Ambulante Sozialpädagogische Betreuung von jungen Straffälligen ("Ambulante Maßnahmen") - Erziehungshilfen im Spannungsfeld zum Jugendstrafrecht

Thomas Trenczek

1. Einführung

Die Praxis der Neuen Ambulanten Maßnahmen und sozialpädagogischen Betreuung junger Straffälliger (NAM) weist mittlerweile eine mehr als 20jährige Erfahrung auf. Soziale Gruppenarbeit und Betreuungshilfen, (sozialpädagogisch betreute) Arbeitsweisungen und der Täter-Opfer-Ausgleich haben sich mittlerweile vielerorts, in einigen Bundesländern nahezu flächendeckend etabliert und sind aus dem Jugendkriminalrechtssystem nicht mehr wegzudenken. Zentrales Ziel dieser Reformbemühungen war die Zurückdrängung freiheitsentziehender Sanktionen. In dem (empirisch abgesicherten) Wissen um die negativen Folgen von Jugendstrafe und Arrest gerade bei den sich noch in der Entwicklung befindenden jungen Menschen sollte mit ambulanten, sozialpädagogischen "Maßnahmen" (1) eine sinnvolle Alternative bereitgestellt werden, die sich als ambulante von den freiheitsentziehenden und als sozialpädagogische von den sonstigen ambulanten Sanktionen abgrenzt. Unterstützt wurden diese Initiativen durch die kriminologischen Befunde zur (normbezogenen) Ubiquität und Episodenhaftigkeit von Straffälligkeit in der Lebensentwicklung junger Menschen, die einen entdramatisierenden Umgang mit dem Phänomen Jugendkriminalität anmahnten.

Überwog in den ersten Jahren der "ambulanten Bewegung" durchaus die optimistische Einschätzung, die NAM könnten ein Umdenken und einen grundlegenden Wandel der strafrichterlichen Entscheidungspraxis auslösen, so verstärken sich in den letzten Jahren wieder die Zweifel, ob die "Jugendstrafrechtsreform durch die Praxis" tatsächlich zu einer veränderten Sanktionspraxis der justitiellen Entscheidungsträger geführt hat. Heute sind auch eher ernüchternde Erfahrungen zu hören, die "von einer Alibifunktion ambulanter Maßnahmen" sprechen, da ein "qualitativer und quantitativer Ausbau ambulanter Maßnahmen, der auf die Situation von Jugendlichen und Heranwachsenden, die Straftaten in erheblichen Umfang und/oder von erheblicher Schwere begehen, angemessen und verhältnismäßig reagiert, (...) nicht stattgefunden" habe (2). In der Tat bestätigt die empirische Sanktionsforschung, dass die NAM mit Ausnahme der verordneten Arbeitsleistung quantitativ nicht über ein Nischendasein hinaus gekommen sind. So stellte zuletzt Wolfgang Heinz resümierend fest, dass es weniger die helfenden und stützenden als vielmehr die schlicht punitiven, also schlicht strafenden Maßnahmen sind, die das Bild der jugendstrafrechtlichen Sanktionspraxis bestimmen. Täter-Opfer-Ausgleich, Schadenswiedergutmachung, sozialer Trainingskurs und Betreuungsweisung seien die Ausnahmen, nicht die Regel (3).

Es kann nicht verwundern, dass sich aus einem unterschiedlichen persönlichen, fachlichen und beruflichen Zugang zum Arbeitsfeld und den hierin zu lösenden Fragen Spannungen ergeben können. Juristen und Mitarbeiter der Polizei, der Jugendhilfe und der anderen sozialen Dienste bringen - durch unterschiedliche Sozialisationen und Ausbildungen, Berufsrollen und Interessen geprägt - im Hinblick auf die Funktionen und Aufgaben der Verfahrensbeteiligten im allgemeinen oder im speziellen, z.B. hinsichtlich der Notwendigkeiten von Sanktionen, deren Inhalte und das jeweilige Sanktionsniveau, unter Umständen sehr verschiedene Sichtweisen in das Jugendkriminalverfahren ein. Dabei bleibt die Justiz bisher meist einer justitiellen Sichtweise sozialpädagogischer Aufgaben verhaftet. "Erziehung" und sozialpädagogische Angebote werden meist nur als "funktionale Äquivalente" zur Strafe akzeptiert und (taxenmäßig) instrumentalisiert. Dies ist den Kollegen und Kolleginnen aus der Justiz zunächst nicht anzulasten, ist doch ihr Normprogramm auf eine andere als die strafrechtliche Sicht der Dinge kaum ausgerichtet. So sieht der Staatsanwalt z.B. nach § 45 Abs. 2 S. 1 JGG von der Verfolgung einer Jugendverfehlung nicht schon dann ab, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist. Der entscheidende Teil der Bestimmung folgt erst im zweiten Halbsatz: Er sieht nämlich nur dann von der Verfolgung ab, wenn er gleichzeitig weder eine Beteiligung des Richters noch die Erhebung der Anklage für erforderlich hält. Der Bedarf für das weitere strafrechtliche Vorgehen respektive ein Verzicht darauf aufgrund bereits eingeleiteter oder geleisteter Jugendhilfe richtet sich in der Praxis trotz des "Erziehungsgedankens" ganz überwiegend nicht nach erzieherisch-pädagogischen Gesichtspunkten, sondern vor allem nach der Art und Schwere des Delikts und der bisherigen strafrechtlichen Auffälligkeit des jungen Menschen (4). Man mag diesen Umstand aus dem Blickwinkel der Justiz noch für nachvollziehbar halten, es ist allerdings verwunderlich, wenn sich die Jugendhilfe einer solchen Sicht (teilweise) anschließt (5). Beobachtungen aus der Praxis geben in der Tat Anlaß zu der Vermutung, dass die nach dem Konzept der Hilfeangebote vorgesehenen Zielgruppen häufig verfehlt werden (6). Dies mag auf unzureichende Abstimmungsprozesse zwischen den an der Durchführung der NAM beteiligten Personen aber auch auf die (bewußte oder unbewußte) Antizipation strafrechtlicher Perspektiven durch die Jugendhilfe zurückzuführen sein. Härter formuliert es Franz Bettmer, nach dessen Ansicht Strafrecht und Justiz durch Normprogramm und Ermessensausübung die "Interventionslegitimation der Sozialarbeit verwalten" (7). Entscheidend für diese bedenkliche Entwicklungen ist letztlich die bislang ungeklärte, weil nicht gestellte Frage, ob es sich bei der sozialpädagogischen Betreuung von jungen Menschen um Jugendhilfeleistungen oder um Maßnahmen nach dem JGG handelt.

2. Zweispurigkeit des Rechts der öffentlichen Sozialkontrolle bei Jugendlichen

Ambulante sozialpädagogische Hilfen für junge Straffällige sind wie wohl kein anderes Arbeitsfeld durch ihren doppelten rechtlichen Bezugsrahmen gekennzeichnet. Das geltende Recht der sozialen Kontrolle von Jugendlichen unterscheidet zwischen Jugendhilferecht einerseits und Jugendstrafrecht andererseits. Die gesetzlichen Grundlagen finden sich im Kinder- und Jugendhilferecht als Teil des Sozialgesetzbuches (KJHG - SGB VIII (8)), zuletzt geändert durch das Zehnte Euro-Einführungsgesetz vom 15.12.2001, und dem Jugendgerichtsgesetz nach der Änderung durch das 1. JGG-Änderungsgesetz vom 30.08.1990 (zuletzt geändert 19.12.2000). Dabei hat das Kinder- und Jugendhilferecht - über die förmlichen Änderungen des JGG-Textes durch Art. 6 KJHG hinaus - für das Jugendkriminalverfahren eine von Teilen der jugendstrafrechtlichen Praxis sowie der JGG-Kommentierungen bisher noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommene Bedeutung. Denn ungeachtet des weithin vertretenen "Erziehungsgedankens" (9) im Jugendstrafrecht verzichten die Justizverwaltungen - mit Ausnahme des Freiheitsentzugs und der Vollstreckung monetärer Sanktionen - darauf, selbst Maßnahmen zur Vollstreckung der jugendrichterlichen Urteile, insbesondere "erzieherische" Maßnahmen vorzuhalten. Deshalb kann man durchaus die Feststellung treffen, dass es solche ambulante, sozialpädagogisch-jugendstrafrechtliche Maßnahmen in der Praxis nicht gibt und sie nur auf dem Papier stehen. Sozialpädagogische Betreuung, soziale Gruppenarbeit, die Vermittlung von pädagogisch betreuter gemeinnütziger Arbeit sowie die Initiierung eines Täter-Opfer-Ausgleichs werden im Jugendbereich ausschließlich von Einrichtungen der Jugendhilfe angeboten.

Das durch den Gesetzgeber mit der Novellierung des JGG angestrebte Ziel, das Leistungsangebot der Jugendhilfe stärker in die Praxis des Jugendstrafrechts zu integrieren (10), läßt sich nur umsetzen, wenn man bereit ist, unter der alten Rechtslage tradierte Meinungen über Aufgaben und Verhältnis von Jugendhilfe/Sozialer Arbeit und Justiz grundsätzlich zu überdenken und am Maßstab der heute geltenden normativen Vorgaben zu überprüfen. Während Jugendhilfe von den Prinzipien Angebot und Freiwilligkeit geprägt ist, geht es im Jugendstrafrecht um Verpflichtung, Anordnung und Verurteilung. Es ist offensichtlich, dass das emanzipatorische Erziehungsverständnis des Jugendhilferechts unvereinbar ist mit den Relikten obrigkeitsstaatlicher Zucht- und Ordnungsvorstellungen wie sie im JGG noch immer durchschimmern. Andererseits erlaubt, ja fordert das Normenprogramm von SGB VIII und JGG eine dem Gegenstand angemessene und rechtsstaatlich saubere Kooperation der Verfahrensbeteiligten. Dabei darf aber mit den Mitteln des Jugendstrafrechts nicht versucht werden, die Erziehungsziele des SGB VIII einzulösen. Im Rahmen des (Jugend)Strafrechts kann Sanktionsziel lediglich die Verhinderung (weiterer) Straftaten sein. Diese Selbstbeschränkung betrifft zunächst nur die durch Zwang eingeleiteten und durchgesetzten ("erzieherischen") Maßnahmen der strafrechtlichen Sozialkontrolle, ist also primär eine Handlungsanweisung an die Strafjustiz im Umgang mit dem straffälligen Menschen. Aber auch auf der Grundlage des SGB VIII kann eine "maßlose" Intervention und Erziehung nicht gerechtfertigt werden, eine Beschränkung staatlichen Erziehungshandelns ist auch insoweit rechtsstaatlich geboten. Die öffentliche Jugendhilfe steht als Teil der öffentlichen Verwaltung unter dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgebot und beschränkt sich deshalb auf die geeignete und erforderliche Intervention.

Im Hinblick auf das Jugendhilferecht wird zumeist übersehen, dass das SGB VIII eine saubere Trennung von Zielorientierung (autonome, reflexive Persönlichkeit), Aufgaben (Förderung und Prävention durch die Erfüllung fachgerechte Leistungen und anderer Aufgaben) und (Eingriffs-) Befugnissen (z.B. Eingriff in das Elternrecht; Berechtigung zur Informationsweitergabe) vorgenommen hat. In der Begründung zum KJHG hat die Bundesregierung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es vermieden werden müsse, straf- und ordnungsrechtliche Gesichtspunkte in das Kinder- und Jugendhilferecht hineinzutragen, die dessen Charakter zwangsläufig verändern müßten (11). Die Jugendhilfe muß und kann die vom Gesetzgeber auch bei jungen Menschen für notwendig gehaltene Kontroll- und Ordnungsfunktion des Strafrechts akzeptieren, ohne diese zum Maßstab ihres eigenen Handelns zu machen. Jugendhilfe ist nicht lediglich ein "Appendix des Kriminaljustizsystems" (12), vorrangig ist für sie nicht das vermeintlich "gemeinsame" Ziel der Verbrechensbekämpfung. Justiz und Jugendhilfe haben im Rahmen des Jugendkriminalsystems wesensverschiedene - für die Jugendhilfe im SGB VIII definierte - Aufgaben wahrzunehmen. Die Ziele und Handlungsmaximen der Jugendhilfe für straffällige junge Menschen unterscheiden sich mithin nicht von den im SGB VIII normierten allgemeinen Zielen und Handlungsmaximen. Da in der Praxis und in der wissenschaftlichen Kommentierung der NAM überwiegend nur der Blick auf die jugendstrafrechtlichen Möglichkeiten und Grenzen gelegt wird, steht deshalb in diesem Beitrag nachfolgend die Erläuterung der jugendhilferechtlichen Kriterien der Durchführung der NAM im Vordergrund.

3. Jugendhilferechtliche Leistungsvoraussetzungen der NAM

Die NAM finden ihren jugendhilferechtlichen Anknüpfungspunkt ganz überwiegend im 2. Kapitels des SGB VIII als Leistungen der Jugendhilfe, insbesondere als Angebote der Hilfe zur Erziehung in den §§ 27 ff. SGB VIII, auch wenn damit eine andere Zuordnung nicht ausgeschlossen ist, enthalten sie doch nicht nur Kennzeichen der Hilfen zur Erziehung, sondern durchaus Elemente anderer Leistungsbereiche, z.B. der Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII).

Von Bedeutung ist zunächst die Einordnung der NAM in den Leistungsbereich (§ 2 Abs. 2 Ziff. 4 SGB VIII) als solchen. Sie haben den Charakter einer Sozialleistung (§ 11 SGB-I) und sind damit den Regeln des sozialrechtlichen Leistungsverhältnisses unterworfen. Hieraus ergeben sich bedeutsame Konsequenzen für deren rechtliche Zulässigkeit, ihre inhaltliche Ausgestaltung und das verwaltungsrechtliche Bewilligungsverfahren. Nach § 31 SGB-I dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt. Voraussetzung für die Durchführung und/oder Finanzierung der NAM durch einen öffentlichen Träger der Jugendhilfe ist deshalb, dass ein Leistungstatbestand des SGB VIII gegeben ist.

3.1 Nichtgewährleistung einer dem Wohl des Kindes entsprechenden Erziehung

Als Erziehungshilfen werden die Leistungen der Jugendhilfe zusammengefaßt, die für junge Menschen und ihre Familien in besonderen Lebensschwierigkeiten und bei der Bewältigung von Erziehungsproblemen Unterstützung und Hilfen gewähren. Der zentrale Orientierungspunkt für die Hilfen zur Erziehung und den hierauf gegründeten Rechtsanspruch ist das "Wohl" des jungen Menschen. Hilfe zur Erziehung kann und darf nur geleistet werden, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung "nicht gewährleistet" ist (§ 27 Abs. 1 SGB VIII). Inhaltlich wurde mit dem Begriff des "Kindeswohls" zunächst an die Regelung in § 1666 BGB sowie an die in diesem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung angeknüpft (13). Das Kindeswohl betrifft auch in einem sich wandelnden gesellschaftlichen Definitionsprozeß neben seiner leiblichen Existenz stets seine gesamte geistige und seelische Entwicklung zu einer selbstbestimmten und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. Das Kindeswohl ist negativ betroffen, wenn die altersgemäße Entwicklung des Minderjährigen durch die soziale, psychosoziale oder individuelle Lebenssituation beeinträchtigt ist oder konkrete Schäden für seine körperliche, geistige oder seelische Gesundheit zu befürchten sind. Neben diesem gemeinsamen, schuldunabhängigen Ausgangspunkt bestehen aber zwischen dem bürgerlichrechtlichen Eingriffstatbestand und der jugendhilferechtlich normierten Leistungsgewährung entscheidende Unterschiede.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei den Hilfen zur Erziehung um Angebote der Jugendhilfe handelt, die - anders als es bei § 1666 BGB der Fall ist - grundsätzlich nicht mit Eingriffen in das elterliche Sorgerecht verbunden sind. Das Prinzip der Freiwilligkeit erfordert es, dass der Begriff des Kindeswohls im SGB VIII gegenüber dem des BGB weiter ausgelegt werden muß. Von Bedeutung ist hier insbesondere der präventive Handlungsauftrag der Jugendhilfe, so dass weder ein konkreter Schaden noch eine gravierende Mängellage vorliegen muß, um bei fehlender Selbsthilfe den Leistungsanspruch auszulösen. Anders als bei einem Eingriff in das Elternrecht nach § 1666 BGB setzt der jugendhilferechtliche Leistungsanspruch keine bereits bestehende "Gefährdung" des Kindeswohls, z.B. durch einen Mißbrauch des elterlichen Sorgerechts, eine Kindesvernachlässigung und drohende Verwahrlosung oder ein (unverschuldetes) elterliches "Versagen" bzw. ein entsprechenden Verhaltens Dritter voraus. Eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung ist nach § 27 SGB VIII nicht erst bei einer konkreten Gefährdung "nicht mehr gewährleistet", vielmehr soll die Jugendhilfe der Gefährdung gerade vorbeugen, um eingreifende Maßnahmen des Staates weitgehend zu vermeiden. Deshalb "muß das Instrumentarium öffentlicher Hilfe und Unterstützung unterhalb der Schwelle des staatlichen Wächteramtes, also bevor es zu einer nachhaltigen Gefährdung des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls des Kindes kommt, ausgebaut werden" (14). Leistungen nach §§ 27 ff. SGB VIII sind also schon zu erbringen bevor die Lebenssituation des jungen Menschen und seiner Familie sich so zugespitzt hat, dass familiengerichtliche Maßnahmen nach § 1666 BGB in Betracht kommen. Jugendhilfe kommt damit auch im Bereich der individuellen Hilfen entdramatisierende Funktion zu.

Das Wohl des Kindes/ Jugendlichen ist im Hinblick auf die Leistungen der Jugendhilfe nach dem Standard des § 1 SGB VIII zu bestimmen und "konkretisiert" sich nicht erst durch seine Gefährdung aufgrund eines "elterlichen Versagens" (15). Der jugendhilferechtliche Leistungsanspruch wird ausgelöst, wenn die Sozialisationsbedingungen den jungen Menschen im Vergleich zu anderen erheblich benachteiligen, d.h. wenn das, was für Sozialisation, Ausbildung und Erziehung Minderjähriger in dieser Gesellschaft "normal", üblich und erforderlich ist, tatsächlich nicht vorhanden ist (16). Es bedarf also eines wertenden, auf qualitative und quantitative Aspekte abstellenden Vergleichs der konkreten Lebens- und Sozialisationssituation des jungen Menschen mit der üblichen seiner Altersgruppe. Gefordert ist ein Balanceakt zwischen dem Respekt vor andersartigen Lebensentwürfen (zumal sich die pädagogischen Fachkräfte in aller Regel aus einer anderen sozialen Schicht und anderen Lebensbezügen rekrutieren) und dem Bemühen, Benachteiligungen abzubauen (§ 1 Abs. 3 SGB VIII), um weitest mögliche soziale Teilhabechancen zu eröffnen. Zwar kann Hilfe zur Erziehung von ihrer Funktion her nur bei Problemen und Konflikten im Erziehungsprozeß im engeren Sinn ansetzen, da die häufig zugrundeliegenden Faktoren, wie etwa Arbeitslosigkeit, Krankheit der Eltern, unzureichende Wohnsituation, nicht mit den Mitteln der Jugendhilfe behoben werden können. Soweit derartige Belastungsfaktoren aber den individuellen Erziehungsprozeß beeinträchtigen, indem sie z.B. mit einer mangelnden emotionalen und pädagogischen Unterstützung des Jugendlichen einhergehen oder sich in mangelnden Ausbildungs- und Freizeitmöglichkeiten niederschlagen, geht es in der Jugendhilfe auch um die Beseitigung der nachteiligen sozialen Lebenssituation (17).

Damit wurde im SGB VIII auf eine negative Formulierung der Leistungsvoraussetzungen nicht völlig verzichtet, da Hilfen (zur Erziehung) von ihrer Funktion her nur an Mängellagen im Sozialisationsprozeß ansetzen. Hier wird das allgemeine sozialrechtliche wie -pädagogische Paradox sichtbar, nachdem der Zweck der Leistungsvoraussetzungen die Feststellung einer Belastung und Schwäche ist, die besondere Hilfe erforderlich macht, gleichzeitig diese Definition aber gegebene Ressourcen und Stärken nicht übersehen, entmutigen und entwerten darf (18). Soweit das SGB VIII auf die Erforderlichkeit von Hilfen und deren Ausgestaltung in Annäherung an die Formulierung von § 6 Abs. 1 JWG auf einen "erzieherischen Bedarf" abstellt (§ 27 Abs. 2 S. 2 SGB VIII), wird dieser nun aber nicht mehr allein negativ an Defiziten ("defizitäre familiäre Erziehung" (19)) festgemacht. Im Unterschied zu der früher unter dem JWG geltenden Rechtslage ist die Leistung der Erziehungshilfen auch nicht von einer "Gefährdung" oder "Schädigung der Entwicklung" (vgl. § 55 ff, 62 JWG) oder sogar (wie früher bei der Fürsorgeerziehung nach § 64 JWG) von einer drohenden "Verwahrlosung" abhängig. Das SGB VIII verzichtet auf diese Begriffe, da sie den Eindruck erweckt haben, als würden die bei dem Kind oder Jugendlichen festgestellten Probleme ihm auch ursächlich zugeschrieben. Mit dem Auftrag zur Gewährleistung des Kindeswohls wird die individualisierende Defizit-Zuschreibung zugunsten positiver Standards weitgehend verlassen und im Hinblick auf den erzieherischen Bedarf auf Sozialisationsbedingungen und individuelle Benachteiligungssituationen (Mängellagen) abgestellt (20).

Das gesetzgeberische Leitbild der autonomen, für die Erziehung des Kindes verantwortlichen und grundsätzlich befähigten Familie und der damit verbundene nur subsidiäre Handlungsauftrag der öffentlichen Hand macht deutlich, dass die eigentliche Zielgruppe der erzieherischen Hilfen und damit der NAM (ebenso wie bei den Angeboten der Jugendsozialarbeit) nicht die Jugendlichen sind, die gelegentlich "über die Stränge schlagen" oder sonst nicht über den ubiquitären und episodenhaften Bereich (strafrechtlich) auffällig werden. Nicht jedes Reifeproblem, nicht jedes jugendtypisches Verhalten, auch dann nicht, wenn es strafrechtlich relevant sein sollte, ruft die öffentliche Jugendhilfe auf den Plan. Es geht nicht um Jugendliche und Heranwachsende, die gelegentlich Schwierigkeiten machen, im übrigen aber familiär und gesellschaftlich integriert sind, die materiell abgesichert sind, die einen in der Erwachsenenwelt wie auch in der Jugendkultur anerkannten Status haben und die eine Perspektive für ihr weiteres Leben sehen, sowohl in der Arbeitswelt als auch im persönlichen Bereich. Ein pädagogisch verantwortbarer Umgang mit Menschen dieser Gruppe kann sich meist in der Bereinigung des Konfliktes und ggf. in der Verdeutlichung des drohenden Statusverlustes erschöpfen. In aller Regel bestehen in der Alltagswelt und im sozialen Umfeld dieser Jugendlichen ausreichende Reaktionsmöglichkeiten zur Konfliktregelung (z.B. im Rahmen eines Täter-Opfer-Ausgleiches), die darüber hinausgehende erzieherische Hilfen der Jugendhilfe überflüssig machen.

Demgegenüber sind junge Menschen, deren familiäre und soziale Situation von Belastungen und Benachteiligungen gekennzeichnet ist, deren gesellschaftliche Integration gefährdet oder verloren gegangen ist, die über keinen (materiell wie sozial) gesicherten Status verfügen, die keine Perspektive für sich sehen (und häufig real auch offensichtlich keine haben), in besonderen Maße auf Hilfe angewiesen. Es geht mithin im Rahmen der Erziehungshilfen um die mehrfach benachteiligten, mehrfach belasteten und mehrfach auffälligen jungen Menschen, die, die immer wieder Schwierigkeiten haben und (deshalb) Schwierigkeiten machen und deren Chancen, ein gesellschaftlich akzeptiertes, sozial integriertes Leben zu führen, ohne Hilfe als gering einzuschätzen sind.

In der Praxis kommt es gerade bei straffälligen, insbesondere haftentlassenen oder drogenabhängigen jungen Volljährigen nicht selten vordergründig zu (aus Kostengründen geführten und für den Hilfeprozeß äußerst schädlichen) Abgrenzungsstreitereien im Hinblick auf die Hilfen nach dem BSHG. Im Unterschied zu den Hilfen nach § 72 BSHG, bei denen die hilfeauslösenden "besonderen sozialen Schwierigkeiten" primär durch äußere Mängellagen (z.B. Arbeits- und Wohnungslosigkeit, Mangel an sozialer Sicherung), weniger durch personenbedingte Probleme (z.B. Verhaltensstörungen) gekennzeichnet sind (21), richtet sich der "Bedarf" i.S.d. §§ 27, 41 SGB VIII nach der die Erziehung bzw. Persönlichkeitsentwicklung des jungen Menschen hemmenden Benachteiligungssituation. Die Hilfen nach dem SGB VIII setzen - auch soweit sie sich nach § 41 SGB VIII an junge Volljährige richten - an der noch nicht abgeschlossenen individuellen Persönlichkeitsentwicklung an. Die Berücksichtigung der sozialen Mängellage kommt (nur) insoweit in Betracht, als diese auf den "erzieherischen" Prozeß einwirkt. Bei den Hilfen zur Erziehung/für junge Volljährige handelt es sich immer um eine sozialpädagogische Leistung zur Förderung der Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen. Steht diese im Vordergrund, ist der Jugendhilfeträger für Leistung und Finanzierung zuständig, eine Konkurrenz besteht auch nicht im Hinblick auf die in diesem Rahmen gewährten Hilfen bei der Suche nach Arbeit und Wohnung oder bei den Leistungen zum Lebensunterhalt. Im Zweifel ist stets die Jugendhilfe zuständig, da nach § 72 Abs. 1 S. 2 BSHG (wie auch nach § 10 Abs. 1 S. 1 SGB VIII) die Leistungen des SGB VIII denen des BSHG vorgehen. Soweit die Leistungen nach § 72 BSHG über die des SGB VIII hinausgehen, sind sie zusätzlich zu ihnen zu gewähren (22). Unberührt bleiben auch die Ansprüche auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach §§ 11 ff. BSHG.

3.2 Geeignetheit und Erforderlichkeit der Hilfen

Im Hinblick auf das "Wohl des Kindes" knüpft § 27 Abs. 1 SGB VIII den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung aber nicht allein an eine Benachteiligung des jungen Menschen, sondern den Anspruch als solchen gleichzeitig auch an die Geeignetheit und Erforderlichkeit der konkreten Hilfe. Es handelt sich mithin nicht um eine (Ermessens)Frage bei der Auswahl der Rechtsfolge (bei deren Entscheidung die Verwaltung grundsätzlich über ein pflichtgemäß auszuübendes Ermessen verfügte), sondern um die Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe bei der Prüfung einer weiteren Leistungsvoraussetzung. Ist eine dem Wohl der oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und Hilfe zur Erziehung ein geeignetes und notwendiges Mittel, um das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zu fördern, so ist das Jugendamt verpflichtet, Hilfe zur Erziehung zu gewähren. Es besteht mithin schon im Hinblick auf den erzieherischen Bedarf eine Wechselbeziehung zwischen Problemlage und Jugendhilfeangebot. Entsprechend den Forderungen des 8. Jugendberichtes verknüpfen sich hier zwei in sich komplexe Faktorenbündel (23). Die Einschätzung der Schwierigkeiten von Heranwachsenden und Familien (das eine Faktorenbündel) muß bezogen werden auf Ressourcen, Chancen und Schwierigkeiten in den Hilfeangeboten (das zweite Faktorenbündel). Bei der Auswahl des konkreten Hilfeangebotes ist deshalb insbesondere zu klären,

  • ob die Hilfen in den Erfahrungs- und Verständnishorizont der Adressaten passen,
  • ob und wie sie sich so dicht wie möglich in die gegebenen Lebensverhältnisse einfügen,
  • ob sie die gegebenen Ressourcen der Selbsthilfe nicht entwerten oder verschütten und
  • welche Perspektiven sich aus der Hilfe für einen "gelingenden" Alltag ergeben.

Im Hinblick auf die Leistungsvoraussetzungen des § 27 Abs. 1 SGB VIII geht es nicht um eine spezifische Hilfeart, sondern lediglich um die generelle Eignung der Hilfe zur Erziehung, den festgestellten erzieherischen Bedarf zu decken. Der Rechtsanspruch auf Hilfe zur Erziehung ist mithin auch nicht auf eine bestimmte Hilfeart gerichtet (24), sondern lediglich auf die im Einzelfall geeignete und erforderliche Hilfeart. Dies festzustellen, ist Aufgabe und Verantwortung der kommunalen Jugendhilfe (§§ 3 Abs. 2 S. 2, 79 SGB VIII). Mit der doppelten Relevanz des "erzieherischen Bedarfs" als materielle Voraussetzung sowohl der diagnostizierten Problemlage als auch im Rahmen der Auswahl der erforderlichen Hilfen hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass es sich bei der Entscheidung über Erforderlichkeit und Auswahl der erzieherischen Hilfen nicht um eine juristische, sondern um eine sozialpädagogische Frage handelt. Die Antwort darauf hat sich ausschließlich am ("Erziehungs-") Ziel der Jugendhilfe und somit an sozialpädagogischen Gesichtspunkten, insbesondere am erzieherischen Bedarf im Einzelfall zu orientieren, nicht an institutionsspezifischen Barrieren und Zwängen oder strafrechtlichen Vorgaben. Im Hinblick auf den erzieherischen Bedarf als materielle Leistungsvoraussetzung verbietet sich insbesondere der Rückgriff auf Kriterien der Abweichung. Die Begehung einer strafrechtlich verbotenen Tat ist nach dem SGB VIII unerheblich. Nicht die Straffälligkeit als solche, sondern die sich (unter Umständen hierin widerspiegelnden) realen Lebens- und Verhaltensschwierigkeiten und Bedürfnisse der Jugendlichen sind der entscheidende Ansatzpunkt für die Jugendhilfe. Im Rahmen der sozialpädagogischen Normalisierungsarbeit hat sich die Jugendhilfe, auch soweit sie im Grenzbereich zum Strafrecht tätig wird, nicht an der (strafrechtlich definierten) Abweichung und den hieran anknüpfenden Interventionsstrategien (Defizitkonzept) zu orientieren, vielmehr muß sie sich darum bemühen, positive Ansatzpunkte und Stärken der Betroffenen herauszuarbeiten, hieran anzuknüpfen und zu helfen, sie weiterzuentwickeln. Der Umstand, dass es in der Praxis bislang für straffällige Jugendliche eines besonderen, Chancen und Perspektiven eröffnenden Angebotes der Jugendhilfe bedurfte, um einer weiteren Desintegration vorzubeugen, steht damit nur scheinbar im Widerspruch und ist mit der vorfindlichen Ausgrenzung der "Kriminellen" aus den traditionellen Jugendhilfeangeboten erklärbar. Es ist nun freilich erforderlich, dass dieses spezifische Angebot, durch das soziale Integration eingeübt und ermöglicht werden soll, für andere Jugendliche offen und die Betreuung der Jugendlichen unabhängig von einer jugendrichterlichen Weisung gewährleistet ist.

3.3 Dauer und Beendigung der Hilfe

Genauso wie die Begründung richtet sich die Dauer, Änderung und Beendigung der Hilfen zur Erziehung nach den sozialrechtlichen Vorschriften (§ 31 SGB-I). Die Hilfe zur Erziehung wird nach dem Sozialrecht erst beendet, wenn eine nachträgliche Veränderung der (tatsächlichen und rechtlichen) Verhältnisse eingetreten ist (§ 48 SGB-X), also z.B. der erzieherische Bedarf nicht mehr vorliegt oder die Altersgrenzen des SGB VIII erreicht sind (25).

4. Zur Kooperation von Jugendhilfe und Justiz

War das Verständnis der Jugendgerichtshilfe (JGH) traditionell von einer justiznahen Aufgabenwahrnehmung geprägt ("Sozialarbeit im Souterrain der Justiz" (26)), haben sich Rolle und Selbstverständnis der Jugendhilfe grundlegend gewandelt (27). Auch durch die Neuregelung des Kinder- und Jugendhilferechts sollte die Einbindung der strafrechtbezogenen Aufgaben in den Verantwortungsbereich des Jugendamtes stärker betont werden (28). Das SGB VIII vermeidet bewußt den, eine besondere Institution nahelegenden Begriff "Jugendgerichtshilfe" und spricht statt dessen umfassend von der "Mitwirkung der Jugendhilfe im gerichtlichen Verfahren". Ausgangspunkt für die Ausgestaltung der Kooperationsbeziehungen im Jugendkriminalverfahren ist die Feststellung, dass Polizei, Justiz und Jugendhilfe aufgrund unterschiedlicher Rechtsgrundlagen tätig werden und wesensverschiedene, für die Jugendhilfe im SGB VIII definierte Aufgaben wahrzunehmen haben. Während die Jugendhilfe der (kommunalen Selbst-) Verwaltung zugeordnet ist, ist das Jugendgericht Teil der rechtsprechenden Staatsgewalt. Während sich die Arbeit der Jugendhilfe (-verwaltung) vor allem nach den Regeln des öffentlichen (Sozial-)Rechts, insbesondere nach dem SGB VIII richtet, beziehen die Jugendrichter und -staatsanwälte ihre Handlungsanweisungen aus dem formellen und materiellen Strafrecht, insbesondere dem JGG. Weder JGG noch SGB VIII beanspruchen für den jeweils anderen Bereich Vorrang, das eine ist nicht das speziellere Gesetz zum anderen (29). Das JGG geht - auch soweit es die Arbeit der Jugendhilfe im Strafverfahren betrifft - dem SGB VIII nicht vor. Die Leistungen der Jugendhilfe stehen zwar nach § 31 SGB-I unter dem allgemeinen sozialrechtlichen Gesetzesvorbehalt, nicht aber unter einem "Strafrechtsvorbehalt" (30). Vielmehr bestimmt zunächst das Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII) Aufgaben und Funktion der Jugendhilfe gerade auch im Hinblick auf ihre Mitwirkung im Rahmen des (familien-, vormundschafts- und jugend-) gerichtlichen Verfahrens. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut, der Systematik und Teleologie der gesetzlichen Regelungen, sondern vor allem aus den zugrundeliegenden Wertentscheidungen des Grundgesetzes (31).

Erinnert sei hier daran, dass die Jugendämter nach §§2 Abs.3 Ziff.8, 52 SGB VIII auch im jugendgerichtlichen Verfahren (nur deshalb) mitwirken, um im Strafverfahren die "erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen", in heutiger Terminologie also die sozialpädagogischen, jugendhilferelevanten Gesichtspunkte zur Geltung bringen. §38 Abs.2 JGG, auf den auch §52 Abs.1 S.1 SGB VIII nur zur näheren Ausgestaltung der Mitwirkung verweist, beschreibt lediglich die besonderen Aufgaben (und die verfahrensrechtliche Stellung), die die Jugendhilfe "zu diesem Zweck" gegenüber dem Jugendgericht wahrzunehmen hat (Zweckbindungsprinzip). Bei der Mitwirkung im Strafverfahren handelt es sich also um eine originäre, eigene (nicht vom Handlungsauftrag des Jugendgerichts abgeleitete) Aufgabe, zu deren Wahrnehmung die Jugendhilfe aus jugendrechtlichen Gründen verpflichtet ist. Das SGB VIII hat deutlicher als bisher klargestellt, dass die Jugendhilfe auch im Rahmen ihrer Mitwirkung im Strafverfahren Jugendhilfe bleibt und insofern keine von ihrem in §§ 1 ff. SGB VIII niedergelegten Handlungsauftrag losgelösten Aufgaben oder Befugnisse hat (32). Sie muß vielmehr auch im Rahmen eines Strafverfahrens die durch das SGB VIII definierten fachlichen Aspekte der Jugendhilfe zur Geltung bringen.

Die Jugendhilfe hat selbständig und frühzeitig zu prüfen, ob und wenn ja, welche Leistungen für den Jugendlichen oder den jungen Volljährigen in Betracht kommen (§52 Abs. 2 SGB VIII). Die Jugendhilfe greift deshalb einer (Diversions-) Entscheidung der Justiz auch nicht vor (33). Derartige Befürchtungen resultieren schlicht aus der mangelnden SGB VIII-Rezeption und machen das "überkommene juristische Selbstverständnis deutlich, wonach die Jugendgerichtshilfe ausschließlich die Strafjustiz bei der Entscheidungsfindung unterstützende Funktionen innehat und erst bei der Durchführung justiziell bereits entschiedener Reaktionen förmlicher oder informeller Art wieder ihr Betätigungsfeld findet" (34). Das SGB VIII enthält keinen Auftrag zur Durchführung von Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmitteln nach dem JGG, die Jugendhilfe nimmt auch keine Sanktionsaufgaben wahr. Die Jugendhilfe bietet ihre Dienste nicht wegen der Straffälligkeit, sondern wegen der Lebensschwierigkeiten junger Menschen und ihrer Familien, also bei einem entsprechenden, ggf. auch in der Begehung der Straftat sichtbar gewordenen "erzieherischen Bedarf" an. Die Hilfe ist weder davon abhängig, ob der junge Mensch lästig geworden ist oder eine Straftat begangen hat, noch richtet sich die Intensität der Hilfe nach der Intensität der Straftat. Hilfen zur Erziehung sind nicht als Sanktion, sondern ausschließlich als ein pädagogisch intendiertes Jugendhilfeangebot legitimiert. Die Leistungen der Jugendhilfe sind mit den jugendstrafrechtlichen Weisungen nicht deckungsgleich, insoweit besteht zwischen einem sozialen Trainingskurs oder einer Betreuungsweisung und anderen (auch freiheitsentziehenden) Sanktionen des JGG ein Unterschied. Die Auswahl der einzelnen Hilfen nach dem SGB VIII hat sich nicht an strafrechtlichen Kriterien (z.B. Art des Delikts, Vorauffälligkeit), sondern ausschließlich an dem erzieherischen Bedarf, also den pädagogischen Gesichtspunkten im Einzelfall, zu orientieren.

Die Jugendhilfe entscheidet mithin selbst, wann und wie sie ihre Aufgaben wahrnimmt. Genauso wenig wie sich die Jugendhilfe justitielle Aufgaben anmaßen würde, darf dies umgekehrt der Fall sein. Es gibt weder einen "Durchgriff" auf die JGH noch hat die Justiz eine Entscheidungskompetenz hinsichtlich Angebot und Durchführung von Jugendhilfeleistungen. Deshalb unterscheidet z.B. § 71 Abs. 1 JGG ausdrücklich zwischen der Anordnung von erzieherischen Maßnahmen nach dem JGG und der Anregung zur Gewährleistung von Leistungen nach dem SGB VIII. Nichts anderes gilt für den übrigen Kooperationsbereich von Jugendstrafrecht und Jugendhilfe, insbesondere auch im Hinblick der Wahrnehmung von Betreuungsaufgaben nach § 38 Abs. 2 S. 5 u. 7 JGG. Die Anordnungen der Justiz richten sich nicht an den Träger der Jugendhilfe, sondern stets nur an die Jugendlichen (und ihre Erziehungsberechtigten) (35). Diese können durch einen Antrag (36), die Justiz durch eine Anregung im Rahmen des kooperativen Zusammenwirken ein Tätigwerden der Jugendhilfe auslösen.

Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist nach §§ 27, 31 SGB-I zur Leistung der Hilfe zur Erziehung nur verpflichtet, wenn sich diese Verpflichtung aus dem (8. Buch) Sozialgesetzbuch (SGB VIII) ergibt. Jugendhilfe darf ihre Leistungen im Rahmen (auch) eines (informellen) Strafverfahrens nur dann anbieten, wenn die Leistungsvoraussetzungen der §§ 27 ff. SGB VIII vorliegen. Deshalb begründet eine jugendstrafrechtliche Weisung des Jugendrichters nach § 10 JGG (noch) keine sozialrechtliche Leistungs- und/oder Kostentragungspflicht der Jugendhilfe nach §§ 27, 85 ff. SGB VIII (37). Dies gilt nicht nur im Hinblick auf die erstmalige Gewährung, sondern auch bezüglich der Dauer der Jugendhilfeleistung. Die Laufzeit der Weisung hat keinen Einfluß auf die Hilfe zur Erziehung Anspruchs- und leistungskonkretisierende Wirkung hat allein die fachlich-pädagogische Entscheidung der Jugendhilfe.

Es kann also keine Rede davon sein, dass die dem Jugendlichen vom Gericht erteilte Weisung, z.B. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen, objektiv-rechtlich die Leistung des Jugendamtes nach §§ 27 Abs.1, 29 SGB VIII auslöst. Mitnichten stellt das Gericht selbst in seiner Entscheidung implizit fest, dass die Voraussetzungen für eine Hilfe zur Erziehung gegeben sind (38). Weder ist es hierzu befugt, noch ist es hierzu in der Lage. Dies ergibt sich bereits aus den unterschiedlichen Tatbestands- und Leistungsvoraussetzungen ("aus Anlaß einer Straftat" vs. "erzieherischer Bedarf") und dem wesensverschiedenen Inhalt des "Erziehungsbegriffs" im SGB VIII (Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit) und JGG (Legalbewährung). Die begrenzte Reichweite der jugendstrafrechtlich legitimierten Entscheidung entspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gewaltenteilung und dem Schutz der kommunalen Selbstverwaltung. Das jugendgerichtliche Urteil legitimiert lediglich den Eingriff in das Recht der Sorgeberechtigten und ersetzt entsprechend der familiengerichtlichen Entscheidung nach §§ 1666, 1666a BGB das Einverständnis der Eltern, nicht aber die fachlich-kompetente Entscheidung des Jugendamtes als Sozialleistungsbehörde. Eine eigenständige Anordnungsbefugnis des Jugendgerichts ist nicht nur fachlich nicht abgesichert, sondern beschnitte in verfassungswidriger Weise die Kompetenz der kommunalen Gebietskörperschaften als Sozialleistungsträger und die Autonomie freier Träger von Jugendhilfeeinrichtungen (39). Weder JGG noch Jugendhilferecht lassen eine "In-Dienst-Stellung" der Jugendhilfe als Erfüllungs- oder Verrichtungsgehilfe der Strafjustiz zu. Aus der Mitwirkungspflicht entsteht kein Subordinationsverhältnis oder eine daraus fließende Möglichkeit der Weisungserteilung durch Gericht oder Staatsanwaltschaft (40). Entscheidungen des Jugendgerichts können die (MitarbeiterInnen der öffentlichen und freien) Jugendhilfe (rechtlich) nicht binden.

Daran ändert sich auch nichts, wenn die jugendgerichtliche Entscheidung nach § 10 JGG - entsprechend der Regelung in § 12 JGG - klarstellend künftig insgesamt an die Feststellung der Voraussetzung der Erziehungshilfen nach dem SGB VIII gebunden wird. Zwar müssen nach § 12 JGG die Voraussetzungen der Hilfen zur Erziehung vorliegen, nichts deutet aber darauf hin, dass das Jugendgericht diese selbst feststellen kann. Die "im Achten Buch Sozialgesetzbuch genannten Voraussetzungen", auf die § 12 JGG verweist, setzen für die Gewährung von Erziehungshilfen eine fachlich-pädagogische Bedarfsanalyse voraus, zu der die Justiz inhaltlich nicht in der Lage ist. Die Beurteilung des erzieherischen Bedarfes ist nach dem SGB VIII keine strafrechtliche, sondern eine ausschließlich jugendhilferechtlich-sozialpädagogische Frage. Der Jugendgerichtsbarkeit fehlt aber nicht nur die fachliche, sondern auch rechtliche Kompetenz zur Feststellung der "im Achten Buch Sozialgesetzbuch genannten Voraussetzungen". Nach § 27 Abs. 2 SGB-I obliegt die Entscheidung über die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe den Landkreisen und kreisfreien Städte. Aus beiden Gründen erfolgt die verfassungsrechtlich gebotene Überprüfung der Rechtmäßigkeit staatlichen Verwaltungshandeln der Jugendhilfe allein durch die Verwaltungsgerichte ggf. unter Berücksichtigung des gesetzlich eingeräumten fachlich-pädagogischen Beurteilungsspielraumes (41).

Die nach § 12 JGG erforderliche "Anhörung" des Jugendamtes setzt also voraus, dass dieses (zuvor) festgestellt hat, ob die "im Achten Buch Sozialgesetzbuch genannten Voraussetzungen" vorliegen. Damit läßt das jugendgerichtliche Urteil das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren unberührt. Unvermeidbar ist deshalb auch die Einhaltung des nach § 36 SGB VIII verbindlichen Verwaltungsverfahrens. Bei der Entscheidung über die zu gewährende Hilfe, sei es eine soziale Gruppenarbeit, eine Betreuungs- oder andere Form der Erziehungshilfe, sind der junge Mensch und seine Personensorgeberechtigten zu beteiligen und ein Hilfeplan auf der Grundlage einer psycho-sozialen Diagnose zu erstellen (42). Das jugendgerichtliche Urteil ersetzt im Konfliktfall entsprechend §§ 1666, 1666a BGB lediglich das Einverständnis der Personensorgeberechtigten, nicht aber das jugendhilferechtliche Planungs- und Entscheidungsverfahren. Es kann keine Rede davon sein, dass im Rahmen der Mitwirkung im jugendgerichtlichen Verfahren, das übliche, in § 36 SGB VIII geregelte Verfahren "ausgehebelt" (43) wird. Auch insoweit ist das JGG nicht das speziellere Gesetz.

Soweit das Gesetz die Anordnung nach § 12 JGG ausdrücklich an die Leistungsvoraussetzungen des SGB VIII und an die Anhörung der Jugendhilfe knüpft, ist dies also eine verfassungsrechtliche Selbstverständlichkeit. Die Jugendhilfe hat hier die gleiche Stellung wie im familiengerichtlichen Verfahren. Das Jugendgericht hat ebensowenig wie das Familien- oder (früher das) Vormundschaftsgericht einen unmittelbaren Zugriff auf Leistungen der Jugendhilfe. Die Leistungen der Jugendhilfe werden von der Verwaltung des Sozialleistungsträgers nach den gesetzlichen Vorschriften bewilligt, nicht durch das (Jugend- oder Familien-) Gericht angeordnet (44). Die Voraussetzung, Ausübung, Ausführung und Beendigung der Hilfen zur Erziehung richten sich stets nach den jugendhilferechtlichen Vorschriften des SGB VIII.

Da der Justiz ein eigener Vollstreckungsapparat im Rahmen "erzieherischer", sozialpädagogischer Maßnahmen fehlt und wohl auch nicht aufgebaut werden soll, können Entscheidungen des Jugendgerichts im Hinblick auf Erziehungshilfen nach dem SGB VIII entsprechend der früher in §12 JGG ausdrücklich formulierten Regelung letztlich nur "im Einvernehmen mit dem Jugendamt" ergehen (45). Soweit gegen eine solche Beteiligung Bedenken im Hinblick auf die richterliche Unabhängigkeit vorgebracht werden (46), ist dies nicht nachvollziehbar, da die Gewährung einer Jugendhilfeleistung nicht in den Kompetenzbereich der Justiz fällt, eine richterliche Entscheidung demgegenüber den Verantwortungsbereich der kommunalen Jugendhilfeträger berührte. Im Hinblick auf die jugendstrafrechtliche Sanktion hat es noch nie - auch unter der alten Formulierung des § 12 JGG - eines Einvernehmens der Jugendhilfe bedurft. Selbstverständlich bleibt es dem Jugendrichter unbenommen, eine nach dem JGG zulässige Sanktion ohne Rücksicht auf den Vorhalt einer entsprechenden Leistung der Jugendhilfe auszuurteilen (47). Die entscheidende Frage ist aber, ob dies - gerade im Hinblick auf den "Erziehungsgedanken" - Sinn macht, weil eine Anordnung ohne korrespondierendes Jugendhilfeangebot ins Leere läuft.

Die Befürchtung vor einer Beschränkung der richterlichen Unabhängigkeit gründet weniger auf verfassungsrechtlichen Bedenken, sondern scheint mehr der (unbegründeten) Furcht der Strafjustiz vor einem Bedeutungsverlust zu entspringen. Welche sachwidrigen Erwägungen sollten denn auch das Jugendgericht davon abhalten, im Einvernehmen mit der Jugendhilfe, "erzieherisch/ pädagogisch" verantwortbar zu reagieren und die "richtige" Sanktion/Hilfe auszuwählen? Genausowenig wie die Entscheidung der Jugendhilfe, eine Jugendhilfeleistung anzubieten oder nicht, der richterlichen Sanktionsentscheidung nach dem JGG vorgreift, ersetzt oder präjudiziert das jugendgerichtliche Urteil die auf der Grundlage des SGB VIII zu treffende Entscheidung des Jugendamtes. Ebenso wie das Jugendgericht muß sich die Jugendhilfe gegen eine sachfremde Einflußnahme verwahren. Sachwidrige, rein sanktionsorientierte und damit nicht im Einklang mit dem SGB VIII stehende Erwägungen dürfen die Jugendhilfe nicht veranlassen, Leistungen zu gewähren oder abzulehnen. Stets muß der Sozialleistungsträger klären, ob die Leistungsvoraussetzungen gegeben sind (48). Liegen sie vor, müssen die einzelnen Erziehungshilfen erbracht werden (49). Sachfremde Erwägungen wie das Argument der leeren Kassen stehen dem durch das SGB VIII verbürgten Leistungsanspruch nicht entgegen. Notfalls könnte sich der Anspruchsberechtigte - mit beratender Unterstützung der Mitarbeiter der (freien) Jugendhilfe - unter den Voraussetzungen der §§ 40, 123 VwGO (einstweiligen) Rechtsschutz verschaffen.

Die Änderung des Wortlauts in § 12 JGG hat für das Verhältnis von Jugendhilfe und Jugendgericht keine Auswirkungen und insofern mehr Verwirrung denn Klarheit geschaffen. Es handelt sich nicht um eine (vielleicht von manchem erhoffte oder sogar intendierte, letztlich aber doch) vorschnell plakatierte "Rückverweisung" der Jugendhilfe "in das Souterrain der Justiz" (50), vielmehr ist die Gesetzesnovellierung eine weitere Bestätigung ihrer eigenständigen Fachlichkeit gegenüber der Jugendstrafjustiz. Ob "Anhörung" oder "Einvernehmen", das Jugendamt muß nach seinem gesetzlich-pädagogischen Auftrag (zuvor) entscheiden, ob die entsprechende Hilfe für den in Betracht kommenden Jugendlichen erzieherisch sinnvoll ist und angeboten werden kann. Teilt das Jugendamt im Rahmen seiner Anhörung mit, dass dies nicht der Fall ist, so bleibt eine richterliche Anordnung nach § 12 JGG genauso inhaltsleer wie eine Anordnung im Hinblick auf die anderen Hilfen zur Erziehung nach dem SGB VIII. Die Jugendgerichtsbarkeit muß akzeptieren (lernen), dass es Aufgabe der sozialen Arbeit ist, die Probleme zusammen mit dem jungen Menschen zu erkennen und zu bearbeiten. "Betreuungsweisungen, soziale Trainingskurse, soziale Gruppenarbeit und betreute Arbeitsweisungen sind ihre Sache. Sie hat die Aufgabe, Krisen zu managen, Hilfestellungen zu leisten, Lebenslagen zu verbessern, zu beraten und Wege aufzuzeigen.... Damit muß sich die Justiz abfinden, es wird sich nichts zum Schlechteren wenden" (51). Beide, Justiz und Jugendverwaltung, sind an Recht und Gesetz gebunden; beide müssen jeweils ihre Aufgaben erledigen, ihre Kompetenzen und deren Grenzen beachten, beide müssen (wollen), im Interesse eines angemessenen und rechtsstaatlich geforderten Umgangs mit jungen Menschen kooperieren.

5. Zusammenfassende Thesen

Die als Neue ambulante Maßnahmen bekanntgewordenen Angebote an sozialer Gruppenarbeit, Betreuungshilfe, betreuten Arbeitsprojekten und dem Täter-Opfer-Ausgleich stehen als jugendstrafrechtliche Maßnahmen nur auf dem Papier. Ungeachtet der Möglichkeit, sie durch eine justitielle Entscheidung dem Jugendlichen aufzuerlegen, stehen für deren unmittelbare Vollstreckung keine Einrichtungen zur Verfügung. Die NAM werden ausschließlich von Trägern der Jugendhilfe durchgeführt.

Die NAM werden als Leistungen der Jugendhilfe von öffentlichen und freien Trägern erbracht. Die öffentlichen Träger sind aufgrund des sozialrechtlichen Gesetzesvorbehalts (§ 31 SGB-I) zur Durchführung der NAM nur berechtigt und verpflichtet, wenn sich dies aus dem SGB VIII ergibt. Es besteht keine Möglichkeit der Strafjustiz, die Jugendhilfe zur Durchführung der NAM anzuweisen.

Die Regelungen des SGB VIII beziehen sich sowohl auf inhaltlich-materielle wie auch auf verfahrensrechtliche Kriterien. Im Hinblick auf die Zielgruppe der NAM setzt eine Leistung der Jugendhilfe - unabhängig davon, ob die NAM als Form der Jugendsozialarbeit nach § 13 SGB VIII oder als Erziehungshilfe nach § 27 ff SGB VIII erbracht werden - einen erheblichen Hilfe- und Betreuungsbedarf der jungen Menschen voraus. Aus jugendhilferechtlicher Sicht bleiben deshalb hier alle Personen außer Betracht, die nicht über den ubiquitären Bereich der bagatell- oder jugendtypischen, episodenhaften Kriminalität auffällig werden. Davon unberührt bleibt die Entscheidung der Strafjustiz, gegenüber dem Jugendlichen oder Heranwachsenden jugendstrafrechtliche Sanktionen anzuordnen. Liegen aber die Leistungsvoraussetzungen des SGB VIII nicht vor, gehen die eine "Vollstreckung" durch die Jugendhilfe voraussetzenden Entscheidungen der Strafjustiz ins Leere.

Nach § 52 Abs. 2 SGB VIII hat deshalb die Jugend(gerichts)hilfe frühzeitig zu klären, ob Leistungen der Jugendhilfe aus Anlaß eines Strafverfahrens für den jungen Menschen in Betracht kommen. Ist dies der Fall oder ist eine geeignete Leistung bereits eingeleitet worden, so hat das Jugendamt die Staatsanwaltschaft oder das Gericht umgehend davon zu unterrichten. Die gesetzlichen Konstruktion gewährleistet die fachlich-adäquate Kooperation der Beteiligten im Jugendkriminalverfahren unter Wahrung der jeweiligen Fachlichkeit und rechtlichen Entscheidungskompetenzen.

Freie Träger können im Rahmen der NAM autonom tätig werden. Dies wird ungeachtet der vorausgehenden fachlichen Entscheidung wirtschaftlich davon abhängen, ob sie hierfür die nötigen finanziellen Ressourcen haben oder von der Justiz hierfür bezahlt werden. Eine Refinanzierung durch Mittel der öffentlichen Jugendhilfe ist nur zulässig, wenn die Leistungsvoraussetzungen des SGB VIII erfüllt sind.

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7. Fußnoten

  1. Zur Problematik des doppeldeutigen und im SGB-VIII im Hinblick auf sozialpädagogische Leistungen nicht länger verwendeten Maßnahmebegriffs, vgl. Trenczek 1996, 11.
  2. Peterich 1994, 58; vgl. auch das kritische Resümee von Plewig 1993, 267 ff.
  3. Heinz 1996, 117; vgl. hierzu auch die Übersicht von Dünkel u.a. 1999, 34 ff.
  4. Heinz 1990, 38 ff m.w.N. zu den hierzu durchgeführten Untersuchungen; siehe auch Drewniak 1996, 12 ff.
  5. Wiesner 1995a, 175; vgl. Drewniak 1996, 13 f.
  6. vgl. hierzu Drewniak 1996 und 1999.
  7. Vgl. Bettmer 1991, 36.
  8. Was heute gemeinhin als KJHG bezeichnet wird, ist eigentlich lediglich ein Teil desselben und zwar der Art. 1 des Ersten Teiles des Gesetzes zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts, in dem die 10 Kapitel des "SGB-VIII Kinder- und Jugendhilfe" geregelt sind. Die korrekte Zitierweise für die einzelnen Bestimmungen der Kinder- und Jugendhilfe ist daher entweder Art. 1 §... KJHG oder §... SGB VIII.
  9. Hierzu vgl. zusammenfassend Trenczek 1996, 39 ff.
  10. BT-Drs. 11/5829, S. 11 ff.
  11. BT-Drs. 11/5948 S. 117.
  12. Vgl. Bettmer 1991.
  13. Vgl. BT-Drs. 11/5948, 67; Münder u.a. 1998 § 27 Rn. 4; vgl. Palandt-Diederichsen § 1666 Rn. 1 u. 15.
  14. BT-Drs. 11/5948, 68.
  15. Vgl. demgegenüber die Voraussetzungen des Eingriffs in das elterliche Sorgerecht; Palandt-Diederichsen Einf. v. § 1626 Rn. 57 u. § 1666 Rn. 4.
  16. Münder u.a. 1998 § 27 Rn. 6f.
  17. Vgl. BT-Drs. 11/5948, 68; Krug/Grüner/Dalichau § 27 S. 20; Münder u.a. 1998 § 27 Rn. 6.
  18. Vgl. zu diesem Paradox den 8. Jugendbericht, BT-Drs. 11/6576, S. 132 zu 6.2
  19. Vgl. z.B. BVerwG FEVS 32, 353 ff.; 37, 133; FamRZ 1983, 1110.
  20. Vgl. BT-Drs. 11/5948, 67f; Krug/Grüner/Dalichau § 27 S. 20; Jans/Happe/Saurbier @§ 1 Rn. 75 u. 113, § 27 Rn. 11; Münder u.a. 1998 vor § 27 Rn. 1.
  21. Knopp/Fichtner/Wienand § 72 Rn. 3.
  22. Knopp/Fichtner/Wienand § 72 Rn. 14; Wiesner § 41 Rn. 42ff.
  23. Vgl. BT-Drs. 11/6576, S. 132 ff.
  24. Zu den Kriterien und Inhalten einzelner Hilfeformen vgl. BAG 1992, 402 ff.; Trenczek 1996, 84 ff.
  25. Vgl. Hauck u.a.-Stähr § 29 Rn. 8; Mrozynski,1992, 448.
  26. Müller/Otto 1986.
  27. Hierzu ausführlich BAG-JGH 1994; Klier/Brehmer/Zinke 1995; Münder 1991, 329ff.; Müller/ Trenczek (in Vorbereitung); Thiem-Schräder, 1989; Trenczek 1991a; 1991b; 1993.
  28. Vgl. die deutliche Regierungsbegründung zum Entwurf des KJHG, BT-Drs. 11/5948, S.89: "Die Tätigkeit der Jugendgerichtshilfe ist bisher nur durch den Verweis auf die Bestimmungen des Jugendgerichtsgesetzes geregelt (§4 Abs.4 JWG). Diese systematische Zuordnung zum Jugendgerichtsgesetz hat den Eindruck verstärkt, die Jugendgerichtshilfe sei - wie etwa die Bewährungshilfe - an Weisungen der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts gebunden. Ihre Einbindung in das Jugendamt und in die kommunale Selbstverwaltung ist dabei nicht immer ausreichend zur Kenntnis genommen worden. Der Durchgriff auf die Institution "Jugendgerichtshilfe", [...], hat überdies die Vorstellung gestärkt, diese Institution habe eigenständige, von den sonstigen Abteilungen des Jugendamtes losgelöste Befugnisse. Durch die Neuregelung soll die Einbindung dieser Aufgaben in den Verantwortungsbereich des Jugendamtes stärker betont werden."
  29. Mrozynski 1992, (453) Auf welche juristische Begründung Lakies (1991, 206) seine gegenteilige Auffassung stützt, ist nicht ersichtlich. Nach den allgemeinen Regeln der juristischen Methodik käme ein Vorrang allein für den umgekehrten Fall in Betracht, verdrängt doch grundsätzlich das neuere Gesetz (hier: SGB VIII) im Fall des Widerspruchs das ältere (hier: JGG).
  30. Zwar kommen als Gesetz im Sinn des § 31 SGB-I nicht nur Regelungen des SGB, sondern auch andere (formelle) Gesetze in Betracht. Im Unterschied zu anderen sozialrechtlichen Leistungsansprüchen, wie z.B. der Kranken- und Rentenversicherung, bei denen z.B. ein strafrechtlich bedingter Leistungsausschluß vorgesehen ist (vgl. z.B. § 16 Abs. 1 Ziff. 4 SGB-V, § 12 Abs. 1 Ziff. 5 SGB-VI), bleiben die jugendhilferechtlichen Leistungsansprüche von der strafrechtlichen Entscheidung unberührt. Vgl. Mrozynski 1992, (453).
  31. Hierzu Schlink 1991, 51 ff.
  32. BT-Drs. 11/5948, S.89, s.o. Fn. .
  33. Vgl. z.B. die Befürchtungen bei Dirnaichner 1990, 268f; Ostendorf 1997 § 45 Rn. 15; Diemer/Schoreit/Sonnen 1995 § 45 Rn. 3.
  34. Laubenthal 1995, 13.
  35. Dies wurde auch von den JustizministerInnen auf ihrer Konferenz am 22./23. 11. 1994 (TOP 8) im wesentlichen bestätigt: "Diese [die Jugendhilfe] ist in Angebot und Ausführung der Maßnahmen nicht von der Justiz abhängig; d.h. der Jugendrichter kann durch die Anordnung einer ambulanten Maßnahme - abgesehen von der Betreuungsweisung gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 JGG - nur den Jugendlichen verpflichten, nicht aber den Träger der Jugendhilfe zur Durchführung der Maßnahme." Zur Problematik des § 38 Abs. 2 S. 5 u. 7 JGG siehe Trenczek 1996, 113f.
  36. An die Antragstellung sind keine großen formellen Hürden zu stellen, denn das Verwaltungsverfahren ist einfach und zweckmäßig durchzuführen und grundsätzlich nicht an bestimmte Formen gebunden (§ 9 SGB-X). Es reicht durchaus, dass die Personensorgeberechtigten auch mündlich ihren Willen zum Ausdruck bringen, Erziehungshilfen zu begehren. Ungeachtet der niedrigschwelligen Anforderungen an Form und Inhalt des Antrags wird in der Praxis der Jugendämter im Hinblick auf die Leistungsgewährung und (Re-) Finanzierung der Erziehungshilfen häufig ein formaler (schriftlicher) Antrag vorgeschrieben. Daran ist nur richtig, dass Hilfen zur Erziehung, den Betroffenen nicht ohne deren Einwilligung geleistet und damit "übergestülpt" werden dürfen. Weder materiell- noch verfahrensrechtlich ergibt sich aus den §§ 27 und 36 SGB VIII ein Antragserfordernis, nach dem die Jugendhilfe gemäß § 18 Ziff. 2 SGB-X nur auf einen formalen/schriftlichen Antrag hin tätig werden dürfte. Auch insoweit ist der allgemeine Grundsatz zu berücksichtigen, nach dem Ansprüche auf Sozialleistungen mit Vorliegen der Leistungsvoraussetzungen entstehen und mit ihrem Entstehen fällig werden (§§ 40, 41 SGB-I). Entscheidend ist somit also die Feststellung des "erzieherischen Bedarfs" i.S.d. § 27 SGB VIII und der geeigneten und erforderlichen Hilfeleistung durch eine sozialpädagogische Diagnose im Rahmen der individuellen Hilfeplanung (§ 36 Abs. 2 SGB VIII). Aufgrund des besonderen Präventionsauftrages wird die Jugendhilfe deshalb bei einem diagnostizierten Hilfebedarf zunächst auch ohne formellen Antrag initiativ werden dürfen. Dies gilt insbesondere für den Fall, wenn sich bei einem lebensraumnahen und an den Bedürfnissen der Betroffenen orientierten Angebot Minderjährige selbst an das Jugendamt wenden (§ 8 Abs. 2 SGB VIII) und Leistungen in Anspruch nehmen wollen, ohne dass ein formeller Antrag der Eltern vorliegt. Solange die Personensorgeberechtigten nicht ausdrücklich oder erkennbar widersprechen, wird die Hilfe im Interesse des Jugendlichen - ein entsprechender "erzieherischer Bedarf" nach § 27 SGB VIII vorausgesetzt! - anlaufen können, ja müssen.
  37. Bublies 1995, 363; Wiesner u.a. vor § 27 Rn. 51.
  38. Vgl. Jans/Happe/Saurbier Vorbem. §§ 27-35 Rn. 32; Mrozynski 1992, 445 (446). Die gegenteilige Ansicht von Bizer (1992, 619) findet keine Stütze im Gesetz und perpetuiert lediglich die überkommene Vorstellung von einer Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit der Jugendhilfe.
  39. Vgl. BT-Drs. 11/5948, S. 67; insoweit sind Vormundschaftsgericht und Jugendstrafgericht gleichgestellt.
  40. Vgl. BT-Drs. 11/5948, S.89; Schlink 1991. Die Vorstellung von der "In-Dienst-Stellung" der Jugendhilfe kann zwar juristisch nicht überzeugen, sie macht aber in erschreckender Weise deutlich, wie stark sich Teile der strafrechtlichen Praxis noch am überkommenen Modell der (Jugend)Gerichtshilfe orientieren.
  41. Krug/Grüner/Dalischau § 27, S. 23 f.; Wiesner vor § 11 Rn. 109.
  42. Vgl. Hauck u.a.-Stähr § 30 Rn. 9; Jans/ Happe/ Saurbier Vorbem. §§ 27-35 Rn. 16 u. § 27 Rn. 38c.
  43. Vgl. Lakies 1991, 211.
  44. BT-Drs. 11/5948, S. 66 f.; Krug/ Grüner/ Dalischau 1995 § 27, S. 22; Miehe 1997, 262. Anders gegen den klaren Willen des Gesetzgebers OLG Frankfurt ZfJ 1993, 561 und Jugendwohl 1994, 94.
  45. So auch Bublies (1995, 363) ausdrücklich für alle Weisungen und auch nach Änderung des Wortlauts von § 12 JGG; vgl. bereits Mrozynski 1992, 448; Trenczek 1991a, 362; vgl. auch Laubenthal 1995, 14.
  46. Stellungnahme des Bundesrates BT-Drs. 11/5948, S. 146f.; Eisenberg § 12 Rn. 5; Diemer/ Schoreit/ Sonnen 1992, § 12 Rn. 7.
  47. Vgl. BGHZ 73 (1978), 131.
  48. Zurecht weist Mrozynski (1992, 446) darauf hin, dass die richterliche Unabhängigkeit nicht dadurch tangiert wird, wenn eine mit der Ausführung des Sozialgesetzes betraute staatliche Behörde klärt, ob die Leistungsvoraussetzungen vorliegen. Die Situation ist hier nicht anders als bei den Weisungen des Erwachsenenstrafrechts, die auf die Inanspruchnahme therapeutischer oder anderer Sozialleistungen gerichtet sind (vgl. z.B. § 56c Abs. 3 StGB, §§ 35, 36 BtMG).
  49. vgl. BVerwG FEVS 39, 1 = NDV 1990, 58 ff; Münder u.a. 1998 vorKap.2 Rn. 7 ff.; § 27 Rn. 9; Wiesner u.a. § 27 Rn. 61.
  50. Kiehl 1993, 231. Anders dagegen BT-Drs. 11/5948 S. 117; vgl. Maas 1994, 70; Possin 1995, 66 ff.
  51. Viehmann 1989,351.

8. Autor

Thomas Trenczek, Prof. Dr. iur., Studium der Rechtswissenschaften und der Erziehungswissenschaften/Sozialpädagogik in Tübingen und Minneapolis/USA.; 1. u. 2. jurist. Staatsexamen; M.A. sozwiss.; Praxiserfahrungen im Kreis- und Landesjugendamt; wiss. Mitarbeiter an kriminologischen Forschungsinstituten (Univ. Tübingen; KFN Hannover); Mediationsausbildung in USA und Australien, akkreditierter Mediator; 1989 - 1991 Geschäftsführer der Deutschen Jugendgerichtsvereinigung (DVJJ); seit 1996 Hochschullehrer an der FH Jena (Jugend- und Strafrecht, Sozialverwaltungsrecht; Kriminologie; Mediation); Verfasser zahlreicher Beiträge insbesondere zum Jugendhilfe- und Jugendstrafrecht; Mitkommentator des Frankfurter Kommentars zum SGB VIII (4. Auflage).

9. Adresse

Prof. Dr. jur. Thomas Trenczek, M.A.
Steinberg Mediationsinstitut Hannover (SIMK)
Steinbergstr. 4
30559 Hannover
Homepage: http://www.steinberg-mediation-hannover.de

10. Quelle

Gekürzte Fassung aus: Trenczek, Thomas: Rechtliche Grundlagen der Neuen Ambulanten Maßnahmen und sozialpädagogischen Hilfeangebote für junge Straffällige. In: BAG NAM (Hrsg.): Neue Ambulante Maßnahmen. Grundlagen - Hintergründe - Praxis. Mönchengladbach: Forum Verlag Godesberg, 2000, S. 17-119. Eingestellt am 31.10.2002