Jugendhilfe für junge Ausländer

Peter-Christian Kunkel

 

Während § 1 Abs. 1 SGB VIII sich "kosmopolitisch" allen jungen Menschen öffnet und damit die Jugendhilfe wie ein Menschenrecht formuliert, verengt § 6 Abs. 2 SGB VIII diese Sichtweise und beschränkt die Gewährung von Leistungen an Ausländer aus finanz- und ordnungspolitischen Gründen.1 Werden diese Leistungen von Ausländern2 in Anspruch genommen, ermöglicht § 55 AufenthG ihre Ausweisung. Auf den ersten Blick erscheint dies wie ein Widerspruch zwischen zwei Gesetzen (Antinomie), ja sogar wie ein Hinterhalt, in den Ausländer gelockt werden. Der Widerspruch entpuppt sich aber bei näherer Betrachtung als ein nur scheinbarer, weil europäisches und internationales Recht das "Schisma" überwindet.

Zusätzlichen Zündstoff liefert das Datenschutzrecht. Die üppige Ausstattung mit Datenschutzregelungen im SGB VIII erscheint merkwürdig abgemagert, wenn § 87 AufenthG die Jugendämter kategorisch verpflichtet, personenbezogene Daten den Ausländerbehörden zu übermitteln. Auch dieser "Paragrafenbrei" wird aber nicht so heiß gegessen, wie er gekocht worden ist.

1 Ausländer als Leistungsberechtigte

1.1 Gewähren und Beanspruchen

Während § 6 Abs. 1 und 3 SGB VIII das "Gewähren" von Leistungen regeln, bestimmt Abs. 2, dass Ausländer Leistungen "nur beanspruchen können, wenn...". Diese Abweichung im Wortlaut führt zu Missverständnissen. Beabsichtigt ist mit der Wortwahl eine Einschränkung gegenüber der Regelung in Abs. 1. "Beanspruchen" bedeutet hier soviel wie "rechtens in Anspruch nehmen", "verlangen".3 Das Wort "können" bedeutet nicht etwa, dass Leistungen an Ausländer im Ermessen der Behörde stünden, denn es heißt nicht "Ausländern können Leistungen nur gewährt werden, wenn...". Genauso wenig bedeutet die Formulierung, dass Ausländer einen Rechtsanspruch i.S. eines subjektiven öffentlichen Rechtes auf alle Leistungen hätten. Damit hätten sie eine bessere Rechtsposition als Deutsche. Ein Anspruch auf Leistungen besteht nämlich nur dann, wenn die Leistungsnorm ein subjektives öffentliches Recht enthält; dies ist aber nicht bei allen Leistungen der Fall [z.B. nicht bei Jugendarbeit (§§ 12,13 SGB VIII) oder Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII)]. Ein Rechtsanspruch kann auch bei Ermessensleistungen bestehen, allerdings nur auf den fehlerfreien Gebrauch des Ermessens (§ 39 SGB I). Liegen bei einem Ausländer die leistungsbeschränkenden Voraussetzungen (kein gewöhnlicher oder kein rechtmäßiger Aufenthalt oder keine Duldung) vor, kann er die Leistung dennoch als Ermessensleistung4 erhalten; auf die Ausübung fehlerfreien Ermessens hat er einen Rechtsanspruch. Ein Leistungsausschluss, wie er für Leistungen nach dem SGB XII (§ 23 Abs. 3) oder nach SGB II (§ 7 Abs. 1) gilt, besteht für die Jugendhilfeleistung nicht. Die dort genannten Ausschlussgründe sind bereits mit den einschränkenden Voraussetzungen des § 6 Abs. 2 SGB VIII erfasst.

Die Formulierung "Ausländer können ... beanspruchen" lässt offen, ob es auf die Ausländereigenschaft des Kindes oder die der Eltern5 ankommt. Nach dem Wortlaut liegt es näher, auf die Ausländereigenschaft des Anspruchsberechtigten, bei Hilfe zur Erziehung also auf die der Eltern abzustellen. Schon wegen des zweifelhaften Begriffs des "Beanspruchen", aber auch wegen der untragbaren Ergebnisse einer Auslegung nach dem Wortlaut, verbietet sich diese. Stattdessen ist eine teleologische Auslegung geboten. Das deutsche Kind ausländischer Eltern wäre im Vergleich zu anderen deutschen Kindern ohne sachlichen Grund benachteiligt. Stellt man umgekehrt auf die Ausländereigenschaft des Kindes ab, würden seine deutschen Eltern die Leistung nicht erhalten, die gerade in diesem Fall oftmals besonders notwendig wäre. Dem Zweck des Abs. 2 entspricht es vielmehr, seine Einschränkung nur dann anzuwenden, wenn Eltern und Kind Ausländer sind.6 Ist also Leistungsempfänger (Kind) oder Leistungsberechtiger (Eltern) Deutscher, gilt Abs. 1.

Zu einem anderen Ergebnis kommt man, wenn eine Leistung an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge gewährt werden soll. Leistungen, für die Kinder oder Jugendliche anspruchsberechtigt sind (z.B. Tagesbetreuung oder Eingliederungshilfe) sind nach Abs. 1 zu gewähren, wenn Kind oder Eltern Deutsche sind. Für alle Leistungen nach dem SGB VIII gilt, dass Leistungsadressat immer das Kind ist. Daher müssen diese Leistungen auch beim Kind ankommen. Dies folgt auch aus dem Rechtsgedanken des § 6 Abs. 1 S. 3 SGB VIII. Bei Leistungen an unbegleitete minderjährige Flüchtlinge entspricht es dem Normzweck, nur auf die Ausländereigenschaft des Kindes oder Jugendlichen abzustellen, auch wenn es/er einen deutschen Vormund hat. Das Minderjährigenschutzabkommen, das nach Abs. 4 vorrangig gilt, verleiht diesen Minderjährigen aber ohnehin dieselbe Rechtsposition wie deutschen.

1.2 Die Unterscheidung nach Leistung und anderer Aufgabe

  • 6 SGB VIII folgt der Unterteilung der Jugendhilfe in Leistungen und andere Aufgaben (§ 2 Abs. 1 SGB VIII). Leistungen sind nur die in § 2 Abs. 2 SGB VIII genannten Hilfen. Andere Aufgaben sind die in § 2 Abs. 3 SGB VIII aufgezählten und zwar auch dann, wenn sie Leistungscharakter haben, wie z.B. die Beratung nach § 2 Abs. 3 Nr. 9 SGB VIII, aber auch die Inobhutnahme nach Nr. 1. Sie werden dann nach § 6 Abs. 1 S. 2 SGB VIII auch für Ausländer erfüllt, ohne die für eine Leistung geltenden Beschränkungen nach Abs. 2. Dies regelt § 6 Abs. 2 S. 2 SGB VIII ausdrücklich.7

Die Erfüllung des Schutzauftrages in § 8a SGB VIII ist keine Aufgabe i.S.d. § 2 SGB VIII. § 8a SGB VIII ist lediglich eine Verfahrensvorschrift, die regelt, wie bei einer Kindeswohlgefährdung Leistungen und andere Aufgaben miteinander verknüpft werden müssen, also insb. Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII und Familiengerichtshilfe nach § 50 SGB VIII mit der Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII. Für ausländische Kinder und Jugendliche gilt dabei nichts anderes als für deutsche. Allerdings können evtl. Dolmetscher notwendig sein, um den Eltern die Hilfen zu erläutern und sie zu beraten; dann sind die Kosten als Hilfekosten zu übernehmen.

1.3 Die "Leistungssperre" für Ausländer

Will der Ausländer eine Leistung in Anspruch nehmen, muss er zwei Hürden überwinden:

  • Er benötigt einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland und
  • der gewöhnliche Aufenthalt muss entweder rechtmäßig sein oder aufgrund ausländerrechtlicher Duldung bestehen.

(1) Gewöhnlicher Aufenthalt

Der Begriff des "gewöhnlichen Aufenthalts" (gA) wird in § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I definiert und gilt damit auch für das SGB VIII, soweit sich aus diesem keine Besonderheiten ergeben (§ 37 S. 1 SGB I). Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand also dort, wo er sich u.U. aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend weilt. Der Begriff hat damit ein objektives und ein subjektives Moment.

  1. a) Objektives Moment

Der Mittelpunkt der Lebensbeziehung setzt keinen ständigen Aufenthalt voraus, sondern bestimmt sich nach dem Schwerpunkt der sozialen, insb. familiären Bindungen. Er lässt sich als Ort kennzeichnen, an dem man nicht nur vorübergehend wohnt und schläft. Er ist keine feste, absolute Größe, sondern kann je nach Lebensführung und -einstellung auch in Abständen wechseln. Er darf allerdings nicht von vornherein nur befristeter, z.B. besuchsweiser, Natur sein. Er stellt auf ein Verweilen von gewisser Dauer ab.

  1. b) Subjektives Moment

Subjektiv muss der tatsächliche Wille zum nicht nur vorübergehenden Verweilen zu dem objektiven Element hinzukommen. Auch an ihn dürfen keine überhöhten Anorderungen gestellt werden. Insbesondere bedarf es für die Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts keiner Willenserklärung; auf einen rechtsgeschäftlichen Willen des Inhabers kommt es nicht an. Gewöhnlicher Aufenthalt eines Kindes oder Jugendlichen ist i.d.R. der Ort, an dem es/er seine Erziehung erhält. Damit wird ggf. auch in Pflegestellen und Heimen, in denen sich Minderjährige zur Erziehung aufhalten, ein gA begründet. Grundsätzlich bestimmt für Kinder und Jugendliche der Personensorgeberechtigte den gA; dazu ist er nach § 1631 Abs. 1 BGB berechtigt. In der Regel legen die Eltern oder ein allein personensorgeberechtigter Elternteil den gA des Kindes an ihrem eigenen gewöhnlichen Aufenthaltsort fest. Lässt ein personensorgeberechtigter Elternteil den nicht nur vorübergehenden Aufenthalt des Kindes bei dem geschiedenen Ehepartner zu oder besteht er nicht beharrlich auf Rückkehr des Kindes zu ihm, kann der gA auch beim nichtsorgeberechtigten Elternteil angenommen werden. Auch Vormünder und Pfleger von Kindern und Jugendlichen können aufenthaltsbestimmungsberechtigt sein.

  1. c) Gewöhnlicher Aufenthalt bei Asylbewerbern

Trotz ihres unsicheren rechtlichen Status können auch Asylbewerber einen gewöhnlichen Aufenthalt begründen. Dies folgt schon aus § 86 Abs. 7 SGB VIII, der andernfalls ins Leere ginge. Auch § 10 Abs. 3 AsylbLG regelt ausdrücklich, dass Asylbewerber in Deutschland einen gA begründen können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ihr Aufenthalt zukunftsoffen ist, d.h. solange ein Ende des Aufenthalts in Deutschland für die Zeit der Jugendhilfeleistung nicht abzusehen ist. Steht aber von vornherein fest, dass eine Duldung längstens für 6 Monate erteilt wird (§ 60a Abs. 1 AufenthG), oder wird eine Aufenthaltserlaubnis nur für einen zeitlich befristeten Zweck nicht länger als 6 Monate oder wird nur ein Visum für diesen Zeitraum erteilt, kann ein gA nicht begründet werden. Um den gA zu begründen, muss nicht schon eine Aufenthaltsdauer von mehr als 6 Monaten vorliegen; es genügt vielmehr die Prognose, dass der Aufenthalt länger als 6 Monate dauern wird. Der Ausländer muss sich aber bereits tatsächlich in Deutschland aufhalten, die bloße Absicht eines Aufenthalts oder Vorbereitungshandlungen genügen nicht. Der tatsächliche Aufenthalt in Deutschland muss auf jeden Fall vorliegen, der gA muss hinzukommen. Das folgt aus § 6 Abs. 1 SGB VIII, wonach selbst für Deutsche der tatsächliche Aufenthalt Anspruchsvoraussetzung ist.

(2) Rechtmäßiger Aufenthalt

Rechtmäßig hält sich ein Ausländer in Deutschland dann auf, wenn er einen Titel nach dem Aufenthaltsgesetz hat oder freizügigkeitsberechtigter Unionsbürger ist oder als Asylbewerber eine Aufenthaltsgestattung hat.

  1. a) Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz (§ 4)

Der Titel wird erteilt8 als Visum (§ 6), Aufenthaltserlaubnis (§ 7), Niederlassungserlaubnis (§ 9) oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG (§ 9a).

  1. b) EU-Aufenthaltsrechte nach dem EU-Freizügigkeitsgesetz

Unionsbürger haben ein Aufenthaltsrecht unmittelbar nach dem einheitlichen EG-Recht. Die Regelungen im Freizügigkeitsgesetz/EU sind lediglich deklaratorischer Natur. Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind die in § 2 Abs. 2 FreizügG/EU aufgeführten Personengruppen. Sie bedürfen keiner Aufenthaltserlaubnis nach dem AufenthG. Sie erhalten lediglich eine Bescheinigung über ihr Aufenthaltsrecht-EG (§ 5 Abs. 1 FreizügG/EU), das nach 5 Jahren Aufenthalt zu einem Daueraufenthaltsrecht (§ 4a FreizügG/EU) wird. Ihre Familienangehörigen, die als Nichtunionsbürger freizügigkeitsberechtigt sind, erhalten eine Aufenthaltskarte (§ 5 Abs. 2 und 6 FreizügG/EU). Nicht erwerbstätige Unionsbürger, deren Aufenthalt länger als 3 Monate dauert, sind nur dann freizügigkeitsberechtigt, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen (§ 2 Abs. 2 Nr. 5 FreizügG/EU i.V.m. § 4 FreizügG/EU). Dies gilt auch für Familienangehörige und Lebenspartner.

Unionsbürger, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, können nach der Richtlinie 204/38/EG vom 29.4.2004 von der Freizügigkeit ausgeschlossen werden. Mit Gesetz vom 20.7.2007 wurde diese Richtlinie mit Wirkung zum 1.11.2007 in nationales Recht umgesetzt. Danach sind Unionsbürger lediglich von Leistungen nach dem SGB II (§ 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2) und SGB XII (§ 23 Abs. 3 S. 1) ausgeschlossen, nicht aber von Jugendhilfeleistungen. Erweitert wird der Anwendungsbereich des FreizügG/EU durch § 12, wonach die Regelungen dieses Gesetzes auch für Staatsangehörige der EWR und ihre Familienangehörigen gelten. Dies sind Island, Liechtenstein und Norwegen. Eingeschränkt gelten die Regelungen des FreizügG/EU nach § 13 für Angehörige der Staaten, die mit Vertrag vom 16.4.2003 der EU beigetreten sind. Ihre Freizügigkeit ist davon abhängig, ob ihre Beschäftigung in Deutschland durch die Bundesagentur für Arbeit gem. § 284 Abs. 1 SGB III genehmigt wurde. Ist dies nicht der Fall, werden sie wie Drittstaatsangehörige nach dem AufenthG behandelt, bedürfen also zur Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts eines Aufenthaltstitels.

  1. c) Aufenthaltsgestattung gemäß Asylverfahrensgesetz

Rechtmäßig ist ein Aufenthalt auch ohne Aufenthaltstitel, wenn ein Aufenthaltsrecht verliehen wird. Dies geschieht durch die Aufenthaltsgestattung zur Durchführung des Asylverfahrens (§ 55 Abs. 1 AsylVfG). Über die Aufenthaltsgestattung wird eine Bescheinigung ausgestellt (§ 63 AsylVfG). Minderjährige ab 16 Jahren können selbst einen Asylantrag stellen (§ 12 AsylVfG). Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unter 16 Jahren kann ihr Vormund oder Pfleger einen Asylantrag stellen. Da für sie aber das Minderjährigenschutzabkommen (MSA) gilt, das Vorrang vor § 6 SGB VIII hat, erhalten sie alle Hilfen unabhängig von der Rechtmäßigkeit ihres Aufenthalts, also auch ohne Gestattung.

(3) Ausländerrechtliche Duldung

Neben den Formen des legalen Aufenthalts ist auch der nicht rechtmäßige Aufenthalt als legitimer Aufenthalt für die Gewährung von Leistungen an Ausländer akzeptiert. Duldung bedeutet, dass wegen des nicht rechtmäßigen Aufenthalts zwar eine Ausreisepflicht besteht, diese aber nicht zwangsweise durch unmittelbaren Zwang (die Abschiebung) vollstreckt wird. Die Abschiebung wird vorübergehend ausgesetzt (§ 60a AufenthG). Die Duldung lässt die Ausreisepflicht des Ausländers unberührt (§ 60a Abs. 3). Der Ausländer erhält eine Bescheinigung über die Duldung (§ 60a Abs. 4). Neben der Duldung als vorübergehender Aussetzung der Abschiebung gibt es ein Abschiebungsverbot nach § 60 AufenthG. In den dort geregelten Fällen wird aber eine Aufenthaltserlaubnis nach den §§ 24, 25 AufenthG erteilt, so dass in diesen Fällen ein rechtmäßiger Aufenthalt vorliegt.

1.4 Überwindung der Leistungssperre durch über- und zwischenstaatliches Recht

Gem. § 6 Abs. 4 SGB VIII haben über- und zwischenstaatliches Recht Vorrang vor der Regelung sowohl des § 6 Abs. 2 als auch der des § 6 Abs. 1 SGB VIII. Im Verhältnis von über- und zwischenstaatlichem Recht hat das überstaatliche Recht Vorrang. Innerhalb des zwischenstaatlichen Rechts gehen bilaterale Regelungen multilateralen Abkommen vor. Im Verhältnis der multilateralen Abkommen zueinander können sich in diesen Abkommen Vorrangregelungen finden.

(1) Überstaatliches Recht

Überstaatliches Recht ist das EU-Recht, das sich aus Primärrecht (EG-Vertrag) und dem von den Gemeinschaftsorganen gesetzten Recht (Sekundärrecht: Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen) zusammensetzt. In der Jugendhilfe ist vor allem die Verordnung Nr. 1612/68 vom 15.10.1968 von Bedeutung. Art. 7 Abs. 2 der Verordnung gewährt den EU-Ausländern die gleichen sozialen Vergünstigungen wie den Inländern. Zu den sozialen Vergünstigungen gehört auch die Jugendhilfe. Soweit Unionsbürger und ihre Familienangehörigen freizügigkeitsberechtigt sind, ist ihnen daher Jugendhilfe (Leistungen und andere Aufgaben) ohne die Leistungssperre nach § 6 Abs. 2 SGB VIII zu gewähren.

Für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge regelt Art. 17 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG vom 27.1.2003 (ABl. L 31/18) deren besonderen Schutz.

Die Brüssel IIa Verordnung vom 27.11.2003 gilt für alle Minderjährigen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedsstaat haben. Die Verordnung bezieht sich nach Art.2 u.a. auf das Sorge- und Umgangsrecht, Vormundschaft und Pflegschaft sowie die Unterbringung eines Kindes in einer Pflegefamilie oder in einem Heim. Zu dieser Unterbringung regelt Art. 56 Näheres. Die VO kann auch auf Drittstaatsangehörige Anwendung finden, wenn eine hinreichend enge Verbindung zu einem Mitgliedsstaat besteht.9

(2) Zwischenstaatliches Recht

  1. a) Bilaterale Abkommen

Die Deutsch-Schweizerische Fürsorgevereinbarung ist zum 31.3.2006 gekündigt worden. Es gilt nun das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der EG vom 21.6.1999, das seit 1.6.2002 in Kraft ist.

Das Deutsch-Österreichische Fürsorgeabkommen vom 28.12.1968 regelt, dass jungen Menschen im Vertragsstaat die gleichen Rechte gewährt werden wie im Heimatstaat.

b) Multilaterale Abkommen

  • aa) Europäisches Fürsorgeabkommen (EFA)
    Das EFA vom 11.12.1953 enthält die Verpflichtung, den bedürftigen Staatsangehörigen aller Vertragschließenden, die sich im Unterzeichnerland "erlaubt aufhalten", in gleichem Umfange wie eigenen Staatsangehörigen "Fürsorge", damit auch Jugendhilfe, zu gewähren; das schließt auch die Hilfe für junge Volljährige ein. Erlaubt hält sich eine Person in Deutschland dann auf, wenn sie sich rechtmäßig hier aufhält; dies schließt die Aufenthaltsgestattung ein. Nach Art. 18 EFA gehen andere internationale Abkommen vor, wenn sie für den Beteiligten, hier den jungen Menschen, günstiger sind.
  • bb) Haager Minderjährigenschutzabkommen (MSA)
    Dem MSA hat die Bundesrepublik durch Gesetz vom 30.4.1971 zugestimmt. Das MSA hat anders als die oben dargestellten Abkommen speziell den "Schutz von Minderjährigen" zum Gegenstand; als Minderjähriger ist i.S.v. Art. 12 MSA anzusehen, wer nach den innerstaatlichen Rechten sowohl des Staates, dem er angehört, als auch des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts minderjährig ist. Das ist vom Sinn der Vorschrift her eine Status-, keine bloße Altersfrage. Wer nach dem Recht seines Heimatstaates den Status der Volljährigkeit vorzeitig erlangt, ist daher nicht als minderjährig zu behandeln und damit durch das MSA nicht geschützt. Bestehen Zweifel an der Minderjährigkeit, kann die Hilfegewährung davon abhängig gemacht werden, dass der Hilfesuchende sich einer wissenschaftlichen Untersuchung zur Altersbestimmung10 unterzieht (§ 62 SGB I). Dies könnte auch durch einen Handwurzeltest in Form der Röntgendiagnostik erfolgen, ist aber nicht üblich.
    Die Erfüllung des Schutzauftrages nach § 8a SGB VIII auch für ausländische Minderjährige ergibt sich schon aus dem MSA selbst. Die erforderlichen Hilfen können auch vom Träger der freien Jugendhilfe erbracht werden. Dem MSA verpflichtet sind zwar Gerichte oder Verwaltungsbehörden, dies ist aber auch im SGB VIII so geregelt (§ 3 Abs. 2 S. 2 SGB VIII). Die Behörde - als Organ des öffentlichen Trägers - ist lediglich letztverantwortlich; sie muss aber die Leistung nicht selbst erbringen. Unbeschadet von Differenzierungen und Komplikationen geht das MSA damit einerseits - in seinem zwischenstaatlichen Geltungsbereich - weiter als das EFA, indem es Kinder und Jugendliche aus allen Ländern einbezieht, bleibt aber andererseits - im altersgemäßen Geltungsbereich - hinter diesem zurück, weil es für junge Volljährige nicht anwendbar ist.

c) UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes

Die UN-Kinderkonvention ist in der Bundesrepublik am 5. April 1992 in Kraft getreten. Die Bundesregierung hat einen Vorbehalt erklärt: "Die Bundesrepublik Deutschland erklärt zugleich, dass das Übereinkommen innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung findet. Es begründet völkerrechtliche Staatenverpflichtungen, die die Bundesrepublik Deutschland nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts erfüllt." Der Vorbehalt bewirkt also, dass die Konvention jeder Anwendung unmittelbar durch die deutschen Gerichte und Verwaltungsbehörden schlechthin entzogen ist.11

Die Rangfolge der Rechtsgrundlagen für Leistungen an ausländische junge Menschen ergibt sich aus der folgenden Übersicht:

Rangfolge der Rechtsgrundlagen

Unionsbürger (bzw. Türken und Schweizer)

Drittstaatsangehörige

EU-Recht

Bilaterale Abkommen

MSA

EFA

§ 6 Abs. 2 SGB VIII

a) VO Nr. 1612/68

Freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen (bzw. Türken nach Assoziationsabkommen und Schweizer)

b) Brüssel IIa VO

- Minderjährige

- gA im Mitgliedstaat

Österreich und Schweiz

Minderjährige

tatsächlicher und (zusätzlich) gA

in Notfällen nur tatsächlicher Aufenthalt

für Angehörige aller Staaten

junge Menschen

erlaubter (= rechtmäßiger) Aufenthalt

nur für Angehörige der Mitgliedstaaten oder der Europäischen Sozialcharta

gA und

rechtmäßiger oder geduldeter Aufenthalt


1.5 Hilfen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

Der Anwendungsbereich des § 6 Abs. 2 SGB VIII für Leistungen an junge Ausländer schrumpft durch den Vorrang über- und zwischenstaatlichen Rechts auf Null. Für Minderjährige aus allen Ländern gilt das Minderjährigenschutzabkommen (MSA), für junge Volljährige aus den Vertragsstaaten zudem das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA). Die in diesen Abkommen vorgesehenen Hilfen haben den Vorrang auch vor der Erfüllung anderer Aufgaben nach § 6 Abs. 1 SGB VIII. Das Minderjährigenschutzabkommen (MSA) verpflichtet zu allen Hilfen für Minderjährige aus allen Staaten, wenn sie in Deutschland einen gewöhnlichen Aufenthalt (zukunftsoffener Verbleib) haben (Art. 1). Es genügt aber auch schon der tatsächliche Aufenthalt, wenn Notmaßnahmen erforderlich sind (Art. 9). Auf die Hilfen hat der Minderjährige selbst einen Anspruch. Hilfen sind auch nach dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) zu gewähren, wenn der Minderjährige aus einem Mitgliedsstaat kommt und sich hier erlaubt, also rechtmäßig und nicht nur geduldet aufhält. Die UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet in Art. 22 zur Betreuung und angemessenen Unterbringung.

Nach Einreise hat das Jugendamt den Minderjährigen - unabhängig von seinem Alter - in Obhut zu nehmen (§ 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII). Die Unterbringung muss in einer für den Jugendlichen geeigneten Einrichtung erfolgen; dies kann auch die Aufnahmeeinrichtung sein, wenn die Unterbringung dort altersgerecht erfolgt. Ist sie aber dem Wohl des Kindes abträglich, muss das Jugendamt den Minderjährigen dort herausnehmen.

Das Jugendamt ermittelt die Identität und die Herkunft sowie die Lebenssituation des Minderjährigen und klärt die weitere Versorgung und Betreuung im "Clearingverfahren". Es veranlasst unverzüglich, d.h. innerhalb weniger Tage die Bestellung eines Vormunds oder Pflegers (§ 42 Abs. 3 Satz 4 SGB VIII); möglich ist auch die Bestellung eines Ergänzungspflegers für ausländerrechtliche Fragen. Der Vormund/ Pfleger (möglicherweise das Jugendamt als Amtsvormund/ Amtspfleger) beantragt Asyl, wenn der Minderjährige unter 16 Jahren ist. Ist er 16 Jahre alt, ist er selbst handlungsfähig (§ 12 AsylVfG) und muss den Asylantrag bei der Außenstelle des Bundesamtes (in jeder Zentralen Aufnahmeeinrichtung) stellen. Er muss dann längstens 3 Monate in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen (§ 47 Abs. 1 AsylVfG). Die Aufnahmeeinrichtung unterliegt nicht der Heimaufsicht der Jugendhilfe (§ 44 Abs. 3 AsylVfG). Ist der Minderjährige dagegen noch nicht 16 Jahre, muss der Vormund/ Pfleger den Asylantrag beim Bundesamt selbst stellen (§ 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AsylVfG). Die Unterbringung erfolgt dann i.d.R. in einer Gemeinschaftsunterkunft (§ 53 Abs. 1 AsylVfG); diese ist von der Heimaufsicht nicht ausgenommen. Auch der Schutz aus Art. 56 Brüssel IIa-VO ist zu berücksichtigen, ebenso der Schutz aus Art. 22 UN-Kinderrechtskonvention. Außerdem regelt Art. 17 Abs. 1 Aufnahmerichtlinie 2003/9/EG für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge deren besonderen Schutz.12

Unabhängig vom Alter des Minderjährigen hat das Jugendamt Hilfe zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) zu gewähren, wenn der Vormund/ Pfleger dies in einem Hilfeplanungsverfahren (§ 36 Abs. 1 SGB VIII) beantragt. Die Inobhutnahme endet erst, wenn eine Entscheidung über diesen Antrag gefallen ist (§ 42 Abs. 4 Nr. 2 SGB VIII). Der Bedarf an Inobhutnahme endet nicht allein deshalb, weil ein Vormund bestellt wurde. Umgekehrt kann nicht schon auf Grund der typischerweise schwierigen äußeren Situation des Jugendlichen zwingend ein erzieherischer Bedarf für eine Hilfe zur Erziehung angenommen werden. Die örtliche Zuständigkeit des Jugendamts richtet sich für die Inobhutnahme nach § 87 SGB VIII, für die Amtsvormundschaft/ Amtspflegschaft nach § 87c Abs. 3 SGB VIII, für die Hilfe zur Erziehung nach § 86 Abs. 7 SGB VIII.

2 Ausweisung

Nahezu zeitgleich wurden das KJHG und das Ausländergesetz vom 9.7.1990 verabschiedet. Während nach dem Jugendhilferecht Ausländer in den Genuss von Leistungen kommen sollten, waren nach dem Ausländerrecht diese Leistungen "ungenießbar", weil Ausweisung die Folge sein konnte. Schon nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 AuslG vom 28.4.1965 war die im Heim durchgeführte Fürsorgeerziehung ausdrücklich Ausweisungsgrund; das war eine ausschließlich durch Gerichte - Vormundschaftsgericht nach § 64 JWG oder Jugendgericht nach §§ 9, 12 JGG a.F. - angeordnete "Erziehungsmaßnahme".

Diese Vorschrift wurde, der Forderung der Träger der Erziehungshilfe entsprechend, durch Art. 9 Abs. 5 KJHG gestrichen; dies sollte i.S. der Jugendhilfepraxis eine ersatzlose Streichung sein. Obwohl der Bundesrat sich hinter diese Forderung gestellt hatte (s. Mat. zu Art. 9 Abs. 5), kam es im neuen Ausländergesetz umgekehrt zu der im Grundtatbestand noch weitergehenden Ausweisungsvorschrift des § 46 Nr. 7 AuslG, die auf Hilfe zur Erziehung außerhalb der eigenen Familie und Hilfe für junge Volljährige abstelle. Diese Ausweisungsvorschrift wurde im Aufenthaltsgesetz vom 30.7.2004 mit § 55 Abs. 2 Nr. 7 übernommen, ist aber dadurch eingeschränkt worden, dass der Ausweisungsgrund nicht für mit den Eltern zusammenlebende Kinder gilt. Damit wurde Bedenken des Bundesrats entsprochen, die Integration von Ausländern nicht durch aufenthaltsbezogene Maßnahmen zu vereiteln (vgl. BT-Drucks. 11/6995/1989).

2.1 Ausweisungsgrund

  1. a) Hilfe zur Erziehung

Nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG ist die Hilfe zur Erziehung ein Ausweisungsgrund, allerdings nur dann, wenn sie außerhalb der eigenen Familie geleistet wird. Nach dem Wortlaut des SGB VIII ist Hilfe außerhalb der eigenen Familie lediglich die Vollzeitpflege (§ 33) und die Heimerziehung (§ 34); auch die intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 35) wird überwiegend außerhalb der eigenen Familie (stationär) geleistet. Dass § 37 in der Überschrift "Hilfen außerhalb der eigenen Familie" auch die Hilfen nach § 32 erwähnt, ist demgegenüber ohne Bedeutung, da § 37 keine Legaldefinition enthält; die Hilfe nach § 32 (Erziehung in einer Tagesgruppe) ist unzweifelhaft gerade eine Hilfe innerhalb der eigenen Familie. Alle anderen Arten der Hilfe zur Erziehung nach § 27 sind jedenfalls kein Ausweisungsgrund - erst recht nicht die Inanspruchnahme anderer Leistungen nach dem SGB VIII. Bei Auslegung des Gesetzes aus seiner Entstehungsgeschichte bleibt von den genannten drei Arten der Hilfe zur Erziehung außerhalb der eigenen Familie nur noch die Heimerziehung als Ausweisungsgrund übrig, da sich aus der Begründung zu § 46 AuslG (jetzt § 55 AufenthG) ergibt, dass "keine Erweiterung der bisherigen Ausweisungsmöglichkeiten" vorgesehen war (BT-Drucks. 11/63221 S. 73). Vielmehr sollte der Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG den bisher geltenden nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 AuslG (1965) ersetzen. Danach war aber lediglich die Fürsorgeerziehung im Heim Ausweisungsgrund.13

Somit ist lediglich die Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34 Ausweisungsgrund. Auch die vom Jugendrichter gegenüber dem Jugendlichen angeordnete Hilfe zur Erziehung (§ 12 Nr. 1 JGG) kann nur in der Steuerungsverantwortung des Jugendhilfeträgers erfolgen (§ 36a Abs. 1) und ist dann deshalb ebenfalls Ausweisungsgrund.14

Auch die Heimerziehung als - danach einziger - Ausweisungsgrund für einen Minderjährigen scheidet aber aus, wenn er sich mit seinen Eltern rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 55 Abs. 2 Nr. 7 Hs. 2 AufenthG). Dies ist der Fall, wenn sie einen Aufenthaltstitel nach dem Aufenthaltsgesetz oder eine Aufenthaltsgestattung nach dem Asylverfahrensgesetz haben. Die Duldung dagegen gewährt keinen rechtmäßigen Aufenthalt. Auch die Heimerziehung fällt als Ausweisungsgrund aus, wenn sie nicht mit "wirtschaftlicher Jugendhilfe" (§§ 39, 40) verbunden ist, weil die Eltern in vollem Umfang zur Kostentragung herangezogen werden. Dies folgt aus dem Zweck der Ausweisung, übermäßige Belastungen der öffentlichen Kassen zu vermeiden. Zumindest ist bei der Ermessensausübung dieser Gesichtspunkt von Bedeutung.

Wer Adressat der Ausweisung ist, ist unklar. § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG stellt darauf ab, wer die Hilfe "erhält". Leistungsberechtiger der Hilfe zur Erziehung ist der Personensorgeberechtigte, Leistungsempfänger aber der Minderjährige. Dass der Ausweisungsgrund in der Person des Minderjährigen vorliegen muss, er also ausgewiesen wird, ergibt sich aus dem 2. Hs. der Nr. 7, wo auf den Minderjährigen abgestellt wird; ferner daraus, dass ein unbegleiteter Minderjähriger trotz Vorliegens eines Ausweisungsgrundes sonst nicht ausgewiesen werden könnte. Auf ein Verschulden des Minderjährigen kommt es nicht an; es ist aber im Rahmen der Ermessensausübung der Ausländerbehörde zu berücksichtigen. Ein Eingriff in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG liegt wegen des 2. Hs. der Nr. 7 nicht vor, denn wenn die Eltern illegal hier leben, ist ihnen die Ausreise mit dem Kind zumutbar.15

  1. b) Hilfe für junge Volljährige

Die Hilfe für junge Volljährige umfasst nur die in § 41 Abs. 1 und 2 genannte Hilfe. Die Nachbetreuung nach § 41 Abs. 3 ist kein Ausweisungsgrund. Im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige können nur gewährt werden: Maßnahmen der Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Volljährige, Erziehungsberatung, soziale Gruppenarbeit, Unterstützung durch Erziehungsbeistand oder Betreuungshelfer, Hilfe in Familienpflege, Heimerziehung, intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung (§ 41 Abs. 2). Erhalten junge Volljährige andere Leistungen der Jugendhilfe, beispielsweise Angebote der Jugendsozialarbeit oder der Jugendarbeit, ist dies kein Ausweisungsgrund. Aber auch für die in § 41 Abs. 2 aufgeführten Hilfearten ist eine Einschränkung geboten. Da die Hilfe für junge Volljährige inhaltlich lediglich eine "Hilfe zur Erziehung für Spätentwickler" ist, ist auch hier nur die Heimerziehung (§ 34) Ausweisungsgrund. Da die einzelnen Ausweisungsgründe in § 55 Abs. 2 AufenthG lediglich Beispielsfälle für den generellen Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 1 AufenthG sind, müssen sie in dessen Rahmen ausgelegt werden. Ausweisungsgründe können deshalb nur vorliegen, wenn "sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland" beeinträchtigt werden. Die Vorstellung z.B., dass die Erziehungsberatung für einen jungen Ausländer diese Interessen erheblich beeinträchtigt, ist absurd; dies gilt ähnlich für die anderen genannten Hilfearten.16

  1. c) Eingliederungshilfe

Die Eingliederungshilfe (§ 35a) ist als Ausweisungsgrund in § 55 Abs. 2 AufenthG nicht ausdrücklich aufgeführt; da es sich aber lediglich um eine beispielhafte Aufzählung ("insbesondere") handelt, kann auch die Eingliederungshilfe Ausweisungsgrund sein. Zwar sind bei der Eingliederungshilfe nicht die personensorgeberechtigten Eltern, sondern die behinderten Kinder und Jugendlichen selbst sowohl Inhaber des Rechtsanspruchs auf Hilfe als auch Leistungsempfänger, haben also rechtlich eine doppelte Rechtsstellung - wie auch die jungen Volljährigen. Da es jedoch die Eltern sind, die - wie bei der HzE, wenn auch hier nur in Vertretung des Kindes - den Anspruch mit rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen geltend machen, ist es gerechtfertigt, diese Hilfe in der Ausweisungsproblematik der Hilfe zur Erziehung gleich zu stellen. Dies war 1990 im Zeitpunkt des Erlasses sowohl des neuen Kinder- und Jugendhilfe- als auch des Ausländergesetzes nach § 27 Abs. 4 in der ursprünglichen Fassung des KJHG so auch bestimmt; doch hat man bei der Änderung im 1. ÄndG 1993 die Regelung des § 46 Nr. 7 AuslG nicht im Blickfeld gehabt und daher nicht "beigeschrieben". An den für die Gleichbehandlung maßgebenden Erwägungen hat sich jedoch nichts geändert. Für die Gleichbehandlung spricht ferner, dass die Eingliederungshilfe nach § 35a Abs. 2 SGB VIII ggf. mit Hilfe zur Erziehung zu verbinden ist. Es wäre auch sinnwidrig, wenn die Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII anders behandelt werden würde als die nach § 35a SGB VIII; erstere ist nämlich ein Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 6 AufenthG.

Wenn Hilfe zur Erziehung und Eingliederungshilfe also gleich behandelt werden, muss dies auch hinsichtlich der Einschränkungen gelten. Daher ist die Eingliederungshilfe nur dann ein Ausweisungsgrund, wenn sie außerhalb der eigenen Familie - nach der hier vertretenen Auffassung: nur im Heim - geleistet wird.

  1. d) Kein Ausweisungsgrund

Kein Ausweisungsgrund liegt vor, wenn die Hilfe zur Erziehung oder die Hilfe für junge Volljährige von Trägern der freien Jugendhilfe geleistet wird, ohne dass der öffentliche Träger die Kosten der Hilfe übernimmt. Damit entfällt der Ausweisungsgrund nach dem Zweck des Gesetzes, die öffentlichen Kassen durch Leistungen an junge Ausländer nicht zu belasten (ebenso die Anwendungsempfehlungen des BMI Nr. 55.2.7.3).

2.2 Rechtsfolge: Ermessen

Trotz Vorliegen eines Ausweisungsgrundes besteht Ermessen bei der Ausweisungsentscheidung. Das Ermessen muss fehlerfrei ausgeübt werden, d.h. vom Ermessen muss ausdrücklich Gebrauch gemacht werden, es muss entsprechend dem Zweck der Ermessensnorm ausgeübt werden und es darf keine gesetzlichen Grenzen überschreiten. Solch eine Grenze ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dies bedeutet, dass die Ausweisungsentscheidung geeignet, erforderlich und angemessen sein muss. Bei der Angemessenheit sind die Interessen des jungen Menschen zu berücksichtigen. Nur wenn erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland schwerer wiegen als die persönlichen Interessen des jungen Menschen, ist die Ausweisung rechtmäßig.

Die Ausweisung wäre ermessensfehlgebräuchlich, wenn durch den Bezug von Jugendhilfe die öffentlichen Kassen nicht belastet wären, weil die Kosten durch einen Kostenbeitrag weitgehend abgedeckt sind oder weil Jugendhilfe aktuell nicht mehr in Anspruch genommen wird (so auch die Anwendungsempfehlungen des BMI Nr. 5.1.2.2.). In diesem Fall könnte man aber auch schon das Vorliegen eines Ausweisungsgrundes verneinen, weil dann der in § 55 Abs. 2 AufenthG nur exemplarisch aufgeführte Ausweisungsgrund nicht den "Rahmen-Ausweisungsgrund" des Abs. 1 ausfüllt.

2.3 Ausweisungsschutz

  1. a) Aufenthaltsgesetz

Bei privilegierten Gruppen von Ausländern genügt für eine Ausweisung nicht, dass erhebliche Interessen der Bundesrepublik gefährdet sind (so § 55 Abs. 1 AufenthG), vielmehr müssen "schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung" vorliegen (§ 56 Abs. 1 Satz 2 AufenthG). Solche sind in Satz 3 näher aufgeführt und betreffen vor allem schwere Straftaten. Dieser besondere Ausweisungsschutz besteht dann, wenn der Ausländer

  • eine Niederlassungserlaubnis besitzt und sich mindestens 5 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat,
  • eine Daueraufenthaltserlaubnis-EG hat,
  • eine Aufenthaltserlaubnis hat und im Bundesgebiet geboren oder als Minderjähriger eingereist ist und sich mindestens 5 Jahre rechtmäßig hier aufgehalten hat,
  • eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, sich mindestens 5 Jahre rechtmäßig hier aufgehalten und mit einem Ausländer, der die o.g. Voraussetzungen erfüllt, verheiratet ist,
  • mit einem deutschen Familienangehörigen zusammenlebt,
  • als Asylberechtigter anerkannt ist oder bei ihm das Asylverfahren noch nicht unanfechtbar abgeschlossen ist.

56 Abs. 2 Satz 2 AufenthG gibt besonderen Ausweisungsschutz, wenn sich die Eltern eines Minderjährigen rechtmäßig in Deutschland aufhalten. Diese Regelung ist für Minderjährige, die Hilfe zur Erziehung erhalten haben, ohne Bedeutung, da dann schon der Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 entfällt.

Zusammengefasst ergibt sich, dass ein junger Mensch nur ausgewiesen werden kann, wenn er Hilfe zur Erziehung, Hilfe für junge Volljährige oder Eingliederungshilfe wegen einer seelischen Behinderung außerhalb der eigenen Familie - nach der hier vertretenen Auffassung: im Heim - erhalten hat und sich (bei Minderjährigen) seine Eltern hier nicht rechtmäßig aufhalten. Eine Ausweisung droht also nur jungen Volljährigen bei Heimerziehung oder Minderjährigen, deren Eltern im Heimatland geblieben oder dorthin zurückgekehrt oder verstorben sind. Auch in diesen Fällen ist die Ausweisung durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und den Ausweisungsschutz nach über- und zwischenstaatlichem Recht beschränkt.

  1. b) Über- und zwischenstaatliches Recht

Bei EU-Ausländern (Unionsbürgern) ist eine Ausweisung wegen des Bezugs von Jugendhilfe ausgeschlossen (§ 6 Abs. 1 FreizügG/EU); zudem bestimmt § 6 Abs. 6 FreizügG/EU, dass wirtschaftliche Zwecke, also beispielsweise die Entlastung öffentlicher Kassen, eine Ausweisung nicht rechtfertigen. Dieser Ausweisungsschutz kann aber nur für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger gelten. Bei nicht erwerbstätigen Unionsbürgern ist dies nur der Fall, wenn sie über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügen. Ist ein junger Mensch im Heim untergebracht, ohne dass er oder seine Eltern die Heimkosten durch einen Kostenbeitrag weitgehend selbst finanzieren, ist ein Ausweisungsgrund nach § 6 FreizügG/EU nicht anzunehmen. Ein Ausländer aus einem EFA-Vertragsstaat darf nach dem Bezug von Jugendhilfe nicht "zurückgeschafft" werden (Art. 6 Abs. a EFA). Das Minderjährigenschutzabkommen (MSA) enthält dagegen keine Schutzbestimmungen gegen eine Ausweisung. Nach dem deutsch-österreichischen Fürsorgeabkommen kann ein österreichischer Staatsangehöriger nicht wegen des Bezugs von Jugendhilfe "rückgeschafft" werden, außer wenn er kürzer als 1 Jahr in Deutschland gelebt hat (Art. 8 Abs. 1).

3 Aufenthaltstitel

Gem. § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG darf die Erteilung eines Titels versagt werden, wenn der Lebensunterhalt nicht gesichert ist. Dies ist bei Leistung von Jugendhilfe dann der Fall, wenn auch "wirtschaftliche Jugendhilfe" (Unterhalt) geleistet wird, also eine Hilfe nach §§ 13 Abs. 3, 19, 21, 27, 35a, 41 jeweils i.V.m. §§ 39, 40. Gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG kann die Erteilung eines Titels ferner nur bei einem Ausweisungsgrund versagt werden. Da ein Ausweisungsgrund nur in den dort genannten Fällen vorliegt, kann auch die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis oder die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (§ 8 AufenthG) nur ganz selten verweigert werden. Wenn ein Ausweisungsgrund besteht, aber Ausweisungsschutz vorliegt, erstreckt sich dessen Wirkung nicht auf die Erteilung oder Verlängerung bestehender Aufenthaltsrechte (so Anwendungsempfehlungen BMI Nr. 5.0.4).

Dagegen ist es für die Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels von Belang, ob der Ausweisungsgrund noch aktuell ist. Wenn bspw. zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Erteilung oder Verlängerung des Aufenthaltstitels keine Jugendhilfe mehr bezogen wird, liegt keine erhebliche Beeinträchtigung der Interessen der Bundesrepublik mehr vor, da die öffentlichen Kassen nicht mehr belastet werden (ebenso die Anwendungsempfehlungen BMI Nr. 5.1.2.2.). Die Erteilungs- und Verlängerungsvoraussetzungen des Aufenthaltsgesetzes sind nicht anwendbar, wenn eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG vorliegt, weil diese zur Durchführung des Asylverfahrens erteilt wird.

4 Datenschutz

Zusätzliche Problematik ergibt sich in Bezug auf die Weitergabe von Sozialdaten nach §§ 61-68 SGB VIII als personenbezogene Daten i.S.v. §§ 86-88 AufenthG an die Ausländerbehörden. Hier sind schon durch das AuslG zur gleichen Zeit, in welcher der Sozialdatenschutz nach § 35 SGB I, §§ 67 ff. SGB X durch §§ 61-68 SGB VIII noch verstärkt worden ist, zusätzliche Übermittlungspflichten eingeführt worden. Da die beiden Gesetze in ihrer letzten Gesetzgebungsphase zeitgleich parallel zustande gekommen sind, hat es leider an angemessener Abstimmung gefehlt und ist umso mehr sorgfältige Auslegung erforderlich: Wo die Bestimmungen - anscheinend, teilweise auch nur scheinbar - kollidieren, müssen insb. tragende Grundsätze des KJHG gewahrt werden.

4.1 Datenerhebung durch Ausländerbehörden

Den Ausländerbehörden ist nach § 86 AufenthG gestattet, personenbezogene Daten zu erheben, sowie dies zur Erfüllung der ihnen vom Gesetz gestellten Aufgaben erforderlich ist. Wenn der Weg der Datenerhebung beim Betroffenen nicht weiterführt, dürfen die Daten auch ohne Mitwirkung des Betroffenen bei öffentlichen und nichtöffentlichen Stellen erhoben werden.

Für das Asylverfahren gelten mit § 7 AsylVfG entspr. Regeln.

4.2 Mitteilungspflichten

  1. a) Rechtliche Grundlagen

Die Frage der Verpflichtung der Jugendhilfeträger zur Mitteilung an die Ausländerbehörden ist nach dem AufenthG, jedoch unter Beachtung der Grundsätze und Regeln des KJHG sowie des Geheimnis- und Datenschutzrechtes nach §§ 35 SGB I und 67-85 SGB X zu beantworten. Nach § 87 Abs. 1 AufenthG müssen personenbezogene Daten mitgeteilt werden, wenn die Ausländerbehörde ein entsprechendes Ersuchen an das Jugendamt richtet. Auch ohne Ersuchen muss das Jugendamt Daten gem. § 87 Abs. 2 mitteilen, wenn es Kenntnis von einem Ausweisungsgrund hat (euphemistisch "Spontanmitteilung"). Die zusätzlich gem. § 99 Abs. 1 Nr. 14d AufenthG dem Jugendamt aufzuerlegende Mitteilungspflicht wird erst durch eine Rechtsverordnung des BMI konstituiert. Die AufenthaltsVO vom 25.11.2004 (BGBl. I S. 806), zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.5.2008 (BGBl. I S. 1970), "verschont" aber das Jugendamt.

Die Kollision zwischen Mitteilungspflichten einerseits und der Geheimhaltungspflicht nach § 35 SGB I andererseits wird durch § 35 Abs. 3 SGB I aufgelöst, der bestimmt, dass keine Auskunfts-, also auch keine Mitteilungspflicht besteht, soweit eine Übermittlung nicht zulässig ist. Ob eine Übermittlung zulässig ist, richtet sich nach § 71 Abs. 2 SGB X. Liegt danach eine Übermittlungsbefugnis vor, wird sie durch § 87 AufenthG zu einer Übermittlungspflicht. Gleichzeitig schränkt das Aufenthaltsgesetz selbst die Mitteilungspflicht ein, indem § 88 AufenthG sie durch besondere gesetzliche Verwendungsregelungen begrenzt; die Vorschriften des Sozialdatenschutzes sind solche.

  1. b) Öffentliche Stellen

Die Übermittlungspflicht betrifft nur "öffentliche Stellen". Dies sind Stellen, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen (§ 1 Abs. 2 VwVfG, für die Sozialverwaltung § 1 Abs. 2 SGB X). Dies sind die Jugendämter, aber auch Einrichtungen der Jugendhilfe in kommunaler Trägerschaft (z.B. Kindergärten).17

Die Streitfrage ist deswegen nur von theoretischer Bedeutung: Wenn die Leitung einer Einrichtung des öffentlichen örtlichen Trägers eine Übermittlungspflicht annimmt, so ist ihr Adressat das Jugendamt. Dieses hat über die weitere Übermittlung an die Ausländerbehörde zu entscheiden.

Träger und Einrichtungen der freien Jugendhilfe wie Jugendverbände, Wohlfahrtsverbände und Kirchen sind keine öffentlichen Stellen (insoweit a.A. Huber NDV 1991 S. 189). Eine Ausnahme kann nur für solche Träger der freien Jugendhilfe angenommen werden, die öffentlich-rechtlichen Status haben, wie bspw. der Bayerische Landesjugendring.

  1. c) Übermittlungsbefugnisse und -pflichten
  2. aa) § 71 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X

Die Übermittlung von Daten ist begrenzt auf die in den Buchstaben a und b benannten Zwecke und Datensätze. Für die Jugendhilfe von Bedeutung ist lediglich Buchstabe a, wonach es der Ausländerbehörde Leistungen nach den §§ 11-41 SGB VIII für eine aufenthaltsrechtliche Entscheidung (Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, Ausweisung) mitzuteilen hätte. Aus dem mit dem 2. SGB-ÄndG 1994 erfolgten Wegfall des Wortes "auch" in § 71 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1b SGB X ergibt sich aber für die Jugendhilfe eine bedeutsame Änderung, die weder in den Materialien zur Neuregelung noch in der Kommentarliteratur erwähnt wird: Aus dem Wegfall folgt nämlich, dass das Jugendamt im Rahmen eines Ersuchens nach § 87 Abs. 1 AufenthG nur noch die in § 71 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1b SGB X geforderte Sozialprognose abzugeben hat, dagegen nicht mehr Daten nach Buchstabe a-c zu liefern, also nicht die Gewährung von Jugendhilfeleistungen mitzuteilen hat. Auch diese Sozialprognose hat ein Jugendamt aber nur dann mitzuteilen, wenn ein Ausweisungsgrund vorliegt. Da ein Ausweisungsgrund nach der hier vertretenen Auffassung nur die Heimerziehung ist und selbst dann noch die Ausweisung zahlreichen Einschränkungen unterliegt, bleibt für eine Mitteilungspflicht nach § 87 Abs. 1 AufenthG nicht mehr viel übrig.

  1. bb) § 71 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB X

Auch ohne Ersuchen der Ausländerbehörde besteht eine Übermittlungspflicht, wenn

  • ein Ausweisungsgrund vorliegt. Im Zusammenhang mit § 6 Abs. 2 ist hier nur der Ausweisungsgrund nach § 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG von Bedeutung. Dieser liegt nur vor, wenn Hilfe zur Erziehung oder Hilfe für junge Volljährige oder Eingliederungshilfe für seelisch behinderte junge Menschen außerhalb der eigenen Familie (nach der hier vertretenen Auffassung dabei auch nur im Heim) geleistet wird und sich die Eltern des Minderjährigen nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Ein Ausweisungsgrund ist die Heimerziehung zudem nur dann, wenn kein besonderer Ausweisungsschutz nach § 56 AufenthG besteht (anders aber - für § 48 AuslG a.F. - die Anwendungsempfehlungen des BMI vom 25.2.1991). Dies folgt aus der unverändert gebliebenen Formulierung in § 71 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1d SGB X: "ein Ausweisungsgrund nach den §§ 53-56". Die Heimerziehung ist ferner dann kein Ausweisungsgrund, wenn § 55 AufenthG nicht angewendet werden kann. Für Unionsbürger ist der Verlust des Aufenthaltsrechtes nur nach § 6 FreizügG/EU möglich. Darunter fällt die Jugendhilfeleistung aber nicht. Das Europäische Fürsorgeabkommen verbietet zwar die Ausweisung, lässt aber das Vorliegen des Ausweisungsgrundes unberührt.
    Keine Einschränkung der Übermittlungsbefugnis ergibt sich aus § 64 Abs. 2 SGB VIII, da er sich nur auf Übermittlungen nach § 69 SGB X bezieht, also nicht auf solche nach § 71 SGB X. Dagegen folgt aus § 65 SGB VIII eine solche, soweit dem Mitarbeiter eines öffentlichen oder freien Trägers Daten anvertraut worden sind, wenn er erzieherische Hilfe leistet oder berät. Die Weitergabe solcher Daten ist nur zulässig, wenn eine Weitergabebefugnis nach einer der Nummern des § 65 SGB VIII vorliegt. Dies ist bei Mitteilungen an die Ausländerbehörde nicht der Fall, so dass die anvertrauten Daten dieser nicht übermittelt werden dürfen. Allein die Mitteilung, dass Hilfe zur Erziehung im Heim geleistet wurde, ist nicht Mitteilung eines anvertrauten Datums, ist also zulässig.
  • Tatsachen für ein behördliches Anfechtungsrecht der Vaterschaft vorliegen. Hat ein Vater die Vaterschaft nach § 1592 Nr.2 BGB anerkannt, kann die nach Landesrecht zuständige Behörde (das RP z.B. in B.-W.) die Vaterschaftsanerkennung anfechten (§ 1600 Abs.1 Nr.5 BGB), wenn zwischen dem Kind und dem (vorgeblichen) Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht (§ 1600 Abs. 3 BGB).
  1. d) Prüfungskompetenz des Jugendamtes

Weil das Jugendamt gem. § 67d Abs. 2 Satz 1 SGB X für die Zulässigkeit der Übermittlung verantwortlich ist, muss es prüfen, ob die Übermittlungsvoraussetzungen nach § 71 Abs. 2 SGB X vorliegen. Dazu gehört die Prüfung einer Mitteilungspflicht nach § 87 AufenthG, also die Prüfung, ob ein Ausweisungsgrund vorliegt (einschl. der Prüfung des § 56 AufenthG; a.A. Mrozynski, SGB VIII § 64 Rn. 11); ferner, ob die Mitteilung für die aufenthaltsrechtliche Maßnahme erforderlich ist. Sie ist nicht erforderlich, wenn keine Ausweisung erfolgen kann. Dagegen kann das Jugendamt nicht die Ermessensausübung des Ausländeramtes bezüglich einer Ausweisung antizipieren (das Jugendamt ist nicht ein "Ersatz-Ausländeramt").

  1. e) Übermittlungskompetenz im Jugendamt

Da die Mitteilungspflicht nach § 87 Abs. 1 AufenthG ein Unterfall der Amtshilfepflicht ist, ist in derselben Hierarchieebene wie bei § 68 Abs. 2 SGB X zu entscheiden, ob Daten an die Ausländerbehörde übermittelt werden. Dies obliegt dann sowohl für die Übermittlung nach § 71 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB X als auch nach Nr. 2 dem Sozialdezernenten.

  1. f) Folgen einer unzulässigen Übermittlung

Daten, die dem Ausländeramt unzulässig übermittelt worden sind, dürfen von ihm nicht verwendet werden (§ 78 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Eine auf solche Daten gestützte Entscheidung der Ausländerbehörde ist als rechtswidrig zurückzunehmen. Außerdem liegt eine Ordnungswidrigkeit sowohl des Jugendamts als auch des Ausländeramts vor, die nach § 85 SGB X mit Bußgeld geahndet wird. Hat eine in § 203 Abs. 1 StGB aufgeführte Person (z.B. Sozialarbeiter, Sozialpädagoge, Psychologe oder Berater in einer Beratungsstelle) ein personenbezogenes Datum weitergegeben, macht diese Person sich zudem strafbar.

Endnoten

  1. Vgl. die RegBegr zu § 5, BT-Drucks. 11/5948/1989.
  2. Aus sozialpädagogischem Feingefühl wird der Begriff "Ausländer" teilweise geächtet, bürokratische Sprachpädagogik ersetzt ihn durch "Personen mit Migrationshintergrund". Hier wird der Begriff aber beibehalten, weil er so in Art. 116 GG und in § 2 Abs. 1 AufenthG verwendet wird.
  3. So Jans/Happe/Saurbier/Maas, Kinder- und Jugendhilferecht, § 6 Rn. 8.
  4. Ebenso Oberloskamp in Wiesner, SGB VIII, § 6 Rn. 15; Fasselt in Kunkel, LPK-SGB VIII, § 6a Rn. 9; Bieritz-Harder in Hauck/Noftz, SGB VIII, § 6 Rn. 11; Schellhorn, SGB VIII, § 6 Rn. 18; Münder u.a., SGB VIII, § 6 Rn. 30.
  5. So Mrozynski, SGB VIII, § 6 Rn. 8.
  6. Krug in Krug/Riehle, SGB VIII, § 6 Erl. III stellt auf das Kind ab, ebenso DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2005, 297-298.
  7. Unverständlich insoweit Oberloskamp in Wiesner, SGB VIII, Rn. 14 unter Berufung auf ein DIJuF-Rechtsgutachten, JAmt 2002 S. 122: "Im Hinblick auf die systematische Stellung im Gesetz ist die Beratung nach § 52 als andere Aufgabe anzusehen". Gemeint ist wohl die Beratung nach § 52a SGB VIII; diese ist aber nicht als andere Aufgabe anzusehen, sondern ist eine andere Aufgabe.
  8. Zu den Voraussetzungen im Einzelnen vgl. Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht. 2008.
  9. So die Erwägung 8 Brüssel IIa-VO. Der KVJS Baden-Württemberg erläutert mit Rundschreiben vom 13.9.2007 diesen Artikel und hat auch ein Verfahrensschema bei der Unterbringung eines Kindes - sowohl eines deutschen in einem Heim eines Mitgliedsstaates als auch eines ausländischen in einem deutschen Heim - mit Stand vom 17.7.2008 entwickelt.
  10. Zur Altersbestimmung s. OVG Berlin-Brandenburg v. 14.10.09 Az. 6 S 33.09.
  11. So Stöcker, ZAR 1992 S. 80-84; ebenso OVG Hamburg, NVwZ-RR 2000 S. 116; a.A. Lorz, Der Vorrang des Kindeswohls nach Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention in der deutschen Rechtsordnung, 2003. Im Koalitionsvertrag (2009) verpflichten sich die Koalitionspartner dazu, den Vorbehalt zurückzunehmen. Vgl. ferner den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen vom 25.11.2009 BT-Drucks. 17/61 und des Landes Rh.-Pf. vom 16.11.2009 BR-Drucks. 829/09.
  12. Ausführlich und kritisch zur Unterbringung der minderjährigen Flüchtlinge in der Aufnahmeeinrichtung E. Peter, Verfahrensbeschleunigungsmaxime versus Kindeswohl - zur Ausgrenzung unbegleiteter ausländischer Minderjähriger aus der Jugendhilfe, ZfJ 2003 S. 81-89 sowie JAmt 2006 S. 60; ders., Unbegleitete Minderjährige im Lichte des Zuwanderungsgesetzes und der EU-Asylrechtsharmonisierung, ZAR 2005 S. 11.
  13. Ebenso Gerlach GK-SGB VIII Rn. 33, der - noch über die hier vertretene Auffassung hinausgehend - auch die Heimerziehung nur als Ausweisungsgrund anerkennt, wenn die Heimerziehung gerichtlich angeordnet ist, also vom Familiengericht nach § 1666 BGB oder vom Jugendrichter nach § 12 Nr. 2 JGG.
  14. Ebenso die Anwendungsempfehlungen des BMI vom 25.2.1991 Nr. 5.55.2.7.2 und Renner, Ausländerrecht, § 76 Rn. 6, 8, Mrozynski SGB VIII Rn. 25, Fasselt, LPK-SGB VIII Rn. 35; a.A. Wiesner SGB VIII Rn. 38).
  15. Wie hier - Ausweisung nur des Minderjährigen - Mrozynski SGB VIII Rn. 23, Kloesel/Christ/Häußer, Deutsches Ausländerrecht, Rn. 70, Bieritz-Harder in Hauck/Noftz Rn. 27; für Ausweisung von Kind und Eltern: Renner, Ausländerrecht § 46 Rn. 50, Hailbronner, Ausländerrecht, § 46 Rn. 67 und Wiesner/Oberloskamp, SGB VIII Rn. 37.
  16. Nur bei Hilfe außerhalb des Elternhauses Wiesner/Oberloskamp a.a.O. Rn. 37; Krug - Riehle, SG Erl. III 2; einschränkend auch Fasselt LPK-SGB VIII Rn. 39 und Bieritz-Harder in Hauck/Noftz SGB VIII Rn. 27.
  17. A.A. für die Einrichtungen Maas, NDV 1990 S. 419, Wiesner/Mörsberger, SGB VIII, § 71 SGB X Rn. 11; Mörsberger/Dembowski NDV 1991 S. 157, weil diese Einrichtungen nicht Adressaten der Amtshilfepflicht seien. Dem ist entgegenzuhalten, dass Adressat der Amtshilfe nach § 3 Abs. 1 SGB X die Behörde ist, zu der auch ihre Einrichtungen zählen.

Hinweis

Veröffentlicht am 05.04.2015