute da sind, wenn ich sie brauch..., weil jetzt hab ich wirkliche Freunde gefunden." Sie hat ein schlampiges schlecht geknüpftes Netzwerk mit wenig unterstützenden Beziehungen verändert. Aus dieser Einschätzung spricht Empowerment; sie hat Demoralisierung überwunden, und sie ist in eine gutes qualitatives Netzwerk im Alltag eingebunden. Man darf hoffen, dass sich ihr Leben auch längerfristig stabilisiert hat.

Hilfen für Familien in Krisensituationen - Konkurrenz für die SPFH?

Die "älteren Geschwister" der SPFH hatte ich bereits angesprochen, und zurecht hat die SPFH Identität und viel Selbstbewusstsein in der Abgrenzung zu ASD und EB gezogen. Aber wie das so in Familien sein kann, jüngere Geschwister rücken nach - mit der Folge einer veränderten Gruppendynamik und manchmal sogar Gefühlen der Bedrohung und der Rivalität. Die SPFH hatte sich trotz ihres jugendlichen Alters eigentlich ganz gut eingerichtet und ihr Profil im Vergleich zu anderen familienunterstützenden Hilfen geschärft. Nun aber machen seit Beginn der Neunzigerjahre neue ambulante Dienste für Familien auf sich aufmerksam: Kriseninterventionsprogramme wie Familienaktivierungsprogramm (FAM) oder Familie im Mittelpunkt (FIM) u.a. versprachen, durch kurzzeitige und intensive Hilfen Familien in Krisen zu stabilisieren und Fremdplatzierung unnötig zu machen.

Das war schon etwas irritierend für die SPFH! Zumal - ähnlich wie man es selbst getan hatte - mit Kosteneinsparungen argumentiert wurde. Und anders als in der SPFH: Alles sollte in kürzester Zeit erreicht werden! Weiterbildungsprogrammen in der Tradition der Family-First-Ansätze wurden vermehrt angeboten und besonders auch von SPFHlerInnen besucht. Die Kurse lösten bei vielen einen Gefühlsmix von gespannter Erwartungen und skeptischer Zurückhaltung aus. Und oft hörte ich enttäuschte Einschätzungen wie: Nichts Neues! Machen wir längst! Entspricht unserem Vorgehen in der Intensivphase! Das ist richtig und auch wieder nicht ganz richtig.

Lasst uns noch einmal gemeinsam auf diese Ansätze blicken: Alle diese Ansätze wurden aus den USA importiert. Sie leiten sich aus dem Homebuilders-Model und den Family-First-Program ab. Wenn eine Fremdplatzierung unmittelbar bevorsteht, wird die Maßnahme in kürzester Zeit eingesetzt (möglichst innerhalb 24 Stunden). Man nutzt das Krisenerleben, den Druck von Innen und Außen auf die Familien, weil dann oftmals Veränderungsbereitschaft geben ist. Wenn sich mindestens ein Erwachsener bereits erklärt, die Maßnahme anzunehmen, beginnt die Zusammenarbeit sofort. Das Krisenteam - in der Regel zwei Fachkräfte - ist anfangs rund um die Uhr durch eine Rufbereitschaft erreichbar. Die Arbeit in den Familien kann bis zu 25 Stunden in der Woche dauern. Co-Arbeit in den Familien sichert personelle Kontinuität. Der Interventionszeitraum beschränkt sich auf sechs Wochen.

Die Kurzzeitigkeit der Hilfe macht deutlich, dass nur wenige wichtige, gemeinsam mit den Familien definierte Probleme angegangen werden können. Ein Kollege aus dem Bayerischen Landesjugendamt: "Krisenintervention in der Familie heißt die Kuh vom Eis holen und nicht, ihr Schlittschuhlaufen beizubringen...". Indikationen oder besser: Anlässe für die Krisenintervention sind etwa Aufenthalt eines Elternteils in im Justizvollzugsanstalt, Krankenhausaufenthalt eines Familienmitgliedes, Verdacht auf Gewalt und sexueller Missbrauch, Suizid und andere Krisen, Drogenmissbrauch etc.

Wie kann nun die SPFH mit ihrer jüngeren Schwester in der Familien der familienunterstützenden Hilfen zusammenarbeiten?

  1. Zunächst - die Klientel der SPFH und der Krisenprojekte haben eine andere Klientel. Die Grenze der Hilfeform SPFH liegt einfach in einer unzureichenden kurzfristigen Verfügbarkeit in Krisensituationen. Durch ihre Langfristigkeit und natürlich auch die begrenzten personellen Kapazitäten ist ein längerer Vorlauf bis zum Beginn der Maßnahme notwendig. Ihr Einsatz bei neuen Klienten-Familien in akuten Krisen kann somit nicht gewährleistet werden. Die Krisendienste erschließen also eine neue Gruppe von Familien - nämlich Familien, bei denen in der Vergangenheit die Herausnahme des Kindes das erste Mittel der Wahl war. So ergab eine Studie in Rheinland-Pfalz: Zwei Drittel der in Heimen untergebrachten Kinder sind ursprünglich aus Gründen der Kriseninterventionen dort (Hamburger u.a. 1994). (Die Regensburger KollegInnen im Jugendamt haben daraus eine andere Konsequenz gezogen: Dort wurde eine neuer Fachdienst mit dem der Bezeichnung "Erziehungsverantwortung" aufgebaut, der die Aufgabe hat, salopp formuliert, Kinder aus Heimen und Pflegefamilien in ihre Familien zurückzuführen. Ich finde einen solchen Dienst eine ganz wichtige Sache, weil oft genug mit der Überführung die Verantwortung an die Heime abgegeben wird und diese bei allen Versuchen, Elternarbeit zu forcieren, nicht eine Rückführung gezielt und mit den nötigen ambulanten Hilfen betreiben können).

  2. Die Kriseninterventionen müssen als Hilfen verstanden werden, die in den meisten Fällen eine Folgehilfe benötigen, die die erzielten Effekte stabilisieren. Marga Rothe (1996) spricht etwas polemisch von "Crashkursen für Familien", die oft nicht ausreichen, um das nachwuchsschädigende Verhalten, das sich manchmal über Generationen in den Familien fortgesetzt, zu verändern. Es muss an den "Strukturproblemen" der Familie gearbeitet werden, um neuen akuten Krisen vorzubeugen. Das Kriseninterventionsprogramm "stellt in vielen Fällen die Diagnose und stößt den Veränderungsprozess an" (S. 227) - nicht mehr und auch nicht weniger!

  3. Mittlerweile hat sich in der Praxis eine konzeptionelle Verschiebung feststellen lassen. Die Jugendämter setzen nämlich diese Krisendienste häufig weniger zur Krisenintervention als vielmehr zur Abklärung der Lage in der Familie ein (Koch & Lambach 1999). Diese Clearingfunktion scheint in einigen Familien vom Jugendamt selber nicht geleistet werden zu können, so dass auf die neuen Dienste Aufgaben der Familiendiagnostik, der psychosozialen Diagnose und der Begutachtung hinzukommen. Es ist erfahrungsgemäß in manchen Fällen schwierig, Risiken einzuschätzen und Vorhersagen zur Gefährdung eines Kindes zu treffen, wenn es in Familie verbleibt.

  4. Was die methodische Arbeit anbelangt, sind sehr viel Gemeinsamkeiten festzustellen: der Bezug auf die ganze Familie, die Fokussierung sowohl auf den familialen Innen- als auch auf den Außenraum, die Ressourcenorientierung und Netzwerkarbeit, systemischer Ansatz, Lösungsorientierung etc.

Was auffällt sind die klaren, operationalen und ausgearbeiteten Konzepte, die das Verhalten der Fachkraft in den Krisenprogrammen sehr genau instruieren. Ich glaube nicht, ob diese manchmal etwa holzschnittartigen und eindimensionalen technischen Vorgehensweisen auf die SPFH übertragen werden können. Sie mögen sinnvoll sein, wenn man den Auftrag hat, einer akuten Krise die Spitze zu nehmen. Die vielfältigen, diffusen und wenig eingrenzbaren Schwierigkeiten der Familien in der SPFH brauchen dagegen viel, viel Zeit und eine verlässliche Beziehung zu den Familien. Aber wir werden sehen, was der Dialog zwischen beiden Ansätzen in der Zukunft erbringen wird.

Beide Ansätze dienen dem Ziel, die Familie zu erhalten und gleichzeitig das Kind zu schützen. Da hatten wir in Deutschland einen großen Nachholbedarf. Wir brauchen beide Ansätze, denn die Familie ist nun mal die bedeutendste Sozialisationsinstanz für Kinder. Alle anderen Hilfen haben nur Ersatzfunktion. Jugendhilfe in diesem Sinn ist in erster Linie immer Familienhilfe.

Die Sozialpädagogischen FamilienhelferInnen

Ich komme jetzt zu den wichtigsten Personen der SPFH: den FamilienhelferInnen selbst. Wenn man 10 Jahre alt ist, dann ist ja doch einiges selbstverständlich geworden. Vieles in der Arbeit mit den Familien ist professionelle Routine. Wenn man 10 Jahre alt geworden ist, muss man nicht mehr darüber nachdenken, wie das geht - zu laufen. Wir können uns noch nicht einmal mehr erinnern, wie schwer das war, lesen und schreiben zu lernen.

Sie sind bestimmt manches Mal an den Rand Ihrer Möglichkeiten gekommen, vielleicht wollten Sie auch so manches Mal alles hinschmeißen. Das Anstrengende der Arbeit ist meiner Ansicht, Nähe und Distanz zu balancieren. Manchmal erlebt sich die Familienhelferin als zu nah, nahezu eingesogen in die Beziehungen der Familienmitglieder, und dann wieder spürt die SozialpädagogIn eine so große Distanz, dass sie daran zweifelt, überhaupt helfen zu können.

Andere arbeiten im Schutz ihren Einrichtungen. Eine MitarbeiterIn im Sozialamt - oder wo auch immer - die mag sich noch so gut einfühlen können, aber sie erlebt die KlientInnen nicht in deren Alltag! Der Klient ist dort im öffentlichen Raum (sozusagen auf fremden Terrain) und verhält sich eben so, wie er glaubt, sich im öffentlichen Raum verhalten zu müssen. Es ist einfach etwas anderes, in die Wohnung hineinzugehen und zu erleben, wie vermüllt diese ist. Die Familienhelferin erlebt mit allen Sinnen die Familie. Sie sieht den verdreckten Kühlschrank, sie hört das Nebeneinander der Stimmen und riecht das Familienklima. Das sinnliche Erleben schafft eine viel größere Nähe zu den Familien. Das hat Vorteile: Die Sozialpädagogin versteht besser die Sorgen und Nöte, aber auch Ziele der KlientInnen. Es kann ein schnelles Einverständnis erzielt werden, wo angepackt werden muss, was besonders dringlich ist. Das sinnliche Erleben kann aber auch große Distanz schaffen, wenn durch die Nähe Unverständnis oder gar Gefühle des Ekels entstehen. Eine Kollegin hat mir erzählt, dass ein Raum in der Wohnung einer Klientenfamilien nicht mehr zu begehen war, weil es dort so stank wie in einem Raubtierkäfig. Sie hat die versifften Matratzen mit der Klientin herausgeschafft und war aber auch offen genug, um sich ihre Gefühle des Ekels einzugestehen.

Und vergessen wir nicht das Besondere Ihrer Situation: Sie arbeiten in einem Bereich - "Familie", den sie selber leben! Natürlich das hat Vorteile, aber oftmals ist es schwer, die eigene Familie von der SPFH-Familie getrennt zu halten. Die Nöte der Familie werden mit in die eigene genommen, und Vermischungen und Übertragungen gehören zum Alltag.

Auf der anderen Seite haben Sie beeindruckende Eltern kennen gelernt und erlebt, die trotz aller bedrängenden aktuellen Nöte so viel an Selbstbehauptungswillen zeigten oder die Selbstbehauptung in der gemeinsamen Arbeit mit Ihnen entwickelt haben. Und bestimmt war es auch aufregend und spannend, die vielen unterschiedlichen Erfahrungen mit Familien aus so unterschiedlichen Familienformen zu machen. Sie haben Stieffamilien, Alleinerziehende, Kernfamilien, binationale Familien, Aussiedlerfamilien etc. erleben können. Sie haben einen Reichtum an Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit den KollegInnen des ASD, der Erziehungsberatung, der Schuldnerberatung, des Sozialdienstes, der Schulen etc. zusammengetragen. Und vermutlich haben Sie ab und an auch erlebt, wie MitarbeiterInnen anderer Dienste sogar bereit waren zu helfen, obwohl der eine oder andere Paragraph oder die Vorschrift dagegen war.

Die Familienhelferinnen sollten niemals das Gefühl haben, mit den Nöten der Familie allein gelassen zu werden. In Supervisionen spielt das Thema "Alleingelassen werden mit den Problemen" eine wichtige Rolle. Wenn man so will ist das eine Spiegelung der Situation der Klientenfamilien. Die Familie ist allein gelassen und bekommt eine SPFHlerin, die allein arbeitet. Die SPFH braucht die Zusammenarbeit außen mit anderen Helfersystemen, der Schuldnerberatung, dem Wohnungsamt etc., um sich nicht in der Familie vergeblich zu bemühen.

Was ich SozialpädagogInnen noch wünsche? Vor allem einen starken Träger, der sich hinter seine MitarbeiterInnen stellt, ein Jugendamt, das zu seiner Verantwortung steht und offen für die Zusammenarbeit ist, und - bei aller notwendigen professionellen Routine und Gelassenheit - vor allem: Erhalten Sie sich Ihre Neugier für die Familien!

Literatur

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Hinweis

Veröffentlicht am 07.12.2002, überprüft im März 2015